Anforderungen an die Organisation der Aufgaben auf Geschäftsführungsebene


Anforderungen an die Geschäftsverteilung im Rahmen der Organhaftung

GmbHG § 64
BGH, Urteil vom 06.11.2018 - II ZR 11/17 (KG Berlin)

I. Leitsatz des Verfassers

Eine Geschäftsverteilung auf der Ebene der Geschäftsführung setzt eine klare und eindeutige Abgrenzung der Geschäftsführungsaufgaben voraus.

Ungeachtet der Aufgabenzuweisung eines einzelnen Geschäftsführers muss die Zuständigkeit des Gesamtorgans insbesondere für nicht delegierbare Angelegenheiten der Geschäftsführung gewahrt sein.

Die Aufgabenzuweisung bedarf nicht zwingend einer schriftlichen Dokumentation.

Im Falle einer ausreichenden Wahrnehmung der Kontroll- und Überwachungspflichten kann das für eine Haftung erforderliche Verschulden entfallen.

II. Sachverhalt

Auf den Eigenantrag vom 10.10.2008 hin eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Der Beklagte war einer von zwei Geschäftsführern der Schuldnerin. Die Schuldnerin wurde gegründet, um eine vom Beklagten moderierte Fernsehshow zu produzieren. Der Mitgeschäftsführer des Beklagten, der als Zeuge im Verfahren vernommen wurde, sagte aus, dass er sich selbst um die kaufmännische, organisatorische und finanzielle Seite des Geschäfts (Erstellung einer Fernsehsendereihe) gekümmert habe und der Beklagte allein für das Künstlerische zuständig gewesen sei. Der Kläger machte geltend, die Schuldnerin sei spätestens seit dem 1.9.2008 zahlungsunfähig gewesen. Ungeachtet dessen seien vom 3.9.2008 bis zum 10.10.2008 aus dem Vermögen der Schuldnerin noch Zahlungen in Höhe von 94.438 EUR geleistet worden, deren Erstattung der Kläger vom Beklagten verlangt.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht das Urteil des LG teilweise abgeändert und den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zum Teil verurteilt. Hiergegen richtete sich die Revision des Klägers, die Erfolg hatte. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit der Zahlungsantrag des Klägers abgewiesen wurde.

III. Rechtliche Wertung

Der BGH sah im Streitfall die Voraussetzungen für die Entlastung des Beklagten aufgrund der Feststellung des Berufungsgerichts als nicht gegeben an. Der Geschäftsführer, der die Vermutung schuldhaften Verhaltens gem. § 64 GmbHG widerlegen will, müsse die Gründe vortragen und erläutern, die ihn gehindert haben, eine tatsächlich bestehende Insolvenzreife der Gesellschaft zu erkennen. Nach der Rechtsprechung des Senats obliege die Erfüllung der sich aus § 64 GmbHG ergebenden Pflichten allen Geschäftsführern einer GmbH persönlich und könne nicht im Wege der Geschäftsverteilung auf einen einzelnen Geschäftsführer übertragen werden (vgl. BGH NJW 1994, 2149 [2150]). Die persönliche Verantwortung des Geschäftsführers für die Erfüllung gesetzlicher Pflichten schließe jedoch eine Geschäftsverteilung grundsätzlich nicht aus.

Die Organisation der Aufgaben auf Geschäftsführungsebene, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns zu erfüllen sei, setze eine klare und eindeutige Aufteilung aller Geschäftsführungsaufgaben voraus. Bei der Zuordnung der Aufgaben dürfen weder Zweifel über die Abgrenzung einzelner Aufgaben entstehen noch über die für die Erledigung verantwortliche Person. Die Geschäftsverteilung müsse von allen Geschäftsführern einvernehmlich mitgetragen werden und vorsehen, dass die jeweiligen Aufgaben Personen zugeordnet werden, die für die Erledigung fachlich und persönlich geeignet seien. Von der Eignung müssen sich die Geschäftsführer bei der Aufgabenzuweisung vergewissern. Die gewählte Organisationsform müsse ferner unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse der Gesellschaft sachgerecht sein.

Eine wirksame Begrenzung des Verantwortungsbereichs setze aber nicht zwingend eine schriftliche Dokumentation der Verteilung der Aufgaben voraus (Abgrenzung zu BFH Urt. v. 26.4.1984 – V R 128/79). Damit weiche der BGH nicht von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ab. Diese betreffe die ausdrücklich den Geschäftsführern zur persönlichen Erfüllung zugewiesenen Aufgaben nach § 34 I AO gegenüber dem Steuergläubiger und damit einen vom öffentlichen Recht geprägten Pflichtenkreis (vgl. BFH Urt. v. 26.4.1984 – V R 128/79). Die aus dem Gebot einer sorgfältigen Unternehmensführung gem. § 43 I GmbHG abgeleiteten Organisationspflichten dienen weder dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger noch den Beweisinteressen des Rechtsverkehrs. Sofern eine den aufgestellten Anforderungen entsprechende wirksame Aufgabenverteilung vorliegt, wandelt sich die Pflicht des einzelnen Geschäftsführers zur eigenen Aufgabenwahrnehmung in Kontroll- und Überwachungspflichten des zuständigen Mitgeschäftsführers um, an deren Erfüllung ein strenger Maßstab anzulegen sei (vgl. BGH NJW 1994, 2149 [2150]).

IV. Praxishinweis

In Haftungsprozessen verteidigen sich Geschäftsführer häufig mit dem Einwand, aufgrund einer Geschäftsverteilung für andere Aufgaben zuständig gewesen zu sein und daher keine Kenntnis von der finanziellen Situation der Gesellschaft und der eingetretenen Insolvenzreife gehabt zu haben. Mit dieser Entscheidung hat der BGH seine Rechtsprechung in Bezug auf die persönliche Verantwortung jedes einzelnen Geschäftsführers für die ordnungsgemäße Führung der Geschäfte der Gesellschaft sowie für die Erfüllung der gesetzlich auferlegten Pflichten fortgeführt. Die Aufteilung der Geschäftsführungsaufgaben kann jedoch im Rahmen der Beurteilung des Verschuldens des in Anspruch genommenen Geschäftsführers von großer Relevanz sein.

In diesem Zusammenhang hat der BGH zunächst sämtliche Anforderungen an eine wirksame Begrenzung des Verantwortungsbereichs mehrerer Geschäftsführer durch eine Geschäftsverteilung ausführlich dargestellt und zusammengefasst. Dieser Prüfungsmaßstab, der aus Beratersicht auch als Leitfaden für eine wirksame Geschäftsverteilung verstanden werden kann, dürfte zwar zukünftig in Haftungsprozessen zu einer erleichterten Bewertung des Entlastungseinwandes eines betroffenen Geschäftsführers führen. Die strengen Anforderungen, die vom BGH an die Führung des Entlastungsbeweises gestellt werden, dürfen voraussichtlich nur in Ausnahmefällen erfüllt werden. Ferner hat der BGH zu der bis dahin noch nicht höchstrichterlich geklärten Frage Stellung genommen, ob die rechtliche Anerkennung einer Geschäftsverteilung von der Einhaltung von Formerfordernissen abhängt. Dies hat der BGH mit überzeugenden Argumenten verneint. Die schriftliche Dokumentation der Geschäftsverteilung, die im Schrifttum, in Anlehnung an die Rechtsprechung des BFH, vertreten worden war, ist damit nicht mehr zwingend erforderlich. Damit stehen einem Entlastungseinwand zumindest keine formellen Einschränkungen mehr entgegen.

Rechtsanwalt Salvatore Calcagno

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