Schöner scheitern oder mehr Mindset wagen

08. Oktober 2025 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Eine Restrukturierung findet nicht in einem Vakuum statt. Deshalb lohnt es sich, über die Grenzen des eigenen Mandats hinauszublicken und die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Deutschland genau zu beobachten. Und die stockt ganz erheblich, findet Prof. Dr. Markus W. Exler. Aber die Chance, das wirtschaftliche Lenkrad herumzureißen, besteht weiterhin – und die Antwort darauf, ob und wie sie genutzt wird, dürfte die Sanierungsbranche langfristig prägen. 

Herr Prof. Exler, wäre die deutsche Wirtschaft ein Kraftwagen, würde ein Mechaniker wegen den komischen Geräuschen aus dem Motor skeptisch werden. Es läuft einfach nicht so richtig rund. Wie herausfordernd ist es, Unternehmen in solch einem Umfeld zu sanieren? 

Exler: Was die Lagebeschreibung angeht, haben Sie Recht. Nur würde der Mechaniker nicht nur komische Geräusche hören, sondern vermutlich den Kopf schütteln und schon einmal die Hebebühne vorwärmen, um dem wirtschaftlichen Totalschaden zuvorzukommen. Denn es sieht in der deutschen Wirtschaft in der Tat nicht gut aus, und das ist keine gute Basis für wirtschaftliche Restrukturierungen und Sanierungen. Meine These: Die Kosten für unternehmerisches Scheitern sind bei uns zu hoch und die Investitionsneigung nimmt außerdem seit etwa 2017 massiv ab. Es werden im Wesentlichen Ersatz-, aber keine Erweiterungsinvestitionen getätigt. Um Erweiterungsinvestitionen durchzuführen, braucht es Vertrauen für ein neues Geschäftsmodell sowie auch die Chance, dass ein Irrtum zurückgebaut werden kann. Und genau das ist aktuell nicht möglich. All das führt in den kommenden Jahren zu einem sehr herausfordernden Umfeld für strauchelnde Unternehmen und ihre Sanierung.

Eine starke These. Welche Ursachen sehen Sie dafür? 

Exler: Als Restrukturierer orientiere ich mich gerne an den vier Basisinhalten eines Sanierungsgutachtens. Und mit Blick auf die Krisenursachen sehe ich beispielsweise ein Wegfallen der billigen Energie aus Russland seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine, eine Verengung des bislang uneingeschränkten Absatzmarkts in China und auch eine tiefe Verunsicherung durch den Verlust der preiswerten militärischen Sicherheit durch die Vereinigten Staaten. 

Das sind geopolitische Entwicklungen. 

Exler: Richtig, aber sie prägen auch die Entwicklung innerhalb der EU und in Deutschland enorm. Auf nationaler Ebene betrachte ich beispielsweise die überbordende Bürokratisierung mit unnötigen Berichtspflichten und viel zu langen Genehmigungsverfahren sowie die fehlende Digitalisierung mit Sorge. Sehen Sie, es wird empfohlen, fünf Prozent des jährlichen Umsatzes für Digitalisierung auszugeben, und Deutschland liegt weit darunter. Wir sind im Vergleich zu anderen Industrieländern an vorletzter Stelle, und unsere Prozesse innerhalb von Unternehmen und auch in der öffentlichen Verwaltung sind entsprechend ineffizient und oftmals geradewegs altmodisch. Würde Sie das als Investor optimistisch stimmen, in ein deutsches Unternehmen einzusteigen? 

Aber ist das nicht alles ein bisschen zu sehr Schwarzmalerei?

