Krisen meistern: Welche Möglichkeiten Wasserstoff und Sanierungs-instrumente bieten

Interview mit Dr. Mischa Paterna, Geschäftsführer des Wasserstoffenergieclusters Mecklenburg-Vorpommern e. V., und Dr. Ludwig J. Weber, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Wasserstoff und die Sanierung von Unternehmen haben eine große Gemeinsamkeit: Sie stehen für Nachhaltigkeit und Zukunft – nicht nur, aber eben gerade auch im Automotive-Bereich. Warum das so ist und welche Möglichkeiten Wasserstoff und Sanierungsinstrumente bieten, wird im Folgenden erläutert.

Baustein im Klimamix

Herr Paterna, welche Bedeutung hat Wasserstoff für eine nachhaltige Energie­versorgung?

Paterna: Spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 und durch die sich seitdem immer weiter verschärfende Gas- und Energiekrise ist klar, dass die Zeit der fossilen Energieträger endlich ist und es auch sein muss. Die erneuerbaren Energien können die zukünftige Versorgung aber nur dann sicherstellen, wenn die Lücke zwischen schwankender Erzeugung und notwendiger Versorgungssicherheit geschlossen werden kann. Hier kommt Wasserstoff als Energieträger ins Spiel, der nicht nur saisonale Speicherfähigkeit ermöglicht, sondern mittels Sektorenkopplung jenseits von Strom auch Wärme und Mobilität bereitstellen kann. Fakt ist: Grüner Wasserstoff ist ein unverzichtbarer Baustein im klimaneutralen Energiemix der Zukunft.

Was ist ‚Grüner Wasserstoff‘?

Herstellung mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen

Paterna: Das ist Wasserstoff, der mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen aus Wasser hergestellt wird. Das Verfahren, das dabei eingesetzt wird, heißt Elektrolyse und ist uns allen noch aus dem Chemieunterricht bekannt. Vereinfacht gesagt, wird dabei Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Dieser Prozess ist energieintensiv. Er kann aber gerade dort, wo mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt als verbraucht wird, genutzt werden, um große Mengen grünen Wasserstoff herzustellen. Dieser kann dann auf unterschiedliche Art gespeichert und dorthin transportiert werden, wo viel Energie gebraucht wird – etwa in der Stahlindustrie, beim Heizen, aber auch im Schienen- oder Straßenverkehr. Der Vorteil ist, dass Wasserstoff sehr viel Energie speichern kann. So liefert ein Kilogramm Wasserstoff ungefähr so viel Energie wie 2,8 Kilogramm Benzin und erzeugt bei der Nutzung lediglich Wasserdampf. Ich bezeichne Wasserstoff daher gerne als Zaubermolekül.

Wasserstoff-Farbenlehre

Wasserstoff ist ein natürliches chemisches Element und gleichzeitig das häufigste Element im Universum. Er hat zudem die geringste Atommasse und ist 14-mal leichter als Luft. Der Hoffnungsträger für die Energie- und Rohstoffwende kommt auf der Erde allerdings nicht in seiner Reinform vor, sondern nur in Verbindung mit anderen Elementen – vor allem mit Sauerstoff und damit als Wasser (H2O).

Um ihn als Energieträger nutzen zu können, muss Wasserstoff mit Energieeinsatz aus seinem Verbindungsstoff herausgelöst werden. Die Verfahren können sich aber unterscheiden. Bislang wird Wasserstoff noch überwiegend aus Methan gewonnen, also dem Hauptbestandteil von fossilem Erdgas. Das ist jedoch alles andere als klimafreundlich, und dieser Wasserstoff wird daher als grauer Wasserstoff bezeichnet. Es wird viel klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) freigesetzt. Wird das Kohlendioxid stattdessen gespeichert, bezeichnet man den Wasserstoff als blau. Wird dabei fester Kohlenstoff gewonnen, wird der Wasserstoff türkis genannt. Als am besten für das Klima gilt jedoch grüner Wasserstoff, der mithilfe von Strom aus erneuerbaren Energien – also etwa Wind oder Sonne – klimaneutral produziert wird. Bei der Nutzung entstehen keine schädlichen Abgase – lediglich harmloser Wasserdampf.

