Ein nach Erfüllung der Antragsforderung für erledigt erklärter Insolvenzantrag muss kein Druckantrag gewesen sein
BGH: Erledigt erklärter Insolvenzantrag eines „Zwangsgläubigers“ muss kein Druckantrag gewesen sein
InsO § 14 I; ZPO § 91a I
BGH, Beschluss vom 24.9.2020 – IX ZB 71/19 (LG Köln)
I. Leitsatz der Verfasserin
Erklärt ein Finanzamt oder Sozialversicherungsträger als Gläubiger seinen Insolvenzantrag nach Erfüllung der Antragsforderung für erledigt, obwohl der Antrag nicht durch die Erfüllung unzulässig geworden ist, rechtfertigt dieser Umstand allein nicht den Schluss auf einen unzulässigen Druckantrag.
Es unterliegt tatrichterlicher Würdigung, ob die Erledigterklärung eines Gläubigerantrags, der durch Erfüllung der Antragsforderung nicht unzulässig geworden ist, den Schluss auf einen Druckantrag erlaubt, wenn weitere Umstände hinzutreten, die als besondere Anhaltspunkte für einen Druckantrag dienen können.
II. Sachverhalt
Die Schuldnerin, die einen Arbeitnehmer beschäftigt hatte, blieb Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Monate November 2017 bis Februar 2019 schuldig, weswegen nach erfolglosen Vollstreckungsmaßnahmen der Sozialversicherungsträger am 19.3.2019 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragte. Im Antragsverfahren wurde ein Sachverständiger beauftragt, der zwei Sachstandsberichte erstattete. Nach Begleichung der Beitragsrückstände und Abmeldung des einzigen Arbeitnehmers wurde der Insolvenzantrag übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Insolvenzgericht hob daraufhin in seiner Kostenentscheidung die Kosten des Verfahrens gegeneinander auf. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin wurde vom LG zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erreichte die Gläubigerin, dass die Kosten des Verfahrens der Schuldnerin auferlegt worden sind.
III. Rechtliche Wertung
Erklärt ein Zwangsgläubiger, also das Finanzamt oder ein Sozialversicherungsträger, seinen Insolvenzantrag nach der Erfüllung der Antragsforderung für erledigt, obwohl der Antrag gem. § 14 I 2 InsO nicht durch die Erfüllung unzulässig geworden ist, so ist dies allein kein hinreichendes Indiz auf einen unzulässigen Druckantrag.
Ein Insolvenzantrag kann vom antragstellenden Gläubiger für erledigt erklärt werden. Schließt sich der Schuldner der Erledigung an, ist nur noch eine Kostenentscheidung gem. § 4 InsO, § 91a ZPO zu treffen.
Der BGH entschied, dass die Erledigungserklärung eines Sozialversicherungsträgers nach Erfüllung der Antragsforderung kein im Lichte des § 14 I 2 InsO gesetzlich geregelter Fall einer rechtsmissbräuchlichen Erledigungserklärung ist.
Nach § 14 I 3 InsO wird der Gläubigerantrag nicht allein dadurch unzulässig, dass die Forderung erfüllt wird. Dies begründet jedoch keine Pflicht des Gläubigers, seinen Antrag aufrechtzuerhalten. § 14 I 2 InsO schließt weder die Erledigterklärung noch die Rücknahme des Antrags ausdrücklich aus. Andernfalls würde der im Insolvenzeröffnungsverfahren herrschende Dispositionsgrundsatz nicht mehr gelten, sondern das Insolvenzeröffnungsverfahren gleichsam von Amts wegen fortgeführt werden, was dem deutschen Recht fremd ist.
