Vorsatzanfechtung: Was muss der Insolvenzverwalter vortragen?

31. Oktober 2022 Newsletter Insolvenzrecht

Seit der Grundsatzentscheidung vom 6.5.2021 des IX. Senats zur Vorsatzanfechtung nach § 133 ist es in der Gerichtspraxis schwieriger für den Insolvenzverwalter geworden, einen Anspruch aus Vorsatzanfechtung erfolgreich zu begründen. Was muss der Insolvenzverwalter zur Prognoseentscheidung des Schuldners, ob er die Zahlungsunfähigkeit noch überwinden kann, und zur Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon vortragen?

Lesen Sie dazu eine aktuelle Entscheidung des OLG Brandenburg mit kritischem Praxishinweis. Wir wünschen eine spannende Lektüre.

Prof. Dr. Andreas J. Baumert
Prof. Dr. Andreas J. Baumert

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

OLG Brandenburg: Zu den subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung

InsO § 133
OLG Brandenburg, Urteil vom 01.06.2022 – 7 U 61/20, (LG Frankfurt (Oder))

I. Leitsatz des Verfassers
Aus der Zahlungsunfähigkeit wird nach Auffassung des Oberlandesgerichts Brandenburg weiterhin auf den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners geschlossen, ohne dass besondere Anforderungen an den Sachvortrag des Insolvenzverwalters dazu, der Schuldner habe keine positive Prognoseentscheidung zur Überwindung der Zahlungsunfähigkeit getroffen, zu stellen sind.

II. Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer GmbH, die es sich zum Geschäft gemacht hatte, Gewerbeimmobilien auf Kredit zu erwerben, um aus den Mieteinnahmen die Darlehen zurückzuzahlen und Gewinn zu erzielen. Die Beklagte zu 1, eine Bank, gewährte mehrere Darlehen. Die Beklagte zu 2 war auf Vorschlag der Beklagten zu 1 Verwalter der Grundstücke der Schuldnerin. Mietzahlungen gingen bei diesem Verwalter ein, die dann auf die Darlehenskonten des Schuldners bei der Beklagten zu 1 gebucht wurden. Der Kläger begehrt 242.875 EUR von den Beklagten als Gesamtschuldner, die zwischen dem 29.7.2011 und dem 13.7.2012 in Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit und Gläubigerbenachteiligungsabsicht aus Mieteinnahmen der Insolvenzschuldnerin vom Konto der Beklagten zu 2 auf Darlehenskonten gezahlt wurden. Neben einem Feststellungsantrag bezüglich weiterer Beträge verlangt der Kläger von der Beklagten zu 1 weitere 2.285.185 EUR aus Erlösen aus der Verwertung von Grundpfandrechten, die ihm zuständen, weil die Sicherheiten anfechtbar seien.

Erstinstanzlich hat das LG allein gegen die Beklagte zu 1 wegen den Mieteinnahmen einen Anspruch in Höhe von 193.928 EUR zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung des Klägers hiergegen wurde als unbegründet zurückgewiesen. Die Berufung der Beklagten zu 1 war nur zu einem geringen Teil begründet, die Anschlussberufung hingegen erfolglos.

III. Rechtliche Wertung
Der geltend gemachte Anspruch aus § 135 I 1 InsO und damit der ganz überwiegende Teil der Klage und der Berufung scheitern nach Auffassung des OLG daran, dass die Beklagte zu 1 als Bank nicht einem Gesellschafter gleich zu achten sei.

Die Klage auf Rückforderung der Zahlungen, die die Beklagte zu 1 bis zum Juli 2012 auf ihre Darlehensforderung erhalten hat, sei in Höhe eines Teils des ausgeurteilten Betrages (185.601 EUR anstatt dem ausgeurteilten Betrag von 193.928 EUR) begründet.