Exler: Vielleicht, aber ich bin ja auch Europäer. Und wir haben eben aktuell eine recht pessimistische Sicht auf die Dinge, auch wenn die nicht gerechtfertigt ist. Das geht den meisten wohlhabenden Ländern in Westeuropa so, Frankreich, Italien, Deutschland… Aber so richtig überrascht mich dieses negative Mindset nicht. Europa hat leider keine Tech-Milliardäre, die als Vorbilder für Optimismus sorgen können. Und wir haben als Gesellschaft keine Ideen für wirklich zukunftsweisende Technologien. Sehen Sie, wir wissen beispielsweise, dass US-basierte Cloudlösungen mit großer Unsicherheit behaftet sind, aber wir wollen nicht die notwendigen Milliarden in die Hand nehmen, um Europa technisch auf den Stand zu bringen, da ein echter Konkurrent zu sein, beziehungsweise echte Alternativen anzubieten. In China ist das beispielsweise ganz anders. 

China ist aber politisch und wirtschaftlich anders strukturiert als Deutschland. Wäre es nicht an der Politik, auch hierzulande gangbare Lösungen anzubieten?

Exler: Schon, aber wir sehen ja aktuell, dass die Erwartungshaltung der Wirtschaft und das Selbstverständnis der Regierung dahingehend deutlich auseinandergehen. Der Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot ist ein Relikt aus den 199er Jahren. Ein so genannter „Abschreibungsbooster“ ist doch zu kurz gesprungen. Wir wissen doch, dass die weltweit wertvollsten Unternehmen ohne abschreibbare Assets auskommen. Man blicke beispielsweise auf die Tech-Giganten in den USA. Das ist auch deshalb schade, weil Unternehmen bei uns, wie bereits erwähnt, nachweislich ihre Investitionen in Deutschland massiv zurückgefahren haben, und zwar aufgrund eines fehlenden Vertrauens in den Standort. Schließlich sorgt die sehr arbeitnehmerfreundliche Gesetzgebung dafür, dass etwaige Fehlentscheidungen nur sehr teuer zurückgedreht werden können. Das alles macht die Lage für Unternehmen hierzulande unflexibel und herausfordernd und hat Strahlkraft über die Landesgrenzen hinaus.

Was braucht es denn Ihrer Meinung nach, damit die Situation besser wird? 

Exler: Eines ist sicher: Es liegt nicht nur am Geld. Wir verfügen über Steuereinnahmen von knapp einer Billion Euro pro Jahr, das sollte doch reichen. Die jährlichen Ausgaben sind bei etwa 500 Milliarden Euro, wovon etwa 38 Prozent auf Renten und Bürgergeld fallen. Einsparungen werden sich da in der aktuellen politischen Gemengelage kaum umsetzen lassen. Stattdessen brauchen wir eine Mindset-Änderung in Deutschland. Mehr Leistungs- anstelle von Genussglück und einen Fokus auf Possibilismus als Gegenentwurf zum Determinismus. Genuss ist nur kurzfristig, die Bestätigung über eine erbrachte Leistung hält viel länger an. Und Possibilismus heißt doch nur aufzustehen und an das Morgen glauben und sich nicht von gesellschaftlicher Kleinkariertheit bremsen zu lassen. Wir müssen das Denken in zukünftigen Geschäftsmodellen lernen und für unsere Wirtschaft die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen – etwa mit einer reformierten Arbeits- und Steuergesetzgebung und dem schon lange versprochenen, aber immer noch auf sich warten lassenden Bürokratieabbau. Dann werden auch Unternehmen, die gerade eine Restrukturierung hinter sich haben oder absehbar vor einer solchen stehen, ein optimales Umfeld haben, um wieder Fuß zu fassen und langfristig erfolgreich zu sein. Und davon profitieren am Ende alle – Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Lieferanten, Partner und in Konsequenz auch alle Menschen im Land. 


Der Interviewpartner

Prof. Dr. Markus W. Exler ist Partner der Kölner Digital- & Transformationsberatung nexum AG. An der Fachhochschule Kufstein Tirol ist er seit 2003 Professor und verantwortet das von ihm gegründete Institut für Grenzüberschreitende Restrukturierung.


Das Thema war Bestandteil des Programms der Restrukturierung Nordwest 2025. 

Weitere Information zur jährlichen Veranstaltung am Bremer Standort von Schultze & Braun gibt es hier: Restrukturierung-Nordwest