Aktionäre in der Insolvenz: Bitte hinten anstellen!

14. November 2025 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Die Gesellschaftsform der Aktiengesellschaft (AG) ist beliebt – auch, weil sie es Außenstehenden leicht macht, sich über Aktien an einem Unternehmen zu beteiligen. Dr. Elske Fehl-Weileder und Dr. Michael Rozijn von Schultze & Braun erläutern, welche Besonderheiten es bei der Insolvenz einer AG gibt.

Frau Dr. Fehl-Weileder, Herr Dr. Rozijn, Sie waren bereits in zahlreichen Insolvenzen tätig. Was unterscheidet die Insolvenz einer AG von der einer Nicht-AG?

Fehl-Weileder: Die Insolvenz einer AG wird, wenn sie an der Börse notiert ist, in der Regel auch aufgrund der ad hoc-Pflicht zur Veröffentlichung schneller bekannt als bei anderen Gesellschaften. Darüber hinaus gibt es weitere Besonderheiten – gerade für die Aktionäre. Generell gilt: Aktionäre sind – anders als die Inhaber von Wandelanleihen oder Genussscheinen – Gesellschafter des Unternehmens, dessen Aktien sie besitzen. Geht es dem Unternehmen wirtschaftlich gut, profitieren Aktionäre von ihrer Beteiligung – etwa durch Gewinnausschüttungen.

Rozijn: Als Gesellschafter tragen Aktionäre aber genauso die Risiken eines Eigenkapitalgebers. Das heißt: Aktionäre sind in der Insolvenz einer AG keine Gläubiger – auch wenn sie der Gesellschaft mit der Zeichnung der Aktien Kapital gegeben haben. Sie erhalten deshalb erst eine Auszahlung, wenn die Forderungen aller Gläubiger und die Verfahrenskosten bezahlt worden sind. Da dies erfahrungsgemäß kaum jemals der Fall ist, droht den Aktionären im Falle der Insolvenz der Gesellschaft also ein finanzieller Totalverlust.

Gibt es weitere Besonderheiten für die Aktionäre?

Fehl-Weileder: Aktionäre können ihren Verlust auch nicht als Schadensersatz gegenüber dem Insolvenzverwalter anmelden, auch dann nicht, wenn ihrem Anteilskauf eine durch Täuschung des Emittenten hervorgerufene Entscheidung zugrunde lag. Das hat der Bundesgerichtshof am 13. November 2025 im Fall Wirecard bestätigt. Aktionäre werden mit ihren Schadensersatzforderungen nicht als sogenannte Tabellengläubiger behandelt, sodass sie in einem Insolvenzverfahren in der Regel leer ausgehen. Der Bundesgerichtshof lässt allerdings in seiner Entscheidung ausdrücklich offen, ob es sich bei den Schadenersatzansprüchen der Aktionäre um Gesellschafteransprüche handelt, die nur bei einer Ausschüttung des Überschusses nach § 199 der Insolvenzordnung – also nach 100 Prozent Quote auf Forderungen nach § 38 und Nachrangforderungen nach § 39 der Insolvenzordnung – berücksichtigt werden, oder ob es etwa nachrangige Forderungen im Sinne des § 39 Absatz 1 Nummer 5 der Insolvenzordnung handelt – also Forderungen, die einem Gesellschafterdarlehen gleichzustellen sind.

Rozijn: Indem er entschieden hat, dass die kapitalmarktrechtlichen Schadenersatzforderungen der Aktionäre nicht als Tabellenforderungen nach § 38 der Insolvenzordnung zu werten sind, hat der Bundesgerichtshof eine bislang ungeklärte Rechtsfrage entschieden, die nicht nur, aber eben gerade auch in Insolvenzverfahren von großer wirtschaftlicher Bedeutung sein kann. Das Urteil trägt weiter dazu bei, die Einordnung von Forderungen von Gesellschaftern im Insolvenzverfahren zu präzisieren und die Position der Gläubiger einer Gesellschaft im Verhältnis zu ihren Gesellschaftern zu stärken. 

Zugleich klärt der BGH auf, dass der Aktionär nicht erst ab dem Moment des Haltens der Aktie mit seiner Investition die insolvenzrechtlichen Risiken eines Gesellschafters trägt, sondern bereits mit dem Vertragsabschluss zum Erwerb der Aktien risikomäßig wie ein Gesellschafter zu behandeln ist. Und dies gilt nicht nur für die Erwerb bei Emission von Aktien, sondern auch beim Erwerb am Sekundärmarkt, sprich dem Erwerb über die Börse oder durch anderweitige Anteilsübertragung. Auch wenn sie ihren Kaufpreis und somit ihre Investition abschreiben müssen: Die gute Nachricht für Aktionäre bleibt natürlich, dass sie für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht einstehen müssen, da sie nicht zum Nachschuss verpflichtet sind.