Die Anfechtungsvoraussetzungen des § 133 InsO lägen vor. Neben einer Rechtshandlung der Schuldnerin (dazu Rn. 43) sei auch eine Zahlungsunfähigkeit festzustellen. Stelle der Insolvenzverwalter die Liquidität anhand der Buchungsunterlagen fest, reiche es für ein wirksames Bestreiten nicht aus, pauschal zu behaupten, die Buchhaltung sei nicht ordnungsgemäß geführt. Vielmehr müsse der Anfechtungsgegner die einzelnen, in die Liquiditätsbilanz noch aufzunehmenden Zahlungsmittel oder herauszunehmenden Zahlungsunfähigkeiten darlegen und erforderlichenfalls beweisen (Urteil Rn. 50 unter zweifelhaftem Hinweis auf BGH, NZI 2018, 204, einem Fall eines Geschäftsführers (!) als Beklagen). Auf den Benachteiligungsvorsatz der Insolvenzschuldner könne aus deren Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden (Urteil Rn. 52). Hat der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit erkannt, sei für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz von entscheidender Bedeutung, dass der Schuldner wisse oder jedenfalls billigend in Kauf nehme, dass er seine übrigen Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig werde befriedigen können (Urteil Rn. 53). Dies könne aus der im Moment der Rechtshandlung gegebenen Liquiditätslage nicht in jedem Fall mit Gewissheit abgeleitet werden (Urteil Rn. 53 unter Hinweis auf BGH, NZI 2022, 425 m. Anm. Fehl-Weileder). Entsprechendes gelte auch für die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners (BGHZ 230, 28 Rn. 36 = NZI 2021, 720 m. Anm. Ganter). Die Anforderungen an die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO sei für die Entscheidung vom 6.5.2021 (BGH ebenda) entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1 nicht verschärft worden. Die vom Schuldner und Anfechtungsgegner erkannte Zahlungsunfähigkeit erfülle immer noch die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung; diese sei lediglich um die Anforderung, auch das künftige Unvermögen alle Gläubiger zu befriedigen, müsse zur Zeit der fraglichen Rechtshandlung bekannt sein (Urteil Rn. 55 unter Hinweis auf Ganter, NZI 2021, 725, 726). Die berechtigte Hoffnung auf Besserung stehe trotz erkannter Zahlungsunfähigkeit dem Vorsatz zwar danach entgegen und ebenso die berechtigte Annahme, Forderungen seien nicht fällig (BGH, NJW-RR 2022, 557).

Es sei aber unklar, was ein Insolvenzverwalter dazu (weiter) vortragen müsse, nachdem er allein die objektiven Anzeichen einer Zahlungsunfähigkeit darlegen könne. Er könne sich nur auf eine formelhafte Versicherung zurückziehen, er habe keine Anzeichen dafür ermitteln können, der Schuldner habe Fälligkeitszweifel oder Zukunftshoffnungen gehabt. Es sei unerfindlich, welche Einzelheiten über das Verhalten oder das Wissen und Nichtwissen der organschaftlichen Vertreter der Schuldnerin festgestellt werden sollten, um erst daraus den Schluss ziehen zu dürfen, sie hätten gewusst, dass die verfügbaren Mittel hinter den zu begleichenden Verbindlichkeiten bei Weitem zurückblieben und dass sich dies in den nächsten Wochen nicht ändern werde. Die Kenntnis der Beklagten zu 1 vom Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin sei in casu ohne Weiteres anzunehmen, weil sie die unzureichenden Zahlungen auf ihre eigenen Forderungen kannte und sie schließlich zur Kündigung veranlasst habe. Für die Kenntnis der Beklagten zu 2 spreche dagegen keine Vermutung; diese Kenntnis sei nicht feststellbar (Urteil Rn. 60).

IV. Praxishinweis
Nachdem die Entscheidung keinen amtlichen Leitsatz hat, werden bei Abdruck der Entscheidung unterschiedliche Leitsätze gewählt. Das OLG hatte sich zunächst auch mit der Frage befasst, ob die Masse ausreicht, um alle Gläubiger zu befriedigen (dazu Leitsatz ZRI 2022, 732). Ein ausreichender Bestand der Masse zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung führt nach insoweit zutreffender Auffassung des OLG zur Unbegründetheit der Anfechtungsklage (ZRI 2022, 732, Nr. 2 der Leitsätze der Redaktion). Die Leitsätze im Fachdienst Insolvenzrecht beziehen sich auf den geltend gemachten Anspruch aus § 135 I 1 InsO, wobei zutreffend betont wird, dass die doppelseitige Treuhand nicht zu einer Gesellschafterstellung der Begünstigten, also hier der Bank als Beklagte zu 1, führt. Wie hier liegt dagegen in der Besprechung von Clasen (IVR 2022, 112) der Fokus auf die kritisch zu sehenden Ausführungen des OLG zur Vorsatzanfechtung nach § 133.

