Keine Privilegierung durch COVInsAG bei Zahlungen nach Insolvenzantrag

02. Juni 2022 Newsletter Restrukturierung und Sanierung

Das COVInsAG enthält zur Verhinderung einer COVID bedingten frühzeitigen Insolvenzantragstellung auch Privilegierungen für das Anfechtungsrecht. Dies gilt jedoch nicht immer.

Lesen Sie dazu eine aktuelle Entscheidung des LG Hamburg. Wir wünschen eine spannende Lektüre.

Prof. Dr. Andreas J. Baumert
Prof. Dr. Andreas J. Baumert

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

LG Hamburg: Keine Anwendbarkeit des § 2 Abs. 1 Nr. 4 S. 1 Halbs. 1 COVInsAG bei Zahlungen nach Insolvenzantragstellung

InsO § 129 Abs. 1, § 130 Abs. 1 Nr. 3, § 143 Abs. 1 Satz 1; COVInsAG § 1 Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs.1
LG Hamburg, Urteil v. 08.03.2022 – 303 O 53/21

I. Leitsatz des Verfassers
§ 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 1 COVInsAG ist auf nach Stellung des Insolvenzantrags erfolgte Zahlungen nicht anwendbar.

II. Sachverhalt
Der Kläger, Sachwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin, begehrt von der Beklagten, einer gesetzlichen Krankenkasse, Zahlungen aufgrund Insolvenzanfechtung für Zahlungen jeweils nach Insolvenzantragstellung, aber vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, im Zeitraum 24.9. bis 6.11.2020 gem. § 130 Abs. 1 InsO.

Die Klage war erfolgreich.

III. Rechtliche Wertung
Die Zahlungen, die im Zeitraum zwischen Insolvenzantragstellung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sind, seien anfechtbar. § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 COVInsAG stehe der Anfechtung dieser Zahlungen nicht entgegen, da diese die Anfechtung ausschließende Vorschrift auf die nach Antragstellung erfolgten Zahlungen keine Anwendung finde. Entsprechend habe die Kammer bereits mit Urt. v. 28.9.2021 - 303 O 64/21 - entschieden. Dem Telos des COVInsAG entsprechend müsse die Nichtstellung eines Antrages auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens immer in § 2 COVInsAG mithineingelesen werden. Die Insolvenzanfechtung sei nicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG ausgeschlossen, da der Ausschlusstatbestand aufgrund der gebotenen restriktiven teleologischen Auslegung auf einen solchen Fall nicht anzuwenden sei (LG München I, ZIP 2021, 218 = ZRI 2021, 950). Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 COVInsAG solle dazu dienen, die Geschäftsführer vor unzumutbaren Haftungsrisiken im Zusammenhang mit Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen zur Beseitigung einer Insolvenzreife zu schützen. Zudem sollen die Kreditgeber, Gesellschafter und Gläubiger des ordentlichen Geschäftsverkehrs nach § 2 COVInsAG durch Privilegien dazu motiviert werden, in der Sanierungsphase „an Bord zu bleiben“. Der Schuldner solle weder rechtlich (§ 15a InsO) noch faktisch durch den Abbruch von Geschäftsbeziehungen dazu gezwungen werden, in ein Insolvenzverfahren zu gehen, sondern dürfe die Phase der Unsicherheit zunächst überbrücken, solange seine Situation nicht aussichtslos zu gelten habe.

IV. Praxishinweis
Das LG Hamburg folgt der Rechtsprechung des LG München I (ZIP 2021, 218), welches zutreffend im Rahmen einer teleologischen Reduktion bei einem Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Anfechtungsprivileg des § 2 Abs. 1 Satz 4 COVInsAG als nicht anwendbar angesehen hatte. Das OLG München hatte diese Rechtsprechung bestätigt.

Dem gegenüber hatte eine andere Kammer des LG Hamburg mit Urteil vom 8.9.2021 (NZI 2022, 28 - 336 O 65/21) gegenteilig entschieden (zustimmend Krüger/Schmidt, EWiR 2022, 276; Bork, NZI 2022, 31). Das Argument, auch im vorläufigen oder eröffneten Insolvenzverfahren könne saniert werden, was gegen die Ablehnung einer teleologischen Reduktion für Zahlungen nach Insolvenzantrag nach dieser Auffassung spreche (LG Hamburg, NZI 2022, 28; Bork, NZI 2022, 31), überzeugt m.E. nicht. Richtig mag zwar sein, dass der Schuldner auch im Antragsverfahren die Lieferanten und Dauerschuldverhältnisse benötigt, um eine Sanierung in diesem Zeitraum zu erreichen. Zutreffend führt jedoch das LG Hamburg im hiesigen Besprechungsurteil unter Rückgriff auf die Gesetzesbegründung aus, dass die Nichtanwendbarkeit einer nach Antragstellung erfolgten Zahlung daraus folge, dass Ziel des COVInsAG ist, Unternehmen davor zu bewahren, frühzeitig in ein Insolvenzverfahren zu geraten. Die Unternehmen sollen Gelegenheit erhalten, die Insolvenz insbesondere unter Inanspruchnahme der bereitzustellenden Hilfe abzuwenden. Die Insolvenz wird jedoch nicht mehr abgewandt, wenn ein Eröffnungsverfahren vorliegt, nachdem bereits Insolvenzreife gegeben ist (vgl. auch Thole, ZRI 2022, 389, 392). Das LG Hamburg folgt daher im Besprechungsurteil zutreffend der zwischenzeitlich sich im Vordringen befindlichen Auffassung (vgl. Nachweise bei Krüger/Schmidt, EWiR 2022, 276; Bork, NZI 2022, 31). Eine klarstellende Rechtsprechung des BGH fehlt insoweit noch; zunächst wird das Hanseatische OLG im Berufungsverfahren hierüber entscheiden können (Az. 11 U 26/22).

Nachdem die streitgegenständlichen Zahlungen Zahlungen an gesetzliche Krankenkassen darstellen, bleibt - wie das LG München I bereits in einer überschießenden Zweitbegründung festgestellt hat - die weitere teleologische Reduktion, wonach die Anfechtungsprivilegierung nicht für Nicht-Vertragsgläubiger wie Finanzämter, Sozialversicherungsträger gilt (Krüger/Schmidt, EWiR 2022, 276, 278 m.w.N.; Bork, NZI 2021, 30, 31 m.w.N.). Das OLG München hat diese Frage offen gelassen. Auch insoweit darf mit Spannung auf eine gelegentliche Positionierung zunächst des Hanseatischen OLG und ggf. nachfolgend des BGH gewartet werden.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas J. Baumert, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht