Vereinfachter Nachweis der Zahlungsunfähigkeit

22. August 2022 Blog Insolvenzrecht

Der gesellschaftsrechtliche II. Zivilsenat des BGH hat in einem Geschäftsführerhaftungsfall wegen Insolvenzverschleppung dem Insolvenzverwalter eine weitere Erleichterung bei der Nachweisführung der Zahlungsunfähigkeit zugebilligt. So muss dieser nicht zwingend eine Liquiditätsbilanz für den dreiwöchigen Prognosezeitraum aufstellen, sondern es genügt, wenn neben dem Anfang- und dem Endstichtag zusätzlich zwei weitere, wöchentlich erstellte Liquiditätsstatus erstellt werden. Der Insolvenzverwalter ist damit davon entbunden, für jeden Tag des Prognosezeitraums eine Gegenüberstellung der Ein- und Ausgänge zu erstellen, wie dies der BGH in bisheriger Rechtsprechung als Alternative zur Liquiditätsbilanz als ausreichend erachtet hatte.

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Dr. Elske Fehl-Weileder
Dr. Elske Fehl-Weileder

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht

BGH: Anforderungen an Darlegung der Insolvenzreife

InsO § 17 II 1; GmbHG § 64 aF
BGH, Urteil vom 28.6.2022 – II ZR 112/21 (OLG Schleswig)

I. Leitsatz der Verfasserin
Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO muss nicht durch Aufstellung einer Liquiditätsbilanz, sondern kann auch mit anderen Mitteln dargelegt werden.

II. Sachverhalt
Der Insolvenzverwalter eines am 1.5.2014 eröffneten Insolvenzverfahrens nimmt den Geschäftsführer der schuldnerischen GmbH aus § 64 GmbHG in der damals geltenden Fassung (aF) in Anspruch. Die schuldnerische Gesellschaft war Teil einer Unternehmensgruppe, innerhalb derer ein Cashpoolverfahren vereinbart war. Dabei wurden Guthaben auf den Konten der Tochtergesellschaft, darunter die Schuldnerin, am Ende eines jeden Arbeitstages auf das „Masterkonto“ der Muttergesellschaft übertragen und etwaige Sollsalden der Tochterunternehmen von dem Masterkonto ausgeglichen. Zuflüsse der Tochtergesellschaften an die Muttergesellschaft wurden als kurzfristige verzinsliche Darlehen angesehen und die Zinsen quartalsweise berechnet. Der Insolvenzverwalter verlangt von dem Geschäftsführer die Erstattung zweier Überträge von dem schuldnerischen Konto auf das Masterkonto der Muttergesellschaft iHv jeweils rund 1,6 Mio. EUR im November und Dezember 2013. Er geht dabei davon aus, dass die Schuldnerin bereits am 31.12.2012 zahlungsunfähig gewesen sei.

Das LG Schleswig und das OLG Schleswig haben die Klage des Insolvenzverwalters abgewiesen, da sie den Nachweis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin als nicht geführt ansahen. Um die Liquidität der Schuldnerin am 31.12.2012 feststellen zu können, bedürfe es einer konsolidierten Gesamtbetrachtung, also einer Gesamtliquiditätsplanung der Unternehmensgruppe. Der Bericht der Wirtschaftsprüfungs­gesellschaft, auf den sich der Insolvenzverwalter berufen hat, sei unzureichend, da er die (Darlehens)-Forderungen der Schuldnerin aus dem Cashpooling nicht berücksichtige. Selbst wenn eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin unterstellt werde, scheide eine Haftung des Geschäftsführers aus. Diese entfalle aufgrund der in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Zahlungen erfolgten Zuflüsse an die Schuldnerin von dem Masterkonto. So habe der Geschäftsführer darlegen können, dass noch nach den streitgegenständlichen Zahlungen aus dem Vermögen der Schuldnerin dieser im Rahmen des Cashpoolings mehr Zuflüsse von dem Masterkonto zugutegekommen seien, als sie Abflüsse erlitten habe.