Das OLG Brandenburg kritisiert die Grundsatzentscheidung vom 6.5.2021 (NZI 2022, 725) deutlich, in dem es annimmt, durch diese Entscheidung würden die Anforderungen an den notwendigen Sachvortrag des Insolvenzverwalters zur Prognoseentscheidung des Schuldners und Kenntnis hiervon im Dunkeln bleiben. In einem durchaus merkwürdig anmutenden Sprachstil (dazu Clasen, IVR 2022, 112) wird die Rechtsprechung in Frage gestellt, weil sie weiteren Sachvortrag verlange, der sich letztendlich auf pauschale Behauptungen zum Fehlen einer Besserungsmöglichkeit oder dem Fehlen einer Fälligkeit von Forderungen beschränke. Damit irrt das OLG Brandenburg! Zwar ist nach der Rechtsprechung des BGH in Fortentwicklung der Grundsatzentscheidung vom 6.5.2021 (eingehend Weinland, DGVZ 2022, 305 ff; Schneider DB 2022, 1051 ff.) für die Prognoseentscheidung des Schuldners, ob er alle seine Gläubiger befriedigen kann, es unbeachtlich, dass er eine solche Prognose über einen Zeitraum aufstellt, der eine Insolvenzverschleppung darstellt (BGH NZI 2022, 385 Rn 27; kritisch bereits Baumert, LMK 2022, 805371). Ist aber die Deckungslücke selbst bei optimistischer Einschätzung nicht schließbar (BGH, NZI 2022, 335 Rn 75), so ist keine rechtlich beachtenswerte Prognoseentscheidung auch nach der BGH-Rechtsprechung feststellbar (BGH ebenda). Dazu hätte das OLG klare tatrichterliche Feststellungen treffen müssen, aber auch können. Eine Liquiditätsbilanz lag vor. Wenn durchgehend der Deckungsgrad deutlich unter 90 % liegt, ist der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners tatrichterlich frei von Rechtsfehlern feststellbar, nachdem diese Feststellung nach den dem Schuldner und dem Anfechtungsgegner bekannten objektiven Umständen zu erfolgen hat (BGH, NZI 2021, 725, Leitsatz 3.) Insbesondere durchgehend bis zur Insolvenzantragsstellung nicht bezahlte Forderungen (BGH NZI 2013, 932) begründen jedenfalls dann, wenn der Anfechtungsgegner sie selbst als eigene offene fällige Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet hat, also positive Kenntnis hat, nicht nur eine Zahlungseinstellung (BGH ebenda), sondern es kann in solchen Fällen auch tatrichterlich festgestellt werden, dass der Schuldner Benachteiligungsvorsatz und der Anfechtungsgegner Kenntnis hiervon hatte. Andere OLG sind jedenfalls in der Lage, klare tatrichterliche Feststellungen zur Frage des Vorliegens einer Prognoseentscheidung des Schuldners zu treffen (vgl. etwa OLG Düsseldorf, ZInsO 2021, 1643 bei Umleitung von Zahlungsmitteln auf ein pfändungsfreies Konto).

Die „Wehleidigkeit“ des OLG Brandenburg ist damit fehl am Platz und verkennt die Grundlagen einer tatrichterlichen Feststellung nach § 286 ZPO zu inneren Tatsachen. Der Insolvenzverwalter muss lediglich objektive Umstände vortragen, die gegen eine Prognoseentscheidung zur Überwindung der Zahlungsunfähigkeit sprechen, der Tatrichter würdigt diese Indizien nach § 286 ZPO im Rahmen einer Gesamtwürdigung und schließt dann aufgrund dieser objektiven Umständen auf die behauptete innere Tatsache beim Schuldner. Dies ist auch für die Prognoseentscheidung des Schuldners möglich, da für eine Prognoseentscheidung des Schuldners dolus eventualis ausreicht. Zur Verneinung einer positiven Prognoseentscheidung genügt es festzustellen, dass der Schuldner es für möglich gehalten hat und sich damit abgefunden hat, dass die Zahlungsunfähigkeit nicht mehr (zeitnah) überwunden wird. Zu den Indizien, woraus dies geschlossen wird, trägt der Insolvenzverwalter jedenfalls in den oben beschrieben Fällen (deutlich zu geringer Deckungsgrad; durchgehend nicht bezahlte Forderungen) bereits im Hinblick auf den Sachvortrag zur Zahlungsunfähigkeit vor; ferner bleibt die Möglichkeit, sonstige eindeutige Indizien (z.B. wie beim OLG Düsseldorf ebenda) dazulegen. „Die Vorsatzanfechtung ist nicht tot“ (so die Überschrift der Anmerkung von Clasen, IVR 2022, 112). Sie beschränkt sich seit dem Grundsatzurteil des BGH vom 6.5.2021 und den Folgeurteilen jedoch auf relativ klare Fälle.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas J. Baumert, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Mehr Informationen zur Insolvenzanfechtung unter www-insolvenz-anfechtung.de