Insolvenzstatistiken

Von Dr. Elske Fehl-Weileder, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht

Nachdem die deutsche Wirtschaft bereits seit 2020 durch die Corona-Pandemie erheblich durchgeschüttelt worden ist, trafen sie nach der Flutkatastrophe im vergangenen Jahr nun auch noch die Folgen des Ukraine-Krieges und der daraus resultierenden Energiekrise ins Mark. Da Deutschland wie kaum ein anderes europäisches Land von russischen Gas-Importen abhängt, sind die Auswirkungen der Marktveränderungen erheblich. Die „Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2022“ (auch „Herbstgutachten“ genannt) der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute steht daher auch unter der vielsagenden Überschrift „Energiekrise: Inflation, Rezession, Wohlstandsverlust“. Erwartet wird demzufolge für das Jahr 2022 ein Anstieg des Bruttoinlandsproduktes um 1,4 % – also noch keine Rezession, aber immerhin eine Halbierung der noch im Frühjahr für dieses Jahr aufgestellten eigenen Wachstumsprognose. Dramatisch wird die Entwicklung dann im nächsten Jahr: Für 2023 sagen die Institute statt des noch im Frühjahr angenommenen Wachstums von 3,1 % einen Rückgang des BIP um 0,4 % voraus – und damit den Eintritt der in der Überschrift angedeuteten Rezession.

Ob sich im Kielwasser dieser Entwicklung die schon seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 prophezeite, aber nie eingetretene Insolvenzwelle aufbauen wird, darf bezweifelt werden. Auch in der aktuellen Krise zeichnet sich ab, dass der politische Wille der Regierungskoalition dahin geht, eine Pleitewelle zu verhindern. Wieder wird über erneute Hilfsmaßnahmen und Änderungen der InsO beraten, um den Unternehmen den Gang zum Insolvenzgericht möglichst zu ersparen. Dass die Insolvenzvermeidung in der jüngeren Vergangenheit aufgrund der ergriffenen Hilfsmaßnahmen gut geklappt hat, zeigen die in unserer Statistik aufgeführten Insolvenzzahlen – ob dies wirtschaftlich auf lange Sicht sinnvoll und nachhaltig ist, steht auf einem anderen Blatt.

So lag die Gesamtzahl der im Jahr 2021 eröffneten (Unternehmens-)Insolvenzen mit bundesweit 9.770 erstmals im vierstelligen Bereich und mit einem Rückgang von 11,7 % wiederum deutlich unter der Zahl des Vorjahres (11.063). Zwar hat sich der Rückgang damit im Vergleich zum Vorjahr etwas abgeschwächt (Rückgang im Jahr 2020 gegenüber dem Jahr 2019: 18,23 %), bewegt sich aber immer noch im zweistelligen Bereich, was in der Zeit seit 2011 vorher nie der Fall gewesen ist. Der anhaltende Rückgang ist insbesondere vor dem Hintergrund verwunderlich, dass im Jahr 2021 die Insolvenzantragspflicht bei Vorliegen von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit nach ihrer Corona-bedingten Aussetzung wieder flächendeckende Geltung hatte. Ein spürbarer Aufwärtstrend ergibt sich auch nicht aus den Zahlen für das 1. Halbjahr 2022: Rechnet man die in diesem Zeitraum deutschlandweit eröffneten 5.287 Verfahren hoch, so ergäbe sich ein Jahreswert von 10.574 Verfahren und damit noch immer ein geringerer Wert als in den vergangenen zehn Jahren.

Ein anderer Trend der letzten Jahre hat sich hingegen nicht fortgesetzt, sondern sogar umgekehrt: Die Höhe der von Insolvenzverfahren betroffenen Gläubigerforderungen hatte sich im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr stark erhöht: von 1,199 Mio. Euro pro Insolvenzantragsverfahren im Jahr 2019 auf 2,607 Mio. Euro im Jahr 2020, die Gesamtforderungen in Deutschland von 22,416 Mrd. Euro im Jahr 2019 auf 43,874 Mrd. Euro im Jahr 2020. Im darauffolgenden Jahr hat sich der Betrag der von einem Insolvenzantragsverfahren durchschnittlich betroffenen Forderungen auf 1,850 Mio. Euro reduziert, die Gesamtsumme der insolvenz­betroffenen Gläubigerforderungen ist im Jahr 2021 daher auf 25,688 Mrd. Euro gesunken. Die insolvenzbedingten Ausfälle haben sich also deutlich reduziert – zumindest die von „offiziellen“ Insolvenzverfahren erfassten Forderungen lassen diesen Schluss zu.

In Hinblick auf die regionale Verteilung der Insolvenzverfahren bergen die entsprechenden Aufstellungen wenige Überraschungen: Lediglich die Tatsache, dass das als wohlhabend geltende Düsseldorf die Nachbarstadt Dortmund aus den TOP 5 der insolvenzstärksten Gerichtsbezirke verdrängt hat, fällt ins Auge. Ansonsten werden die vordersten Plätze von den „üblichen Verdächtigen“ (Berlin, Hamburg, München und Köln) belegt, und es findet sich auch auf den weiteren 15 Plätzen nur ein Neuzugang gegenüber dem Vorjahr: Aachen hat Bonn in den TOP 20 ersetzt.

Keine Fortsetzung hat der im letzten Jahrbuch aufgezeigte Aufwärtstrend bei den Eigen­verwaltungen erfahren. Mit bundeweit 235 Verfahren lag deren Zahl wieder leicht unterhalb derer des Vorjahres (Jahr 2020: 266). Eine Aufteilung in „normale“ Eigen­verwaltungsverfahren und Schutzschirmverfahren lässt sich den Aufzeichnungen seit 2021 nicht mehr entnehmen, sodass eine genauere Differenzierung nicht getroffen werden kann. Ist die absolute Zahl der Eigen­verwaltungsverfahren auch gesunken – in Relation zu den noch stärker geschrumpften Gesamtverfahrenszahlen ergibt sich ein Anstieg des Anteils: Waren im Jahr 2020 noch 2,22 % aller Insolvenzverfahren sog. „ESUG-Verfahren“, so betrug deren Anteil im Jahr 2021 schon 2,41 % – der höchste Wert seit Inkrafttreten des ESUG vor zehn Jahren.

Wiederum wenig Überraschendes birgt die Aufstellung der TOP-10-Verwalterkanzleien – innerhalb der TOP 5 kommt es nur zu geringen Verschiebungen. Ähnlich wie in der Vorjahren bleibt auch der Anteil der Unternehmensinsolvenzverfahren, die deutschlandweit von einer der TOP-10-Kanzleien bearbeitet werden, bei etwas weniger als einem Viertel der Gesamtverfahren (Jahr 2021: 23,68 %) ungefähr im Rahmen des Vorjahreswertes (Jahr 2020: 24,03 %), während er im 1. Halbjahr 2022 sogar auf 25,27 % ansteigt.

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