Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter

04. Oktober 2022 Newsletter Insolvenzrecht

Der BGH hat klargestellt, dass es sich bei einem unterbrochenen Rechtsstreit um einen anhängigen Rechtsstreit über die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung handelt, sofern diese Gegenstand des Rechtsstreits ist. Darüber hinaus muss der Rechtsstreit allerdings Fragen betreffen, die für die Feststellung der Forderung erheblich sind. Bei der Aufnahme eines solchen Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter kommt es nicht auf die Erfolgsaussichten an.

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Dr. Dirk Pehl
Dr. Dirk Pehl

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht

BGH: Bei einem unterbrochenen Rechtsstreit handelt es sich um einen anhängigen Rechtsstreit über die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung

§ 179 Abs. 2 InsO; § 756 Abs. 1 ZPO
BGH, Urteil vom 11.08.2022 – IX ZR 78/21 (OLG München)

I. Leitsatz des Verfassers
Es obliegt dem Bestreitenden, seinen Widerspruch zu verfolgen, wenn ein Gläubiger neben einem auf Zahlung Zug um Zug lautenden Titel auch über einen weiteren Titel verfügt, mit dem die Voraussetzungen für eine Zwangsvollstreckung aus dem Zug-um-Zug-Titel nachgewiesen werden.

Bei einem unterbrochenen Rechtsstreit handelt es sich um einen anhängigen Rechtsstreit über die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung, wenn die angemeldete Forderung Gegenstand des Rechtsstreits ist und der Rechtsstreit Fragen betrifft, die für die Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle erheblich sind.

Die Wirksamkeit der Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter hängt nicht von den Erfolgsaussichten seiner Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ab.

II. Sachverhalt
Der Schuldner wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 6.2.2012 verurteilt, an die Klägerin 21,25 Mio. EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übertragung des Eigentums an 2,5 Mio. Stück Aktien zu zahlen. Der Schuldner verweigerte die Zahlung sowie die Annahme der angebotenen Übertragung der Aktien. Er begründete dies damit, dass er bei Abschluss einer Optionsvereinbarung sowie des Kaufvertrages geschäftsunfähig gewesen sei. Die Klägerin drohte daraufhin den freihändigen Verkauf an und verkaufte die Aktien am 12.2.2013 zu einem Kaufpreis in Höhe von 6,25 Mio. EUR.

Im Anschluss erhob die Klägerin Klage mit dem Antrag, festzustellen, dass der Schuldner durch den freihändigen Verkauf der Aktien hinsichtlich der aus dem vorangegangenen Urteil Zug um Zug zu gewährenden Gegenleistung befriedigt sei. Das Landgericht gab der Klage statt. Die Berufung des Schuldners wurde zurückgewiesen. Aufgrund der Nichtzulassungsbeschwerde des Schuldners hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 18.9.2018 das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Am 9.10.2019 hat der Schuldner sodann Widerklage auf Feststellung erhoben, dass der durch Urteil des Vorprozesses vom 6.2.2012 titulierte Anspruch dadurch erloschen sei, dass die Klägerin die ihr obliegende Übergabe und Übereignung der Aktien nicht mehr erbringen könne. Darüber hinaus beantragte er festzustellen, dass der Klägerin aus dem Kaufvertrag über die Aktien keine Rechte mehr zustünden, weil ihm die Ausübungserklärung der Klägerin aufgrund seiner Geschäftsunfähigkeit nicht wirksam zugegangen sei oder er seine Willenserklärung wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten habe.

Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners wurde am 18.12.2019 eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Klägerin meldete daraufhin am 5.2.2020 die durch Urteil vom 6.2.2012 titulierte Forderung in Höhe von 21,25 Mio. EUR nebst Zinsen ungekürzt zur Insolvenztabelle an. Dieser Forderungsanmeldung wurde durch den Beklagten im Prüfungstermin widersprochen.

Der Beklagte hat sodann mit Schriftsatz vom 31.3.2020 die Aufnahme des Rechtsstreits hinsichtlich der Klage und hinsichtlich der Widerklage erklärt. Er beantragte, seinen Widerspruch für begründet zu erklären. Der Widerspruch wurde darauf gestützt, dass die durch die Klägerin angemeldete Forderung nicht wirksam entstanden, jedenfalls aber durch den Verkauf der Aktien an Dritte vollständig oder zumindest in Höhe des von der Klägerin bei dem Verkauf der Aktien erzielten Erlöses erloschen sei.

Das Berufungsgericht hatte mit Zwischenurteil ausgesprochen, dass das Verfahren seit dem 18.12.2019 unterbrochen sei. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte der Beklagte die Aufnahme des Rechtsstreits erfolgreich weiter. Die Revision führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur eigenen Entscheidung des Senats über den Zwischenstreit.

