Schenkungsanfechtung im Rahmen eines Schneeballsystems

13. Juni 2022 Newsletter Insolvenzrecht

Die Schenkungsanfechtung nach § 134 InsO bei bewusst rechtsgrundlosen Zahlungen ist ein Dauerbrenner. Immer wieder geht es um die Frage der Kenntnis der Rechtsgrundlosigkeit (§ 814 BGB) der Organe des Schuldners bei Zahlung von Scheingewinnen oder Scheindividenden bzw. Scheinübergewinnbeteiligungen. Das bewusste Betreiben eines Schneeballsystems kann hier nach dem BGH ein Indiz darstellen.

Näheres – auch zum Verjährungsbeginn des hilfsweise geltend zu machenden Bereicherungsanspruchs – erfahren Sie in diesem Newsletter. Wir wünschen eine interessante Lektüre.

Prof. Dr. Andreas J. Baumert
Prof. Dr. Andreas J. Baumert

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

BGH: Schenkungsanfechtung im Rahmen eines betrügerischen Schneeballsystems

§ 134 InsO, § 199 I Nr. 2 BGB  
BGH, Urteil vom 07.04.2022 – IX ZR 109/20 (Thüringer Oberlandesgericht)

I. Leitsatz des Verfassers
Das bewusste Betreiben eines betrügerischen Schneeballsystems ist bei der tatrichterlichen Würdigung (§ 286 ZPO), ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 814 BGB vorliegen, als Indiz zu würdigen, nachdem – für den Fall, dass keine Fälschungen vorliegen – dadurch Kenntnis darüber begründet wird, dass die Ausweisung im Jahresabschluss von weiteren Gewinnen als die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne fehlerhaft ist.

Bei dem für den Fall geltend gemachten Bereicherungsanspruch, dass eine bewusste rechtsgrundlose Leistung nicht nachgewiesen werden kann, beginnt die Verjährung bereits mit Kenntnis des Schuldners zu laufen und nicht erst mit Kenntnis des Insolvenzverwalters. 

II. Sachverhalt
Der Kläger, ein Insolvenzverwalter über das Vermögen der P. AG (nachfolgend Schuldnerin), begehrt Rückzahlung von an die Beklagte erbrachten Ausschüttungen von Dividenden und Übergewinnbeteiligungen aufgrund Schenkungsanfechtung gem. § 134 InsO, hilfsweise aus bereicherungsrechtlichen Gründen (vgl. die Parallelentscheidung vom 7.4.2022 – IX ZR 107/20). Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der Neunte Zivilsenat hebt das Urteil des Berufungsgerichts auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

III. Rechtliche Wertung
Revisionsrechtlich sei davon auszugehen, dass die streitgegenständlichen Ausschüttungen an die Beklagte rechtsgrundlos seien. Der Genussrechtsvertrag, den die Beklagte mit der Schuldnerin geschlossen habe, sei weder nach § 138 BGB noch nach § 134 BGB nichtig (Rz. 13; BGH NJW 2021, 234, Rz. 14 mwN). Die streitgegenständlichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen seien dahingehend auszulegen, dass die materiellen Voraussetzungen der Ausschüttungen sich nach der objektiven (wahren) Ertragslage der Schuldnerin bestimmen (Urt. Rz. 14; BGH NJW 2021, 234, Rz. 21).

Damit komme es entscheidend – entgegen der Annahme des Berufungsgerichts – allein darauf an, ob die Schuldnerin in den streitgegenständlichen Jahren tatsächlich Gewinne erwirtschaftet habe. Ob dies der Fall war, hänge davon ab, ob die streitgegenständlichen Jahresabschlüsse, welche jeweils Gewinne ausgewiesen haben, fehlerhaft gewesen seien und bei fehlerfreier Erstellung der Jahresabschlüsse Gewinne nicht angefallen wären.

Das OLG habe die Kondiktionssperre des § 814 BGB nicht rechtsfehlerfrei verneint. Erforderlich sei positive Kenntnis der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung (Urt. Rz. 17). Bereits das Wissen, dass verschiedene bilanzielle Wertansätze aufgrund der bekannten Tatsachen überhöht waren, spräche dafür, dass den für die Schuldnerin handelnden Personen die Unrichtigkeit des einen Überschuss ausweisenden Jahresabschlusses bewusst gewesen sei. Nach der maßgeblichen Parallelwertung in der Laiensphäre könnten sie dann auch die rechtlichen Schlussfolgerungen gezogen haben, dass Ansprüche der Genussrechtsinhaber nicht bestanden hätten (Urt. Rz. 20, dazu bereits BGH NJW 2021, 234 Rn. 25 ff.).

