Überall und mit allen Mitteln: Unternehmen im Fadenkreuz von hybrider Kriegsführung

08. Oktober 2025 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Kriege zwischen Staaten werden schon lange nicht mehr nur von Soldaten auf physischen Schlachtfeldern ausgetragen. Angriffe auf Politik-, Wirtschafts- und Informationssysteme sind an der Tagesordnung – und zeigen Wirkung. Wirtschaftsunternehmen sollten sich dringend damit auseinandersetzen, um bei etwaigen Zwischenfällen gerüstet zu sein, sagt Ralph Thiele, Oberst a.D. der Bundeswehr.  

Herr Thiele, Spionage, Fake-News und Desinformationskampagnen aus dem Ausland, Hackerangriffe gegen kritische Infrastruktur, sogar Unterseekabel werden angegriffen. Hat sich die Kriegsführung in den letzten Jahren verändert?

Thiele: Das steht außer Frage, aber der Punkt ist, inwiefern. Und da sehen wir in der Tat einen klaren Wandel hin zu hybrider Kriegsführung mit all ihren Facetten, von denen Sie ja einige wichtige genannt haben. Und mehr noch: Wir nehmen wahr, dass diese hybriden Konflikte immer stärker auch oder sogar primär auf zivile Ziele einwirken. Das kann enormen Schaden anrichten, wenn beispielsweise ein mittelständisches Wirtschaftsunternehmen ins Fadenkreuz gerät. Unternehmensverantwortliche sollten dies unbedingt ernstnehmen und entsprechend priorisieren. 

Was verbirgt sich hinter dem Begriff hybride Kriegsführung?

Thiele: Hybride Kriegsführung zielt mit Stress und Schockereignissen auf die Kohäsion und die Funktionsfähigkeit von Staaten und Gesellschaften. Hier werden Konflikte zwischen Staaten in Bereichen ausgetragen werden, die üblicherweise nicht primär militärischen Zwecken dienen. Man denke da beispielsweise an das Internet, an die Wirtschaft, die Medien, die Kultur. All diese Bereiche können manipuliert, angegriffen und damit zu Konflikträumen gemacht werden – mit dem Ziel, ein Land grundlegend zu erschüttern und in seiner Struktur zu schwächen. Dies ist keine neue Erfindung, aber in der Substanz, in der wir sie heute erleben, ist hybride Kriegsführung weitaus wirkmächtiger als je zuvor. 

Und das stellt damit auch eine Gefahr für zivile Unternehmen dar? 

Thiele: In der Tat. Man denke da beispielsweise an die Cyber-Angriffe Russlands auf deutsche Forschungseinrichtungen, Universitäten und Unternehmen, die es schon lange vor dem Ukraine-Krieg gab. Nur wurden diese Bedrohungen viel zu lange ignoriert, weil sie eben nicht als Teil einer breit gefassten Strategie interpretiert wurden. Dabei ist auf diese Weise beispielsweise viel Wissen über die Alleinstellungsmerkmale und die Wertschöpfungsketten der Industrie hierzulande abgeschöpft worden und fand dann den Weg in die russische Rüstungsindustrie. Und manchmal ist es auch noch grober. Da werden Unternehmenswebsites lahmgelegt oder Führungskräfte ausspioniert, um Druck auf sie auszuüben. Das ist keine Petitesse. 

Das klingt aber sehr nach James Bond. 

Thiele: Eher nach Ernst Stavro Blofeld, denn Russlands hybride Strategie hat ganz und gar nichts vom typisch britischen Understatement. Da werben Agenten beispielsweise lokale Helfer an, die Bombenanschläge, Brandstiftungen und Anschläge auf kritische Infrastrukturen verüben. Man denke da etwa an den Juli 2024, als sich im Logistikzentrum der DHL in Leipzig ein Brandsatz in einem ein Paket entzündete. Das hätte zu einem Flugzeugabsturz mit vielen Toten führen können. Oder an die bundesweite Sabotageaktion gegen Autos, bei denen Auspuffrohre verstopft und Sticker mit dem Bild von Robert Habeck und dem Slogan „Sei grün!“ hinterlassen wurden. Auch dahinter steckte offenbar Russland, mit dem Ziel, die Gesellschaft zu spalten. Hybride Angriffe dieses Zuschnitts erfolgen als Teil einer Kampagne mit zahlreichen Vektoren: Die Bundesrepublik soll geschwächt werden. In diesem Kontext sind Wirtschaftsunternehmen für Angreifer legitime, lohnende und leider oftmals leichte Ziele. 

Warum leicht? 

Thiele: Zahlreiche Unternehmen sind auf hybride Angriffsszenarien schlecht oder sogar gar nicht vorbereitet. Eine Microsoft-Studie vom Herbst vergangenen Jahres hat beispielsweise festgestellt, dass vier von fünf Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung Deutschlands digitale Abwehrbereitschaft gegenüber Cyber-Angriffen nur für gering halten. Aber Cyber-Sicherheit kostet Geld und Expertise – und man darf nicht vergessen, dass Angreifer auf dem digitalen Schlachtfeld nur einmal Erfolg haben müssen, Verteidiger aber immer. Das macht Unternehmen verletzlich. So kann eine Störung in der Lieferkette vor dem Hintergrund einer angespannten Wirtschaftslage verheerende Effekte nach sich ziehen. Zum Glück muss das nicht so sein. 

Was empfehlen Sie denn Unternehmen in Deutschland, die nicht Opfer hybrider Kriegsführung werden wollen?

Thiele: Man darf dem Aggressor nicht das Terrain überlassen. Genauso detailliert, wie der hybride Aggressor agiert, müssen auch die Schutzmaßnahmen gedacht werden. Das gilt für die staatliche Seite ebenso wie für Unternehmen. Wo es auf der einen Seite mehr politische, wirtschaftliche und militärische Selbstbehauptung braucht – im Großen, sozusagen – braucht es auch auf der operativen Ebene Strategien, wie mit verschiedenen Bedrohungsszenarien konkret umzugehen ist. Wie kann man sich und seine Organisation 0ptimal schützen? Was sind mögliche Risiken und wie kann man diese minimieren? Und welche Vorsorge kann man treffen, dass wenn doch ein Schaden eintritt, dieser möglichst klein bleibt? Ein ausgewogenes Expertise-Portfolio ist der Schlüssel für nachhaltigen, umfassenden Schutz. Ganz selbstverständlich zählt dazu auch Rechtsexpertise. Längst ist Lawfare eine außerordentlich wirksame Komponente hybrider Angriffsszenarien. 


Der Interviewpartner

Ralph Thiele ist Militärexperte und ehemaliger Oberst der Bundeswehr. 


Das Thema war Bestandteil des Programms der Restrukturierung Nordwest 2025. 

Weitere Information zur jährlichen Veranstaltung am Bremer Standort von Schultze & Braun gibt es hier: Restrukturierung-Nordwest