Zeitdruck

Herr Weber, Benzin ist ein gutes Stichwort. Benzin und der damit eng verbundene Verbrennungsmotor sind im Automotive-Bereich ein Auslaufmodell. Was bedeutet das für die Branche?

Weber: Die Herausforderungen für Unternehmen aus der Automobilbranche waren bereits groß, und sie nehmen weiter zu. Die Krisen geben sich ja praktisch die Klinke in die Hand, und die Preise für Energie, Rohstoffe oder Fracht und Logistik kennen nur eine Richtung: nach oben. Als ob das nicht schon genug wäre, stehen gerade Zulieferer im Verbrenner-Bereich nun auch unter einem großen Zeitdruck. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ab 2035 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr verkauft und zugelassen werden. 2035 klingt zunächst einmal noch weit weg. Angesichts der Entwicklungs- und Produktionszyklen im Automotive-Bereich, die durchaus bis zu fünf Jahre dauern können, bleibt den Zulieferern wenig Zeit, ihre operative, aber auch finanzielle Transformation umzusetzen.

Was bedeutet das für die Unternehmen?

Weber: Sie müssen auf ihre Liquidität achten und Kosten reduzieren – und das durchaus schnell, aber auch langfristig. Das kommt daher, dass sich die Branche grundlegend verändert hat: Der Automotive-Bereich war schon immer zyklisch. In Krisenzeiten lautete die wesentliche Frage gerade für Zulieferer immer: Wie lange dauert es, bis wir das Tal der Tränen durchschritten haben? Dass die Abrufe der Hersteller und die Umsätze wieder kommen, stand für die Automobilzulieferer gleichwohl immer außer Frage.

Finanzbedarf gestiegen

Wie sieht es heute aus?

Weber: Der Automatismus der Erholung nach der Krise gilt nicht mehr, seit sich Krise an Krise reiht. Neben dem Energie- ist ja der Automotive-Bereich besonders von der Halbleiter-Krise betroffen. Die Hersteller konnten und können wegen der Engpässe bei den wichtigen Chips, aber auch bei anderen Materialien weniger Fahrzeuge produzieren und verschieben daher die Abrufe bei ihren Zulieferern. Das führt bei diesen zu teils sehr kurzfristigen Umsatzrückgängen. Gleichzeitig steigen Rohstoff-, Energie- und Produktionskosten mitunter zweistellig, und nicht jedes Unternehmen kann sie an seinen Kunden weitergeben. Fakt ist: Zulieferer sind durch ihre Sandwich-Position von den aktuellen Verwerfungen in der Automobilbranche extrem betroffen. Für immer mehr Zulieferer bedeutet das, dass sie nun parallel zur Bewältigung der zunehmenden Herausforderungen ihre Geschäftsmodelle überdenken und die Transformation der Branche stemmen müssen. Das steigert den Finanzierungsbedarf enorm.

Die Finanzierung spielt auch bei der Herstellung und der Nutzung von Wasserstoff eine große Rolle. Bislang waren die Kosten für grünen Wasserstoff vergleichsweise hoch. Wie sieht hier die Entwicklung aus, Herr Paterna?

Paterna: Bei den Kosten für die Herstellung von grünem Wasserstoff müssen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Grundsätzlich ist es aber so, dass die Herstellungs und Bereitstellung von grünem Wasserstoff immer günstiger und inzwischen durchaus wettbewerbsfähig zu nicht klimaneutralen Wasserstoffvarianten und anderen Energiequellen wird.

Grüner Wasserstoff wird wettbewerbs­fähig

Welche Faktoren sind das?

