Die Weinwirtschaft am Kipppunkt

08. Oktober 2025 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Die deutschen Winzer und Weinbauern steuern auf eine der größten Krisen seit Jahrzehnten zu. Ein strukturelles Überangebot von Reben, sinkende Bodenrichtwerte und Betriebe, die kaum kostendeckend operieren – die Branche steht vor einer umfassenden Restrukturierung. Doch gesunde Sanierungen sind möglich. Prof. Dr. Simone Loose, die Leiterin des Instituts für Wein- und Getränkewirtschaft an der Hochschule Geisenheim, erläutert, worauf es dabei ankommt. 

Frau Loose, Deutschland ist ein wichtiges Weinland und beim Weinexport weltweit unter den Top Ten vertreten. Aber wie würden Sie den wirtschaftlichen Zustand der Weinregion Deutschland aktuell beschreiben? Frisch? Spritzig? Feurig? 

Loose: Aktuell würde ich leider eher herb sagen. Die deutsche Weinwirtschaft befindet sich in einer herausfordernden Lage, und die Unternehmen spüren das auch. Immer mehr reden deshalb von einer Krise und hoffen, dass bald wieder Normalität einkehrt – oder das, was sie sich darunter vorstellen. 

Und wann wird das sein? 

Loose: In absehbarer Zeit sehen wir das leider nicht. Dafür sind die wirtschaftlichen Treiber der aktuellen Situation viel zu stark. Sehen Sie, eine Vielzahl ungünstiger Faktoren setzt die Weinindustrie hierzulande wirtschaftlich gesehen enorm unter Druck. Das ist eine komplexe Gemengelage, die sich auch nicht einfach auflösen oder zurückdrehen lässt. 

Welche Faktoren sind da am wichtigsten?

Loose: Wir sehen fünf zentrale Treiber, die auf die Weinwirtschaft einwirken. Da sind einmal die Produktionskosten, die alleine seit 2019 um 30 bis 40 Prozent angestiegen sind. Das liegt etwa am erhöhten Mindestlohn, an den steigenden Energiekosten und an der grundlegenden Inflation, die ja alle Menschen im Land beschäftigt. Dann ist das verfügbare Einkommen vieler Menschen geringer, weil sie beispielsweise die aktuelle wirtschaftliche Unsicherheit spüren. Sie wollen in dieser Situation nicht mehr so viel Geld für Wein und Genussgüter ausgeben, wie früher noch. 

Gibt es weitere Treiber?

Loose: Hinzu kommt, dass Wein auch ein Stück weit als alltägliches Genussgetränk zurückgetreten ist. Verbraucher achten immer mehr auf ihre Gesundheit, gerade ältere, und auch die junge Generation distanziert sich zunehmend vom Alkohol – unabhängig davon, ob er sich im Kulturgetränke wie Wein oder in einem Vodka-O befindet. Das hat in der Industrie zu einer vermehrten Herstellung von neuen Getränken gesorgt, das zeigt beispielsweise der Erfolg von alkoholfreien Bieren, dem die Winzer mit alkoholfreiem Wein nacheifern wollen. Und schließlich spürt auch die Weinindustrie die Auswirkungen des demografischen Wandels. Die kommenden Generationen sind deutlich kleiner als die, die heute noch die Hauptzielgruppe für Wein darstellen. Das ist die Realität, mit der die Branche heute konfrontiert ist. 

Statt gutem Wein also alles Essig? 

Loose: Es gibt noch viel sehr guten Wein, aber der Essiganteil ist bereits schmeckbar. Fakt ist, dass diese aktuelle Gemengelage allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter bestehen bleiben wird. Das heißt, dass wir vor einer tiefgreifenden Veränderung in der deutschen Weinindustrie stehen und sich die Unternehmen dringend dieser neuen Realität stellen sollten. Um es ganz deutlich zu sagen: Wie stehen vor einem Einschnitt, den es in dieser Größe seit Ende des zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat. Die gute Nachricht ist aber, dass Krisen auch immer eine Chance darstellen, sich neu auszurichten und zukunftsfähig zu machen, und viele Unternehmen tun dies bereits. Ein Patentrezept gibt es dafür aber leider nicht. Wie das genau ausschaut, ist immer individuell. 

