Zur Indizwirkung der Inkongruenz auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz


BGH: Vorsatzanfechtung, Indizwirkung, Inkongruente Deckung

§ 133 I 1 InsO aF
BGH, Urteil vom 17.9.2020 – IX ZR 174/19 (OLG Köln)

I. Leitsatz des Verfassers
Die Indizwirkung einer inkongruenten Deckung für den Benachteiligungsvorsatz setzt nicht voraus, dass der Schuldner bei der Rechtshandlung bereits drohend zahlungsunfähig war.

Gewährt der Schuldner eine inkongruente Deckung, mit der er nahezu seine gesamte Liquidität einem beherrschenden Unternehmen überträgt, liegen finanziell beengte Verhältnisse vor, die ernsthafte Zweifel an der Liquiditätslage des Schuldners begründen, wenn der Schuldner aufgrund der Rechtshandlung nicht mehr in der Lage ist, bestehende Verpflichtungen aus einem Werkvertrag zu finanzieren.

II. Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin, die Rechtsnachfolgerin einer KG ist, die ihrerseits durch Umwandlung aus einer GmbH hervorgegangen ist. Die Beklagte war ursprünglich alleinige Gesellschafterin der GmbH. Zwischen der GmbH und der Beklagten bestand ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag.

Die GmbH erwarb von einem Dritten eine Immobilie, die der Dritte von der GmbH wieder zurückerwarb. Erwerb und Zurückerwerb fanden taggleich im Jahr 2007 statt. Erworben wurde zu einem Kaufpreis von 500.000 EUR, zurückerworben wurde zu einem Kaufpreis von 6,7 Mio. EUR.

Eigentümerin der Immobilie war zum damaligen Zeitpunkt ein Unternehmen aus der Unternehmensgruppe der Beklagten. Der Immobilienerwerb in 2007 stand daher unter der Bedingung, dass der Dritte Eigentum erwirbt.

2008 wurde nach Bedingungseintritt eine ergänzende notarielle Vereinbarung über zu tätigende Ausbau- und Renovierungsarbeiten zur Herrichtung eines Möbelhauses (fortan: Ausbauvereinbarung) abgeschlossen. Die GmbH verpflichtete sich, die baulichen Maßnahmen durchzuführen. Der Ausbauaufwand wurde auf einen Betrag von ca. 1,2 bis 1,5 Mio. EUR geschätzt. Mit der Ergänzungsvereinbarung wurde weiter vereinbart, dass die Kaufpreisschuld der GmbH mit ihrem Kaufpreisanspruch verrechnet wird. Der verbleibende Restkaufpreis von 6,2 Mio. EUR sollte der Dritte durch Teilzahlung iHv 5,7 Mio. EUR bis zum 15.7.2009 an die GmbH leisten, die verbleibenden 500.000 EUR auf ein Notaranderkonto zahlen. Am 2.10.2008 zahlte der Dritte 1 Mio. EUR auf das Notaranderkonto sowie 5,7 Mio. EUR an die GmbH. Die GmbH zahlte am 9.10.2008 an die Beklagte 3,6 Mio. EUR und 1,2 Mio. EUR sowie am 17.10.2008 weitere 250.000 EUR.

Mit notariellem Vertrag vom 23.10.2009 übertrug die Beklagte ihre Geschäftsanteile an der GmbH an einen weiteren Dritten; der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag wurde an diesem Tag gekündigt. Nach Umwandlung der GmbH in eine KG trat die Schuldnerin als Komplementärin ein. Nachdem die übrigen Gesellschafter ausgeschieden sind, ist die Schuldnerin Gesamtrechtsnachfolgerin geworden.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin in 2017 verlangt der Kläger von der Beklagten Rückgewähr von 5/6 der Zahlung über 1,2 Mio. EUR vom 9.10.2008, hilfsweise Rückgewähr der am 17.10.2008 gezahlten 250.000 EUR.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung hin hat das OLG die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

III. Rechtliche Wertung
Die Revision führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Benachteiligungsvorsatz
Im vorliegenden Fall war § 133 InsO aF zu prüfen.

Dass das Berufungsgericht den Benachteiligungsvorsatz der GmbH verneinte, war rechtlich fehlerhaft, so der BGH. Rechtsfehlerfrei seien aber die Zahlungen am 9. und 17.10.2008 als inkongruent anzusehen. Die Beklagte habe nämlich die Zahlungen nicht beanspruchen können, da der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag lediglich zur Abführung eines Überschusses für das Jahr 2008 frühestens mit Feststellung des Jahresabschlusses führen könne. Damit handle es sich bei den angefochtenen Zahlungen um einen nicht fälligen, sondern künftig erwarteten Anspruch. Weil die Beklagte wegen des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags als nahestehende Person anzusehen sei, stelle die inkongruente Übertragung des letzten werthaltigen Vermögens auf diesen ebenfalls ein Indiz für den Benachteiligungsvorsatz dar.