Paterna: Zum einen ist da die Stromart, mit der der grüne Wasserstoff hergestellt wird: Wird z. B. Solarstrom für die Elektrolyse genutzt, hat die Internationale Agentur für erneuerbare Energien, die IRENA, berechnet, dass ein Kilogramm grüner Wasserstoff knapp sechs Euro kostet. Mit Windenergie sinken die durchschnittlichen Herstellungskosten auf etwas über vier Euro pro Kilogramm grünen Wasserstoffs. Das ist insofern von Bedeutung, da wir in Deutschland gerade an den Küsten von Nord- und Ostsee, aber auch auf dem Meer die Energie des Windes stabil nutzen können. Die IRENA kommt zu dem Ergebnis, dass regional – je nach Verfügbarkeit von Strom aus erneuerbaren Energien – die Herstellung eines Kilogramms grünen Wasserstoffs für bis zu 2,50 Euro möglich ist. Das sind Preise, bei denen grüner Wasserstoff im Vergleich zu anderen Energieträgern absolut wettbewerbsfähig ist – von seiner Klimaneutralität einmal ganz abgesehen. Zudem ist damit zu rechnen, dass die Kosten für die Herstellung von grünem Wasserstoff in Zukunft noch weiter sinken werden.

Wie kommt das?

Paterna: Ein maßgeblicher Faktor ist, dass mit dem Markthochlauf der Einstieg in die industrielle Fertigung mit entsprechenden Kostenvorteilen gelingt. Ein gutes Beispiel ist Bosch. Das Unternehmen hat kürzlich angekündigt, europaweit in die Produktion von Elektrolyseuren einzusteigen. Die Markteinführung peilt Bosch für 2025 an und will bis dahin gut drei Milliarden Euro in klimaneutrale Techniken investieren. Das zeigt das Potenzial, das auch die Wirtschaft im grünen Wasserstoff sieht. Deutschland hat hier die Möglichkeit, sich als technischer Innovationsführer zu etablieren. Gleichzeitig können wir uns aber auch als Vorreiter einer CO2-neutralen Zukunft positionieren. Grüner Wasserstoff ist eine vielversprechende, wenn nicht sogar die einzige Option, die aktuelle Energiekrise nachhaltig – also langfristig und klimafreundlich – zu lösen. Wichtig ist, dass alle Beteiligten der Wasserstoff-Wertschöpfungskette, aber insbesondere die politischen Entscheidungsträger auf nationaler und europäischer Ebene an einem Strang ziehen.

Hilfe durch die Instrumente des Sanierungs- und Insolvenzrechts

Stichwort Nachhaltigkeit, Herr Weber. Was kann denn ein Unternehmen, also zum Beispiel ein Automobilzulieferer, machen, der sich in einer wirtschaftlichen Krise befindet, um sich nachhaltig – im Sinne von langfristig – neu aufzustellen?

Weber: Die von Herrn Paterna angesprochene Energiekrise betrifft viele Unternehmen und zeigt einmal mehr: Kein Unternehmen ist davor gefeit, in eine wirtschaftliche Schieflage zu geraten. Die gute Nachricht ist, dass das deutsche Insolvenzrecht Unternehmen vielfältige Möglichkeiten bietet, Krisen zu meistern und sich im Zuge einer Sanierung neu aufzustellen. Seit Januar 2021 können Unternehmen mit dem StaRUG zudem die Möglichkeit einer vorinsolvenzlichen Restrukturierung nutzen. Wie beim grünen Wasserstoff ist es auch bei einer Neuaufstellung eines Unternehmens wichtig, dass die handelnden Personen die Instrumente und Verfahren als eine Erfolg versprechende Option verstehen und mit Fachleuten prüfen, ob diese im konkreten Fall die Probleme des Unternehmens lösen kann. Droht einem Unternehmen die finanzielle Schieflage, sollten die Verantwortlichen so früh wie möglich fachliche Expertise und Unterstützung an Bord holen.

Nachhaltiger Neustart

Wie nachhaltig sind Unternehmenssanierungen?

Weber: Eine Insolvenz bedeutet nicht automatisch das Ende eines Unternehmens, sondern kann vielmehr die Chance auf einen nachhaltigen Neustart darstellen. Das bestätigt eine Untersuchung, bei der wir als Schultze & Braun die Nachhaltigkeit von Unternehmenssanierungen anhand von sog. Zweitinsolvenzen unter die Lupe genommen haben. Eine Zweitinsolvenz liegt vor, wenn ein Unternehmen nach einer ersten Sanierung erneut den Gang zum Insolvenzgericht antreten musste. Bekannte Beispiele sind etwa die Warenhauskette Strauss Innovation, der Automobilzulieferer JD Norman, die Druckerei Offizin Andersen Nexö, der Fahrradhersteller MIFA oder der Freizeitgerätehersteller Kettler. Die Kernerkenntnis der Untersuchung ist, dass sowohl Regelinsolvenzverfahren als auch die sog. ESUG-Verfahren – die Eigen­verwaltung und das Schutzschirmverfahren – für erfolgreiche und nachhaltige Sanierungen von Unternehmen stehen.