Wie sieht es mit aktienrechtlichen Dividendenauszahlungen aus, die die Aktionäre erhalten haben?

Fehl-Weileder: Aktionäre sehen sich in einer Insolvenz der Gesellschaft mitunter damit konfrontiert, dass der Insolvenzverwalter aktienrechtliche Dividendenauszahlungen im Zuge der sogenannten Insolvenzanfechtung von ihnen zurückfordert – das kann auch Auszahlungen betreffen, welche die Aktionäre teils Jahre zuvor ausgezahlt bekommen haben.

Rozijn: Diese Anfechtung – die sicherlich für einige Aktionäre überraschend ist – ist unter anderem auf Basis einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aus dem Mai 2022 und der Rechtsprechung des BGH möglich – allerdings nur, wenn die Jahresabschlüsse der Gesellschaft für nichtig erklärt werden. Das kann etwa der Fall sein, wenn diese auf falschen Angaben beruht haben,. Die Dividendenzahlung ist dann rechtsgrundlos. Der bösgläubige Aktionär hat eine solche Zahlung nach § 62 Absatz 1 des Aktiengesetzes, der gutgläubige nach § 134 der Insolvenzordnung zurückzuzahlen.

Können Aktionäre im Falle der Insolvenz ihrer Gesellschaft ihren finanziellen Schaden reduzieren oder sogar ersetzt bekommen?

Rozijn: Eine Überlegung ist, gegenüber den Vorständen der Gesellschaft einen sogenannten Reflexschaden geltend zu machen. Von Reflexschaden spricht man hier, da der finanzielle Schaden der Aktionäre indirekt – als Reflex – der Schäden eingetreten ist, die durch die Entscheidungen des Vorstands dem Unternehmen entstanden sind. So hat etwa die Ankündigung eines Insolvenzantrags für die Gesellschaft in der Regel für die Aktionäre die indirekte Auswirkung, dass der Aktienkurs der Gesellschaft mehr oder weniger stark einbricht. Inwieweit der Kursrückgang allerdings eine direkte Folge der Ankündigung des Insolvenzantrags ist, lässt sich mitunter nur schwer feststellen – auch wenn dies auf den ersten Blick naheliegend zu sein scheint. Denn der Aktienkurs ist nur das Ergebnis von Angebot und Nachfrage für die Aktie, er muss nicht identisch mit seinem tatsächlichen Wert sein.

Fehl-Weileder: Es stellt sich auch die Frage, welche Entscheidung des Vorstands für den Reflexschaden überhaupt ursächlich ist: Die Ankündigung des Insolvenzantrags, der Insolvenzantrag selbst oder eine Entscheidung des Vorstands, die zur finanziellen Schieflage der Gesellschaft geführt haben könnte? Dazu, dass ein möglicher Reflexschaden in der Regel nur schwer festzustellen ist, trägt auch die Tatsache bei, dass es dazu bislang nur wenig Rechtsprechung gibt. Für die fallenden Aktienkurse und einen möglichen Totalverlust ihres Investments im Zuge eines Insolvenzantrags ihrer Gesellschaft einen Reflex-Schadenersatz zu erstreiten, ist für Aktionäre also aufwändig und ein Erfolg alles andere als klar.

Inwiefern wird die Börsennotierung einer AG von der Insolvenz berührt?

Rozijn: Der Insolvenzantrag führt nicht automatisch zum Delisting der AG. Es ist also weiterhin möglich, Aktien einer insolventen Gesellschaft zu handeln. Von der Sanierung einer insolventen AG profitieren die Aktionäre jedoch in den seltensten Fällen.

Wieso?

Fehl-Weileder: Häufig werden die Vermögenswerte der insolventen AG in einer sogenannten übertragenden Sanierung an eine neue Gesellschaft verkauft und übertragen. Die Aktionäre bleiben dabei aber an der insolventen Gesellschaft beteiligt und diese wird, sobald das Vermögen an die Gläubiger verteilt ist, im Insolvenzverfahren abgewickelt. Für die Aktionäre gilt hier die Devise: „Bitte hinten anstellen!“ 

Interviewpartner

Dr. Elske Fehl-Weileder

ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei Schultze & Braun. Zu Ihren Spezialgebieten gehören die Insolvenzverwaltung, die Begleitung von Eigenverwaltungen und Schutzschirmverfahren sowie die Erstellung und Umsetzung von Insolvenz- und Restrukturierungsplänen.

Dr. Michael Rozijn

ist als Rechtsanwalt bei Schultze & Braun im Bereich Wirtschaftsrecht tätig. Er hat Rechtswissenschaften an der Universität Osnabrück und der Rijksuniversiteit Leiden/Niederlande studiert und ist Fachanwalt für IT-Recht. Seine weiteren Tätigkeitsschwerpunkte sind die Restrukturierungs- und M&A-Beratung, internationales Privatrecht sowie Handels- und Gesellschaftsrecht.