Bei der Gesamtwürdigung zur Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 814 BGB hätte das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers, dass die Schuldnerin in den maßgeblichen Geschäftszweigen bewusst ein betrügerisches Schneeballsystem betrieben habe, nicht in Gänze außer Acht lassen dürfen (Urt. Rz. 23). Im Falle eines bewussten Schneeballsystems hätten die Organe gewusst, dass die über die tatsächlichen erwirtschafteten Gewinne weitere Gewinne ausweisenden Jahresabschlüsse fehlerhaft seien, weil sie unzulässige Bewertungen enthalten müssen (Urt. Rz. 23 mwN).

Soweit das Berufungsgericht einen etwaigen Bereicherungsanspruch für verjährt gehalten habe, sei dies rechtsfehlerfrei. Nicht nur bei einem Gläubigerwechsel durch Abtretung gem. § 398 BGB bei der Legalzession (§ 412 BGB) oder bei der Gesamtrechtsnachfolge müsse sich der neue Gläubiger entsprechend § 404 BGB die Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis des alten Gläubigers zurechnen lassen (Urt. Rz. 27 mwN). Dies gelte auch für den Fall eines Wechsels des Verwalters (BGH Urt. v. 30. 4.2015 – IX ZR 1/13, NZI 2015, 734). Etwas anderes gelte auch nicht bei der Bestellung eines Insolvenzverwalters und den damit gem. § 80 Abs. 1 InsO einhergehenden Übergang der Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse gehörenden Forderungen auf ihn.

IV. Praxishinweis
In einer früheren Parallelentscheidung (NJW 2021, 234 Rz. 31 mit Anmerkung Baumert, EWiR 2021, 23) hatte der BGH bereits die Kenntnis von dem betrügerischen Schneeballsystem als ausreichend für das Eingreifen des § 814 BGB angesehen. Der Senat hatte im Jahre 2018 zwar klargestellt, dass das Vorliegen eines Schneeballsystems allein nicht dazu führt, dass kein zivilrechtlicher Anspruch auf Zahlung besteht und damit eine rechtsgrundlose Leistung vorliegt (BGH, Urt. 5.7.2018 – IX ZR 139/17). Diese Frage der Rechtsgrundlosigkeit darf jedoch nicht verwechselt werden mit der Frage, ob Kenntnis von einer bewusst rechtsgrundlosen Leistung gem. § 814 BGB vorliegt (dazu bereits BGH, NJW 2021, 234 Rn. 31). Kommt es nach den maßgeblichen schuldverträglichen Vereinbarungen allein darauf an, ob tatsächlich Gewinn erwirtschaftet wurde oder nicht, so weiß die Schuldnerin, dass wenn weitere Gewinne neben tatsächlich erwirtschafteten Gewinnen im Jahresabschluss ausgewiesen sind, diese auf einem Schneeballsystem beruhen und daher die Jahresabschlüsse auf unzulässige Bewertungen beruhen müssen, weil sie nicht durch tatsächlich erwirtschaftete Gewinne gedeckt sind (Urt. Rz. 23 m.w.N.).

Bei einer nachgewiesenen bewusst rechtsgrundlosen Leistung schließt § 134 InsO den Bereicherungsanspruch nach § 812 BGB wegen § 814 BGB aus (dazu bereits Baumert, EWiR 2021, 23; Zoller, BB 2020, 2643). Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 814 BGB dagegen nicht beweisbar, kann der Zahlungsanspruch (hilfsweise) auf Bereicherungsrecht gestützt werden, wobei es sich um denselben Streitgegenstand handelt (BGH NJW 2021, 234 Rn. 42), wenn der Anspruch durch den Insolvenzverwalter in einer Klage anspruchskonkurrierend geltend gemacht wird (dazu Baumert, EWiR 2021, 23, 24). Zutreffend stellt der BGH zur Frage des Beginns des Laufs der Verjährungsfrist nach § 199 I Nr. 2 BGB auf die Kenntnis bzw. grobfahrlässige Unkenntnis der Organe der Schuldnerin ab (vgl. den amtlichen Leitsatz bei BGH Urt. v. 7.4.2022 – IX ZR 107/20) und nicht auf die Kenntnis des bestellen Insolvenzverwalters. Dieser Bereicherungsanspruch stand bereits der Schuldnerin zu (im Parallelverfahren BGH NZI 2021, 973 Rz. 39 wurde diese Frage m. E. deshalb zu Recht vom BGH nicht problematisiert), so dass auch der Verjährungsbeginn an deren Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis anzuknüpfen hat (Urt. Rz. 27).

Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas J. Baumert, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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