Auswirkungen des ESUG

Wie kommen Sie zu dieser Erkenntnis?

Weber: Wir haben anlässlich des zehnten Jahrestages des ESUG den Zeitraum von März 2012 bis September 2021 untersucht. Für diese neuneinhalb Jahre wurden auf Basis von Daten von STP Business Information insgesamt 132 Zweitinsolvenzen identifiziert. Vor dem Hintergrund einer vorab festgelegten Definition haben davon 114 Eingang in die Untersuchung gefunden. Fakt ist: Die Anzahl der identifizierten Zweitinsolvenzen bewegt sich bei Eigen­verwaltungen und Schutzschirmverfahren – den sog. ESUG-Verfahren – auf einem niedrigen Niveau: Bei 44 der 114 Zweitinsolvenzen ist die Erstsanierung in Eigen­verwaltung oder Schutzschirmverfahren erfolgt. Führt man sich vor Augen, dass es seit März 2012 rund 2.200 ESUG-Verfahren gegeben hat, kann sich die Nachhaltigkeitsquote definitiv sehen lassen – auch wenn keine Daten dazu vorliegen, wie viele der Verfahren im ersten Anlauf zu einer Sanierungslösung geführt haben.

Lässt die Untersuchung auch Rückschlüsse auf den Erfolg der ESUG-Reform zu?

Weber: Unsere Untersuchung zeigt, dass sich die ESUG-Reform in der Praxis bewährt hat. Das belegt ein genauerer Blick auf die Zweitinsolvenzen-Welle, die sich in den Jahren 2017 bis 2019 aufgebaut hat. 76 der insgesamt 114 Zweitinsolvenzen gibt es in diesen drei Jahren, in denen die Zahl der Insolvenzen ansonsten zurückging. Die Untersuchung zeigt, dass bei diesen 76 Zweitinsolvenzen die Mehrzahl der Erstinsolvenzen zwischen zwei und fünf Jahren zurückliegt – also auch in den Anfangsjahren des ESUG. Fakt ist: Damals wurden die neue Eigen­verwaltung und das Schutzschirmverfahren sicherlich auch ausprobiert, um Erfahrungen zu sammeln. Allerdings zeigen Auswertungen der einzelnen Jahre 2017 bis 2019, dass diese Phase des Ausprobierens keinen negativen Effekt auf die Nachhaltigkeit der Sanierungen in Eigen­verwaltung und Schutzschirmverfahren gehabt hat.

Hohe Nach­haltigkeitsquote bei den Erstsa­nierungen

Wie sieht das Bild bei den Regelinsolvenzen aus?

Weber: Sie müssen den Vergleich mit den ESUG-Verfahren nicht scheuen. 70 der 114 Zweitinsolvenzen sprechen bei mindestens 54.400 Regelinsolvenzen im Untersuchungszeitraum ebenfalls für eine hohe Nachhaltigkeitsquote bei den Erstsanierungen. Mit dem Blick auf die Nachhaltigkeit der Sanierung ist es wichtig, dass das passende Verfahren für jedes Unternehmen in jedem Einzelfall individuell geprüft und ausgewählt wird. Zudem ist es wichtig, die Ursachen anzugehen, die zur Insolvenz geführt haben. Lediglich die Passivseite der Bilanz zu reduzieren und dann operativ nach der Devise „weiter so wie bisher“ vorzugehen, mag kurzfristig zu einem Erfolg führen. Um jedoch eine nachhaltig erfolgreiche Unternehmenssanierung zu erreichen, darf man sich nicht davor scheuen, auch tiefgreifende Einschnitte vorzunehmen. Denn: Von einer nachhaltigen Unternehmenssanierung profitieren am Ende alle.