III. Rechtliche Wertung

Bei einem unterbrochenen Rechtsstreit handelt es sich um einen anhängigen Rechtsstreit über die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung, wenn die angemeldete Forderung Gegenstand des Rechtsstreits ist und der Rechtsstreit Fragen betrifft, die für die Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle erheblich sind.

Zunächst stellte der BGH klar, dass der Rechtsstreit durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 18.12.2019 unterbrochen und die Unterbrechung durch den Schriftsatz vom 31.3.2020 beendet worden sei. Er stellte klar, dass die Aufnahme ausschließlich unter den Voraussetzungen der §§ 85, 86, 180 Abs. 2 InsO in Betracht komme. Sowohl für die Klage als auch für die Widerklage sei die Wirksamkeit der Aufnahme jeweils selbstständig zu beurteilen (BGHZ, 217, 103 Rn. 15).

Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage diente der Durchsetzung des durch Urteil des Vorprozesses vom 6.2.2012 titulierten Zahlungsanspruchs. Hierbei handelte es sich um eine Insolvenzforderung iSd § 87 InsO. Nach Ansicht des BGH sei eine Fortsetzung des Berufungsverfahrens zur Abwehr dieser Forderung ausschließlich unter den Voraussetzungen der §§ 174 ff., 179, 180 Abs. 2 InsO möglich (BGH, NZI 2021, 669 Rn. 13). Die vom Insolvenzverwalter bestrittene Forderung ist nach § 179 InsO im Klageverfahren festzustellen. Sofern jedoch ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil für diese Forderung vorliegt, so obliegt es gem. § 179 Abs. 2 InsO dem Bestreitenden den Widerspruch zu verfolgen. Ist über die Forderung bereits ein Rechtsstreit anhängig, kann der Widerspruch gem. § 180 Abs. 2 InsO nur durch Aufnahme dieses Rechtsstreits verfolgt werden.

Maßgeblich für die Aufnahme nach § 180 Abs. 2 InsO ist, dass die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung Gegenstand des unterbrochenen Rechtsstreits ist und der Rechtsstreit Fragen betrifft, die für die Feststellung der Forderung zur Tabelle erheblich sind. Diese Voraussetzungen sah der BGH vorliegend als gegeben an.

Darüber hinaus stellte der BGH klar, dass sich das Rechtsschutzbedürfnis des Beklagten für die Aufnahme des unterbrochenen Klageverfahrens nach § 180 Abs. 2 InsO bereits daraus ergebe, dass ihm gem. § 179 Abs. 2 InsO die Betreibungslast obliege. Nach Auffassung des BGH könne dahinstehen, ob den Bestreitenden die Betreibungslast gem. § 179 Abs. 2 InsO bereits dann trifft, wenn der Gläubiger lediglich über einen Titel verfügt, der auf Zahlung Zug um Zug lautet. Diese Forderung sei jedenfalls dann iSd § 179 Abs. 2 InsO tituliert, wenn der Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen weiteren Titel erwirkt habe, mit dem die Vollstreckungsvoraussetzungen des § 756 Abs. 1 ZPO nachgewiesen sind. Nach Ansicht des BGH habe der Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens damit alles getan, um die Vollstreckung gegen den Schuldner betreiben zu können. Dadurch sei es gerechtfertigt, ihm nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die gegenüber dem Schuldner bereits erlangte Rechtsposition in der Weise zu erhalten, dass seine Forderung bei der Verteilung berücksichtigt werde, wenn nicht der Bestreitende seinerseits die gerichtliche Feststellung betreibt. Letztlich stellte der BGH klar, dass es sich bei beiden Widerklageanträgen um einen Rechtsstreit über die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung handelt. Eine Entscheidung über die Widerklageanträge würde dazu führen, dass eine Feststellung zur Tabelle gegebenenfalls ausscheide. Auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Aufnahme des unterbrochenen Widerklageverfahrens sei gegeben, da die Forderung iSd § 179 Abs. 2 InsO tituliert sei und damit die Betreibungslast des Beklagten begründe. Darüber hinaus sei die Wirksamkeit der Aufnahme gem. § 180 Abs. 2 InsO nicht davon abhängig, ob die von dem Schuldner eingeleitete Widerklage zulässig und begründet und ob die Verfolgung des Widerspruchs durch den Insolvenzverwalter erfolgversprechend sei.

IV. Praxishinweis
Unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung stellt der BGH hinsichtlich der Wirksamkeit der Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter auf das von prozessökonomischen Erwägungen getragene Ziel des § 180 Abs. 2 InsO ab (BGH, WM 2020, 1443 Rn. 12). Neben der Vermeidung des Kosten- und Zeitaufwandes eines selbstständigen Insolvenzfeststellungsprozesses sollen die bisherigen Prozessergebnisse erhalten werden. Zudem soll es ermöglicht werden, den anhängigen Prozess zu einem Abschluss zu bringen.

Rechtsanwalt Dr. Dirk Pehl, Fachanwalt für Insolvenzrecht