III. Rechtliche Wertung
Der BGH hat die Entscheidung des OLG Schleswig aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe die Anforderungen an den Nachweis der Zahlungsunfähigkeit überzogen. Der Insolvenzverwalter sei nicht verpflichtet, die Liquiditätslücke durch das Verhältnis der Summen von Aktiva I und II zu Passiva I und II zu ermitteln (BGH II ZR 88/16), sondern es könne als Nachweis der Zahlungsunfähigkeit auch ein stichtagsbezogener Liquiditätsstatus in Verbindung mit einem Finanzplan für die darauf folgenden drei Wochen mit tagesgenauer Gegenüberstellung von Einzahlungen und Auszahlungen vorgelegt werden (BGH IX ZR 48/21). Alternativ dazu genüge auch, dass für den Prognosezeitraum mehrere tagesgenaue Liquiditätsstatus erstellt werden, wenn die am Stichtag vorliegende erhebliche Liquiditätslücke an keinem der betrachteten Tage in relevanter Weise geschlossen werden kann. Diesen Anforderungen habe dem Kläger genügt, indem er die Unterdeckung für den 31.12.2012 sowie weitere drei Kalendertage in dem Prognosezeitraum von drei Wochen bis zum 21.1.2013 unter Bezugnahme auf den Bericht der Wirtschaftsprüfungs­gesellschaft dargelegt hat. Auf der Aktivseite habe der Insolvenzverwalter dabei zurecht die nicht ausgeschöpfte Kreditlinie der Muttergesellschaft in voller Höhe als verfügbare Liquidität der Schuldnerin berücksichtigt. Da in dem dreiwöchigen Prognosezeitraum die Liquiditätslücke nur von 54,8 % auf 45,7 % gesenkt werden konnte, sei die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ausreichend dargelegt worden. Weil der Kläger den Kreditrahmen der Muttergesellschaft bereits auf der Aktivseite der Schuldnerin berücksichtigt hat, bedürfe es der vom Berufungsgericht geforderten konsolidierten Gesamtbetrachtung der Unternehmensgruppe nicht.

Auch ein die Haftung nach § 64 Satz 1 GmbHG aF ausschließender Ausgleich der Masseschmälerung sei im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Ein Zufluss auf das Konto der Schuldnerin von dem Masterkonto sei nur im Wege eines Soll-Ausgleichs erfolgt, wodurch die verteilungsfähige Vermögensmasse der Schuldnerin nicht gemehrt wurde (BGH II ZR 366/13).

IV. Praxishinweis
Der II. Zivilsenat des BGH erleichtert dem klagenden Insolvenzverwalter den Nachweis der Zahlungsunfähigkeit im Rahmen der Inanspruchnahme des Geschäftsführers aus Insolvenzverschleppungshaftung. Auch wenn die Entscheidung zur alten Anspruchsgrundlage § 64 GmbHG aF erfolgte, ist anzunehmen, dass sie auch im Bereich des § 15b InsO Anwendung findet. Dass der BGH für den dreiwöchigen Prognosezeitraum die Aufstellung von vier Liquiditätsstatus für ausreichend hält, stellt eine Erleichterung der Nachweisführung für den Insolvenzverwalter dar, der alternativ nach der bisherigen Rechtsprechung eine auf den Zeitraum bezogene Liquiditätsbilanz oder einen stichtagsbezogenen Liquiditätsstatus mit Finanzplan für die nächsten drei Wochen inklusive tagesgenauer Einzahlungs- und Auszahlungsdarstellung hätte erstellen müssen.

Zu Missverständnissen einladen könnte eine Aussage des BGH zum Cashpool: Die Berücksichtigung des vollen Kontokorrentrahmens der Muttergesellschaft bei einer Tochtergesellschaft, wie sie der BGH hier verkürzt gutheißt, kann nicht undifferenziert richtig sein. Wären mehrere Tochtergesellschaften in Schwierigkeiten, könnte schwerlich für jede im Rahmen der Zahlungsunfähigkeitsprüfung der volle KK-Rahmen der Muttergesellschaft bei den Aktiva angesetzt werden. Ein genaues Bild der für die (jeweilige) Tochtergesellschaft verfügbaren Mittel würde die vom Berufungsgericht geforderte Gesamtliquiditätsplanung liefern. Dass der BGH diese hier für entbehrlich hält, dürfte einem Erstrecht-Schluss entspringen: Wenn schon bei Ansatz des gesamten Gruppen-Kreditrahmens die Liquiditätslücke um die 50 % beträgt, wäre sie bei einer Gruppen-Betrachtung noch größer und es liegt Zahlungsunfähigkeit somit auf jeden Fall vor. Die Folgerung, dass im Cashpool in jedem Fall eine volle Berücksichtigung der Mittel der Muttergesellschaft bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung der einzelnen Tochtergesellschaft erfolgen darf oder muss, ist indes so pauschal jedenfalls nicht zulässig.

Rechtsanwältin Dr. Elske Fehl-Weileder, Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht

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