Untersuchung zur Nachhaltigkeit von Unternehmenssanierungen

Die Warenhauskette Strauss Innovation, der Automobilzulieferer JD Norman, die Druckerei Offizin Andersen Nexö, der Fußballverein Offenbacher Kickers, die Nachrichtenagentur dapd, der Fahrradhersteller MIFA, der Freizeitgerätehersteller Kettler – alle diese Unternehmen haben eines gemeinsam: Sie haben in den vergangenen zehn Jahren mindestens zweimal einen Insolvenz­antrag gestellt. Oder anders formuliert: Die erste Sanierung war nicht so nachhaltig, dass die Unternehmen danach den erneuten Gang zum Insolvenz­gericht vermeiden konnten. Die Folge war eine Zweitinsolvenz.

In der Untersuchung zur Nachhaltigkeit von Unternehmenssanierungen hat Schultze & Braun den Fokus auf diese besonderen Verfahren gelegt. Das Ziel ist es, in regelmäßigen Untersuchungen herauszufinden, wie erfolgreich und nachhaltig Sanierungen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, einer Eigen­verwaltung oder eines Schutzschirmverfahrens sind und damit einen Beitrag zur Qualität und Nachhaltigkeit von Unternehmenssanierungen leisten.

Klimaneutrale EU

Einschnitte gibt es ja auch durch die aktuellen Krisen. Gleichwohl stellen Krisen immer auch Chancen dar. Ist das auch beim Thema Wasserstoff so, Herr Paterna?

Paterna: Wasserstoff hat ein enormes Zukunftspotenzial. Er ist für die Diversifizierung der Energiequellen und den ökologischen Wandel unverzichtbar. Dieses Zitat stammt nicht von mir, sondern von der für den Wettbewerb zuständigen EU-Kommissarin Margrethe Vestager. Unter dem European Green Deal will die EU bis 2050 klimaneutral werden. Hierfür sollen eine Billion Euro aus staatlichen und privaten Quellen investiert werden. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton unterstrich das Ziel, dass EU-Unternehmen in der Wasserstoffindustrie führend werden. Wir sprechen von 20.000 neuen Arbeitsplätzen. Immer unter dem Vorbehalt, dass nicht dieselben Fehler wie in der Photovoltaik-Branche gemacht werden. Alleine Deutschland hat für die IPCEI-Projekte zur Förderung von grünem Wasserstoff neun Milliarden Euro im Rahmen der nationalen Wasserstoffstrategie bereitgestellt und peilt eine Gesamtleistung von fünf Gigawatt bis 2030 an. Neben der Industrie soll auch der Einsatz im Verkehr gefördert werden.

Förderung aus IPCEI-Projekt

Wofür steht IPCEI?

Paterna: Die Abkürzung IPCEI bedeutet „Important Project of Common European Interest“. Das Bundeswirtschaftsministerium übersetzt das mit „ein transnationales, wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse, das mittels staatlicher Förderung einen wichtigen Beitrag zu Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und Wirtschaft leistet“ zutreffend ins Deutsche. Bereits 2021 konnten sich deutsche Unternehmen mit Investitionsvorhaben und geplanten Projekten um eine Förderung aus dem IPCEI-Projekt bewerben. Stand Mai 2021 hatte das Bundeswirtschaftsministerium 62 Unternehmen als mögliche IPCEI-Standorte ausgewählt, und ich bin mir sicher, dass es künftig noch mehr werden. Die Nachfrage wird steigen – nicht nur nach finanzieller Förderung, sondern auch nach grünem Wasserstoff als entscheidendem Bestandteil der Energie- und Rohstoffwende. Wichtig ist aber, dass dabei alle Beteiligten beim Thema Wasserstoff zusammenarbeiten – also die Industrie, die Kommunen und kommunalen Einrichtungen, aber auch Vereine und Verbände sowie Forschungsinstitute.

Dass alle zusammenarbeiten, ist auch bei Restruktu­rierungen und Sanierungen wichtig. Wie läuft das ab, Herr Weber?

Weber: Um eine Unternehmenskrise erfolgreich und nachhaltig zu bewältigen, ist es entscheidend, die Restrukturierung oder Sanierung professionell zu steuern. Dabei handelt es sich um einen maßgeblichen Erfolgsfaktor – unabhängig davon, ob das Unternehmen eine StaRUG-Restrukturierung, eine Eigen­verwaltung, ein Schutzschirm- oder ein Regel-Insolvenzverfahren durchläuft. Wichtig ist, dass die Steuerung eines Restrukturierungs- oder Sanierungsprojektes so früh wie möglich aufgesetzt und implementiert wird.

