Aktionäre in der Insolvenz: Schadensersatzansprüche sind keine Insolvenzforderungen
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die kapitalmarktrechtlichen Schadenersatzforderungen der Aktionäre nicht als Tabellenforderungen nach § 38 der Insolvenzordnung zu werten sind. Dr. Elske Fehl-Weileder und Dr. Michael Rozijn ordnen die Entscheidung und ihre Auswirkungen ein.
Die Bedeutung der BGH-Entscheidung
Mit seiner Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt, dass Aktionäre mit ihren Schadensersatzforderungen keine Tabellenforderungen haben und damit als Gläubiger in einem Insolvenzverfahren in der Regel leer ausgehen. Und der BGH hat damit eine bislang ungeklärte Rechtsfrage entschieden, die nicht nur, aber eben gerade auch in Insolvenzverfahren von großer wirtschaftlicher Bedeutung sein kann. Das Urteil trägt weiter dazu bei, die Einordnung von Forderungen von Gesellschaftern im Insolvenzverfahren zu präzisieren und die Position der Gläubiger einer Gesellschaft im Verhältnis zu ihren Gesellschaftern zu stärken.
Die Risiken der Aktionärsstellung
Der BGH verweist auch auf die Grundprinzipien des Insolvenzverfahrens und hebt die Gläubigerinteressen als Schutzzweck hervor. Im Verteilungskonflikt, der im Insolvenzfall zu lösen ist, weise die Gläubigerstellung des geschädigten Aktionärs die notwendige Nähe zur Beteiligung an der Gesellschaft auf. Dieser Nähe-Begriff ist zunächst wenig greifbar und unbestimmt. Allerdings liefert der BGH hier auch eine weitere Erklärung: Der Schadensanspruch mag zwar kapitalmarktrechtlicher Natur sein, aber er entsteht eben auch nur aufgrund der Beteiligung als Aktionär. Mit dem bezweckten, wenn auch täuschungsbedingten Erwerb der Anteile trage der Aktionär auch die Risiken aus diesem Erwerbsgeschäft, die mit der Aktionärsstellung verbunden sind. Der Anspruch mag also nicht unmittelbar aus dem Gesellschaftsverhältnis, etwa aus der Satzung resultieren, ist aber so „gesellschafternah“, dass er im Verteilungskonflikt mit den Insolvenzgläubigern zurücktritt.
Gesellschafteransprüche oder Gesellschafterdarlehen
Der Bundesgerichtshof lässt im Ergebnis in seiner Entscheidung ausdrücklich offen, ob es sich bei den Schadenersatzansprüchen der Aktionäre um Gesellschafteransprüche handelt, die nur bei einer Ausschüttung des Überschusses nach § 199 der Insolvenzordnung – also nach 100 Prozent Quote auf Forderungen nach § 38 und Nachrangforderungen nach § 39 der Insolvenzordnung berücksichtigt werden, oder ob es etwa nachrangige Forderungen im Sinne des § 39 Absatz 1 Nummer 5 der Insolvenzordnung handelt – also Forderungen, die einem Gesellschafterdarlehen gleichzustellen sind.
Je mehr Gläubiger, desto geringer die Quote für jeden einzelnen
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat aber nicht nur für Aktionäre, sondern auch für weitere Gläubigergruppen eine große Bedeutung. Hätte der Bundesgerichtshof anders entschieden und die Entscheidung des Oberlandesgerichts München bestätigt, wären Insolvenzverfahren aller Voraussicht nach komplizierter und aufwendiger geworden. Da es je nach Aktienverteilung eine Vielzahl an Aktionären gibt, hätte sich dadurch die Zahl der Forderungen und Gläubiger signifikant erhöht. Das wiederum hätte große Auswirkungen auf die Quote gehabt, die an die Insolvenzgläubiger verteilt wird. Oder anders formuliert: Je mehr Gläubiger, desto geringer die Quote für jeden einzelnen.
Risiko für besicherte Gläubiger reduziert
Dieser Aspekt – der jetzt nicht eintritt – ist aber nicht nur für die unbesicherten Gläubiger von Relevanz, sondern auch für besicherte Gläubiger wie zum Beispiel Banken. Denn oftmals gehen die Forderungen der besicherten Gläubiger über den Wert beziehungsweise Erlös der Sicherheit hinaus, sodass auch besicherte Gläubiger meist mit Teilen ihrer Forderungen in den Bereich der unbesicherten Gläubiger hineinreichen. Also hätte – wenn der Bundesgerichtshof zugunsten der Aktionäre entschieden hätte – auch für besicherte Gläubiger das Risiko bestanden, dass sie auf ihre nach Verwertung der Sicherheiten verbleibenden Forderungen in Insolvenzverfahren nur eine geringere Quote kriegen und dadurch die Befriedigungsaussichten geschmälert werden. Das ist nun nicht der Fall.
(Keine) Auswirkung auf die Kreditvergabe an Unternehmen
Darüber hinaus hätte eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs für die Einordnung der Aktionärsforderungen als Tabellenforderungen auch Auswirkungen auf die Kreditvergabe an Unternehmen haben können. Banken und Investoren hätten nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs bei der Vergabe von Krediten zurückhaltender werden können, wenn sie künftig im Insolvenzfall mit mehr konkurrierenden Forderungen – etwa denen von zahlreichen Aktionären – hätten rechnen müssen.
Die Autoren
Dr. Elske Fehl-Weileder
ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei Schultze & Braun. Zu Ihren Spezialgebieten gehören die Insolvenzverwaltung, die Begleitung von Eigenverwaltungen und Schutzschirmverfahren sowie die Erstellung und Umsetzung von Insolvenz- und Restrukturierungsplänen.
Dr. Michael Rozijn
ist als Rechtsanwalt bei Schultze & Braun im Bereich Wirtschaftsrecht tätig. Er hat Rechtswissenschaften an der Universität Osnabrück und der Rijksuniversiteit Leiden/Niederlande studiert und ist Fachanwalt für IT-Recht. Seine weiteren Tätigkeitsschwerpunkte sind die Restrukturierungs- und M&A-Beratung, internationales Privatrecht sowie Handels- und Gesellschaftsrecht.