Indizwirkung der Inkongruenz
Im Zeitpunkt der inkongruenten Zahlungen bestand auch Anlass, an der Liquidität der Schuldnerin zu zweifeln, so der BGH. Dabei sei es unerheblich, welche rechtlichen Anforderungen an die drohende Zahlungsunfähigkeit zu stellen seien. Denn eine inkongruente Deckung sei idR ein starkes Beweisanzeichen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und für die Kenntnis des Gläubigers von diesem Vorsatz, jedenfalls sofern zu diesem Zeitpunkt aus der Sicht des Empfängers der Leistung Anlass bestand, an der Liquidität des Schuldners zu zweifeln. Diese Indizwirkung komme nicht nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit in Betracht; es komme nicht darauf an, ob die GmbH auch in rechtlicher Hinsicht drohend zahlungsunfähig war. Ausschlagend sei vielmehr, ob zum Zeitpunkt der Rechtshandlung mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei, dass der Schuldner seine bestehenden und zukünftig entstehenden Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen könne.

Finanziell beengte Lage
Fehle es an einer sog. finanziell beengten Lage, stelle die Inkongruenz allein kein ausreichendes Beweisanzeichen für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz dar. Finanziell beengte Verhältnisse lägen dann vor, wenn die finanziellen Reserven des Schuldners nicht ausreichen, um einen Einfluss der inkongruenten Leistungen auf die Gleichheit der Befriedigungschancen anderer Gläubiger auszuschließen.

Vorliegend habe sich die GmbH in einer finanziell beengten Lage befunden, so der BGH. Die Zahlungen hätten nämliche nahezu die gesamte Liquidität der GmbH aufgezehrt. Über die erforderlichen finanziellen Mittel zur Erfüllung der bestehenden Ausbauvereinbarung habe sie nicht mehr verfügt. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Ausbauvereinbarung sei inhaltlich nicht hinreichend bestimmt und deshalb für den Benachteiligungsvorsatz unerheblich, wies der BGH als rechtsfehlerhaft zurück. Insbesondere werde die Kostenschätzung übersehen. Die Ausbauvereinbarung sei daher geeignet, einen finanziellen Engpass der GmbH zu begründen. Auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Leistungsverpflichtungen aus Rechtsgründen im Rahmen der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen ist, komme es dabei nicht an. Auch nehme das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft an, dass der auf dem Notaranderkonto hinterlegte Betrag von 1 Mio. EUR zur Verfügung gestanden habe. Denn die Auszahlung zur Durchführung der Ausbauarbeiten habe stets die Zustimmung des Dritten erfordert.

Zeitablauf bis Insolvenzantrag
Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass der Indizwirkung der Inkongruenz angesichts eines Zeitablaufs von fast acht Jahren zwischen Rechtshandlung und Insolvenzantrag keine wesentliche Bedeutung mehr zukomme, weist der BGH ausdrücklich zurück. Maßgeblich für den Benachteiligungsvorsatz sei die Vorstellung des Schuldners zum Zeitpunkt der Rechtshandlung. Spätere Entwicklungen kämen als weiteres taugliches Indiz in Betracht, um Rückschlüsse auf die Lage und die Kenntnisse des Schuldners zu diesem Zeitpunkt ziehen zu können. Zwar könne die Indizwirkung einer inkongruenten Deckung umso weniger ins Gewicht fallen, je länger die Handlung vor der Verfahrenseröffnung liege (vgl. BGH, Urt. v. 18.12.2003 – IX ZR 199/02, BGHZ 15, 242, 254). Dies betreffe jedoch nicht die Inkongruenz, sondern in erster Linie die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage des schuldnerischen Unternehmens.

Kenntnis von dem Benachteiligungsvorsatz
Gerade aufgrund der Stellung der Beklagten als alleinige Gesellschafterin und aufgrund ihres aus dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages folgenden umfassenden Weisungsrechtes verfüge sie über die gleichen Kenntnisse wie die GmbH. In diesem Fall habe die Beklagte auch Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz. Nachdem für die Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages und für einen gezielten Entzug der Liquidität ein sachlicher Grund bislang nicht ersichtlich sei, fehlten weitere Feststellungen. Der BGH hält es für möglich, dass sich die Schuldnerin in Bezug auf die vereinbarten Ausbauleistungen bewusst in die Lage versetzt habe, sich diesen Verpflichtungen im geeigneten Fall durch einen Insolvenzantrag zu entziehen.

IV. Praxishinweis
Zum einen liefert die Entscheidung eine Definition für die sog. finanziell beengten Verhältnisse. Zum anderen wird als entscheidend auf die Gleichheit der Befriedigungschancen anderer Gläubiger abgestellt. Folglich kommt es nicht alleine auf die Verkürzung der Insolvenzmasse an, vielmehr genügt die Verringerung der Befriedigungschancen sonstiger Gläubiger. Der BGH hält an seiner Linie fest.

Rechtsanwalt Tobias Hirte, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht


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