Ablauf einer Sanierung

Wie funktioniert das?

Weber: Das lässt sich gut an den Schritten in einer StaRUG-Restrukturierung, aber auch in einer Eigen­verwaltung oder einem Schutzschirmverfahren darstellen. Im ersten Schritt werden die einzelnen Maßnahmen qualitativ und quantitativ beschrieben, die umgesetzt werden sollen. Zudem werden ein Zeit- bzw. Meilensteinplan und die Verantwortlichkeiten sowie die handelnden Personen definiert. Sie kommen dann in regelmäßigen Turnussen als eine Art Lenkungsausschuss für die Restrukturierung oder Sanierung zusammen.

Wer sind die handelnden Personen?

Weber: Dabei handelt es sich um ein gemischtes Management, das sowohl aus Vertretern der Geschäftsführung bzw. des Unternehmens, aber auch aus Externen wie etwa dem sog. Chief Restructuring Officer (CRO) besteht, der die Restrukturierung oder Sanierung leitet. Er hat im Blick, dass die zu Beginn definierten Maßnahmen eingehalten oder bei Bedarf angepasst sowie umgesetzt werden. Dadurch, dass sich ein CRO während der Neuaufstellung um die insolvenzrechtlichen Belange einer Restrukturierung oder Sanierung kümmert und die Kommunikation und Abstimmung mit allen Stakeholdern strukturiert und führt, hilft er, die Sanierungsmaßnahmen konsequent umzusetzen und den langfristigen Unternehmenserfolg zu sichern. Die Geschäftsleitung kann dabei weiter den Fokus auf dem normalen Tagesgeschäft behalten.

Können Sie die Vorteile einer Neuaufstellung mithilfe des Insolvenzrechts kurz zusammenfassen?

Weber: Gerade in herausfordernden Fällen mit hohem operativem Restrukturierungsbedarf kann man mit einem Insolvenzverfahren – in Eigen- oder in Fremdverwaltung – in kurzer Zeit viel erreichen, um eine finanzielle und operative Krise in einem Unternehmen anzugehen und am Ende zu meistern. Die Dynamik und der Veränderungsdruck in einem solchen Verfahren führen oft zu Ergebnissen, die man vorher nicht erwartet hat.

Umbau der Energiewirtschaft: Wasserstoff wichtiger Baustein

Dynamik und Veränderungsdruck sind gute Stichworte. Herr Paterna, wie fassen Sie die Vorteile von grünem Wasserstoff zusammen?

Paterna: Grüner Wasserstoff ist zurecht ein Hoffnungsträger für die Energie- und Rohstoffwende und eine realistische Lösung für die aktuelle Energiekrise. Er kann als Basis für Kraft- und Brennstoffe dienen, um etwa in Industrie und Verkehr Kohle, Öl und Erdgas abzulösen – also für eine grundlegende Neuaufstellung dieser Bereiche sorgen, die nachhaltig und klimafreundlich ist. Man darf in diesem Kontext nicht vergessen, dass es um nichts anderes geht als den kompletten Umbau der weltweiten Energieinfrastruktur. Diese Mammutaufgabe braucht Zeit und fordert Durchhaltevermögen auf allen gesellschaftlichen Ebenen – um eine „enkelgerechte“ Zukunft zu gestalten.

Die Interviewpartner:

Die Interviewpartner sind gemeinsam in dem Unternehmen engate engagiert – einer digitalen Plattform für Wasserstoffmanagement.

Autor

Dr. Mischa Paterna ist Geschäftsführer des Wasserstoffenergieclusters Mecklenburg-Vorpommern e. V., Mitglied der Energiekommission des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) und Leiter des Handlungsfeld 2 der Norddeutschen Wasserstoffstrategie. Vor zwölf Jahren gründete er die Firma Suncycle, den führenden After-Sales-Dienstleister im Photovoltaikmarkt – an der er noch heute beteiligt ist.
E-Mail: mischa.paterna@wecmv.de

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