Die bloß denkbare Möglichkeit, dass es sich beim Gläubigerantrag um einen von vornherein unzulässigen Druckantrag gehandelt habe, reicht nicht aus die Kostenaufhebung zu begründen. Eine Kostenaufhebung kommt in Betracht, wenn die Prozessaussichten nicht vorherzusagen sind. Nach übereinstimmender Erledigterklärung eines Insolvenzantrags haben jedoch aufwändige Ermittlungen zum Insolvenzgrund zu unterbleiben. Die Grundlage für die Kostenentscheidung ist daher in der Regel nur der bislang glaubhaft gemachte Sachverhalt, während sonstige Umstände nur berücksichtigt werden können, soweit der Sachverhalt bereits ausermittelt war. War der Insolvenzantrag im Zeitpunkt der erledigenden Ereignisse zulässig, ein Eröffnungsgrund mithin glaubhaft gemacht, sind die Kosten des Verfahrens in der Regel dem Schuldner aufzuerlegen. Eine Kostenentscheidung zu Lasten des antragstellenden Gläubigers kommt hingegen in Betracht, wenn sich eine Zurückweisung des Eröffnungsantrags abzeichnete oder wenn die gerichtlichen Ermittlungen schwerwiegende Zweifel dran ergeben haben, dass bei der Antragstellung ein Eröffnungsgrund vorlag.
Der BGH kam zu dem Schluss, dass die im Fall gegebenen Umstände einen solchen Schluss nicht rechtfertigen. Insbesondere erklärt der BGH der teilweise vertretenen Auffassung eine Absage, dass es ein erhebliches und für sich hinreichendes Indiz auf einen unzulässigen Druckantrag sei, wenn ein „Zwangsgläubiger“, also das Finanzamt oder Sozialversicherungsträger, seinen Insolvenzantrag für erledigt erkläre. Der BGH schloss sich vielmehr der Gegenansicht an, wonach der Umstand, dass ein Zwangsgläubiger seinen Insolvenzantrag nach Eröffnung der Forderung nicht weiter verfolgt, noch keinen Rückschluss darauf erlaubt, dass im Zeitpunkt der Antragstellung das einzige Motiv für den Antrag war, eine Erfüllung außerhalb der Gesamtvollstreckung herbeizuführen.
Der BGH begründet seine Auffassung damit, dass ein Zwangsgläubiger wie der Fiskus und die Sozialversicherungsträger bei der Antragstellung regelmäßig mehrere Motive verfolgen und in erster Linie die ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben, die sie zum Einzug von Steuern (§ 85 AO) und Beiträgen (§ 76 SGB IV) verpflichten, verfolgen. Mit einem Insolvenzantrag kann der Zwangsgläubiger mehrere Ziele verfolgen, so etwa das Verhindern weiter auflaufender Forderungen, eine zumindest teilweise Realisierung der rückständigen Abgaben und auch – im Hinblick auf das Anfechtungsrecht – die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners möglichst früh zu klären.
Es unterliegt tatrichterlicher Würdigung, ob die Erledigterklärung eines Gläubigerantrags, der durch Erfüllung der Antragsforderung nicht unzulässig geworden ist, den Schluss auf einen Druckantrag erlaubt, wenn weitere Umstände hinzuträten, die als besondere Anhaltspunkte für einen Druckantrag dienen können. Nachdem solche Umstände im zu entscheidenden Fall nicht feststellbar waren, hob der Senat die angefochtene Entscheidung auf und legte wegen der Entscheidungsreife der Sache die Kosten des Verfahrens der Schuldnerin auf.
IV. Praxishinweis
Die Entscheidung des BGH ist zu begrüßen, da sie eine in der Praxis sehr umstrittene Frage höchstrichterlich klärt. Sofern ein Schuldner nicht nur die Forderungen des Antragstellers erfüllt, sondern insgesamt seine Zahlungen wieder aufnimmt, sollte der Schuldner auch die Zahlungen an dritte Gläubiger dokumentieren, damit die Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes erschüttert wird und bei der Kostenentscheidung berücksichtigt wird.
Rechtsanwältin Elke Bäuerle, Fachanwältin für Insolvenzrecht
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