Vielleicht könnten Sie dennoch die häufigsten Situationen umreißen. 

Loose: Gerne. Wenn wir uns die Betriebe selbst anschauen, können wir drei grundlegende Kategorien unterscheiden. Da sind erstens Betriebe, die nicht genug Erlöse erwirtschaften, um die laufenden Ausgaben zu decken. Sprich, es wird stetig Geld verloren, und es ist auch nicht absehbar, dass sich daran nach einer Restrukturierung etwas ändern würde – gerade, weil die Rahmen- und Marktbedingungen sich stark verändern. Solche Betriebe sollten besser aufgegeben werden, um weitere Verluste gering zu halten – auch wenn dies natürlich schmerzhaft ist. 

Welche Betriebe gehören zur Kategorie zwei?

Loose: Das sind die sogenannten Auslaufbetriebe. Das sind solche, die genug Geld erwirtschaften, um die laufenden Ausgaben zu decken, aber nicht die Vollkosten wie Abschreibungen auf Anlagegüter wie Rebflächen, Maschinen und Gebäude oder sogar Lohn für die Familienarbeitskräfte. Gegebenenfalls ist auch noch die Verzinsung des Eigenkapitals negativ und es wird überhaupt kein neues Eigenkapital gebildet. Solche Auslaufbetriebe können mitunter noch jahre- oder sogar jahrzehntelang bestehen, sind aber kein sinnvolles Ziel mehr für Neuinvestitionen. Wir wissen, dass ein großer Teil der aktuell gefährdeten Betriebe zu dieser Gruppe zählen. 

Und die dritte Kategorie?

Loose: Das sind die Zukunftsbetriebe, also solche, die nicht nur kostendecken arbeiten, sondern auch ihre Familienarbeitskräfte angemessen entlohnen. Als Sahnehäubchen haben sie auch eine gute Verzinsung ihres Eigenkapitals. Wie viele das genau sind, lässt sich zwar nicht auf den Betrieb genau beziffern, aber wir gehen davon aus, dass das etwa ein Viertel ist. Und bei diesem Viertel ist eben ein wirtschaftlicher Zukunftsplan nicht nur möglich, sondern eben nötig. Dann kann auch in Zeiten sinkenden Weinabsatzes noch gesund wirtschaftlich gehandelt werden. 

Was gehört in so einen Zukunftsplan? 

Loose: Ein Zukunftsplan sollte Investitionen, Personalbedarf, eine klare Marktpositionierung und auch eine geregelte Unternehmensnachfolge umfassen. Es geht um eine Restrukturierung mit Blick auf die absehbaren Trends der Zeit, die wirtschaftlichen Ströme, die die Weinbranche nicht nur heute prägen, sondern auch in fünf, zehn, zwanzig Jahren beeinflussen werden. Wie sich genau verhalten wird, ist ebenso individuell zu prüfen und zu planen, wie die Unternehmen heute ihr Geschäftsmodell aufgestellt haben. Sehen Sie, es reicht nicht, abzuwarten und zu hoffen, dass sich die Situation bessert. Es braucht eine ehrliche, ernste Analyse der Wirtschaftlichkeit und der wirtschaftlichen Zukunftsmöglichkeiten des eigenen Betriebs. Dabei ist die Unterstützung durch externe Expertise dringend zu empfehlen, um wirklich für eine objektive und strategisch belastbare Einordnung zu sorgen und auch in Zeiten der absehbaren Marktbereinigung zu bestehen. Geschieht dies aber, kann die aktuelle Krise wirklich die Keimzelle für eine langfristige Neuorientierung, und damit zu einem echten Wachstumsschub werden. 


Die Interviewpartnerin

Prof. Dr. Simone Loose ist Leiterin des Instituts für Wein- und Getränkewirtschaft an der Hochschule Geisenheim University. 


Das Thema war Bestandteil des Programms der Restrukturierung Nordwest 2025. 

Weitere Information zur jährlichen Veranstaltung am Bremer Standort von Schultze & Braun gibt es hier: Restrukturierung-Nordwest