In der vorläufigen Eigen­verwaltung können Masseschulden nur mit Genehmigung des Insolvenzgerichts begründet werden


BGH: Begründung von Masseschulden in der vorläufigen Eigen­verwaltung nur mit Genehmigung des Insolvenzgerichts

InsO §§ 270a, 55 II und IV, § 270 I 2, § 21 I 1
BGH, Urteil vom 22.11.2018 – IX ZR 167/16 (OLG Jena)

I. Leitsatz des Verfassers
Der Schuldner begründet im vorläufigen Eigen­verwaltungsverfahren auch außerhalb des Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO nur insoweit Masseverbindlichkeiten, als er vom Insolvenzgericht hierzu ermächtigt worden ist.
Im vorläufigen Eigen­verwaltungsverfahren ist die Bestimmung des § 55 IV InsO nicht entsprechend anwendbar.

II. Sachverhalt
Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 21.1.2014 die vorläufige Eigen­verwaltung angeordnet und der Kläger zum vorläufigen Sachwalter bestellt. Dieser informierte sogleich den Freistaat Thüringen als Beklagte. Die Schuldnerin zahlte sodann im Eröffnungsverfahren an das Finanzamt einen Gesamtbetrag iHv 86.385 EUR auf Umsatzsteuer und Lohnsteuer. Mit Verfahrenseröffnung wurde die Eigen­verwaltung angeordnet und der Kläger zum Sachwalter bestellt. Dieser focht die Zahlung nach § 130 I 1 Nr. 2 InsO an. Das Finanzamt lehnte die Erstattung ab. Das LG Erfurt hat die Klage abgewiesen, das OLG Jena der Zahlungsklage stattgegeben. Hiergegen richtete sich die Revision, die ohne Erfolg blieb.

III. Rechtliche Wertung
Der BGH kommt zu dem Schluss, dass nicht per se solche Verbindlichkeiten, die in der vorläufigen Eigen­verwaltung vom Schuldner oder vorläufigen Sachwalter begründet werden, Masseschulden seien. Vielmehr stellen solche Verbindlichkeiten nur dann Masseverbindlichkeiten dar, wenn sie auf der Grundlage einer vom Insolvenzgericht erteilten Ermächtigung begründet worden sei. Gleiches gelte für ein Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO. An einer solchen Ermächtigung mangele es hier. Auch unterscheidet sich das Verfahren der vorläufigen Eigen­verwaltung nicht von einem sonstigen Eröffnungsverfahren. Vor diesem Hintergrund sei die Ansicht, der Schuldner begründe im vorläufigen Eigen­verwaltungsverfahren stets Masseverbindlichkeiten, abzulehnen. Die Rechtsstellung des Schuldners entspreche gerade nicht derjenigen eines starken vorläufigen Verwalters. Mit Anordnung der Eigen­verwaltung bei Verfahrenseröffnung erlange der Schuldner zwar das Recht, die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie gleichsam als Amtswalter in eigener Angelegenheit zu verfügen. Anders sei dies allerdings im vorläufigen Eigen­verwaltungsverfahren, da insolvenzspezifische Befugnisse dem Schuldner – anders als einem starken vorläufigen Verwalter – im Eröffnungsverfahren nicht zugewiesen seien. Hervorgehoben wird weiter, dass die Regelung in § 270b III InsO eine Privilegierung des Schuldners im Schutzschirmverfahren gegenüber dem Schuldner im eigenverwalteten Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO darstelle. Auch deshalb könne der Schuldner im Verfahren nach § 270a InsO keine umfassendere Rechtsmacht besitzen, als im Verfahren nach § 270b InsO. Die für das Insolvenzgericht mögliche Ermächtigung, Masseverbindlichkeiten zu begründen, sei an den Schuldner zu richten und könne einzelne, zumindest der Art nach bestimmt bezeichnete Verpflichtungen zulasten der späteren Masse zum Gegenstand haben. Die sich daran anknüpfende Frage, ob eine globale Ermächtigung zulässig ist, lässt das Gericht ausdrücklich offen. Die bezahlten Steuerforderungen ließen sich auch nicht als Masseverbindlichkeiten gem. § 55 IV InsO behandeln. Es fehle am bestellten vorläufigen Insolvenzverwalter. Auch eine analoge Anwendung der Vorschrift scheide aus, da es bereits an einer planwidrigen Regelunglücke fehle, weil der Gesetzgeber bewusst auf eine Erweiterung der Regelung auf das vorläufige Eigen­verwaltungsverfahren verzichtet habe. Auch sei die Begründung von Steuerverbindlichkeiten im eigenverwalteten Eröffnungsverfahren mit den in § 55 IV InsO geregelten Fällen nicht ausreichend vergleichbar, weil dabei maßgeblich auf die Tätigkeit des vorläufigen Verwalters und dessen Befugnisse abgestellt werde. Der Schuldner in der Eigen­verwaltung handle jedoch regelmäßig autonom und unterliege nur der Überwachung durch den vorläufigen Sachwalter.

IV. Praxishinweis
Der BGH hat eine über den Einzelfall hinaus gehende wichtige Entscheidung getroffen. Sie zeigt die feinsinnige Unterscheidung zwischen dem Eröffnungsverfahren in der Eigen­verwaltung und dem Regelverfahren. Weitere Fragen, beispielsweise die Anforderung an einen entsprechenden Ermächtigungsantrag bzw. die Möglichkeit, globale Ermächtigungen durch das Insolvenzgericht auszusprechen, bleiben offen.

Rechtsanwalt Tobias Hirte, Fachanwalt für Insolvenzrecht 


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