Tücken und Haftungsrisiken des vorläufigen Bestreitens von Forderungen

10. Juli 2023 Newsletter Insolvenzrecht

Eine aktuelle Entscheidung des BGH könnte dafür sorgen, dass sich der Insolvenzverwalter künftig intensiver Gedanken macht, ob, wie und mit welcher Begründung er eine zur Tabelle angemeldete Forderung bestreitet und wem gegenüber und wie er von diesem Bestreiten haftungsvermeidend wieder Abstand nehmen kann.

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Harald Kroth
Harald Kroth

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Insolvenzrecht

BGH: Adressat der Rücknahme des Widerspruchs des Insolvenzverwalters und anschließende Berichtigung der Insolvenztabelle

InsO §§ 60, 178 I InsO
BGH, Urteil vom 27. April 2023 – IX ZR 99/22 (LG Zwickau)

I. Leitsatz des Verfassers
Der Insolvenzverwalter kann nach seiner Wahl die Rücknahme des Widerspruchs gegenüber dem anmeldenden Gläubiger oder aber gegenüber dem Insolvenzgericht erklären.

Der Insolvenzverwalter muss nach der Rücknahme eines zuvor durch ihn erhobenen Widerspruchs, jedenfalls bei einem vorläufigen Bestreiten, auf eine Berichtigung der Insolvenztabelle hinwirken.

II. Sachverhalt
In dem im April 2009 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der U. GmbH meldete das Finanzamt für den Kläger Steuerforderungen iHv 59.065 EUR zur Tabelle an, die von dem zum Insolvenzverwalter bestellten Beklagte wegen fehlender Bestandskraft bzw. fehlender Titulierung und Klärungsbedarfs hinsichtlich der Höhe teilweise bestritten wurden. Mit Schreiben vom 4.8.2009 teilte der Beklagte dem Finanzamt mit, dass die angemeldeten Forderungen bis auf einen Restbetrag nunmehr anerkannt werden. Das Finanzamt reduzierte in der Folge die angemeldeten Forderungen gegenüber dem Insolvenzgericht. In der vom Insolvenzgericht am 6.4.2016 berichtigten Insolvenztabelle waren festgestellte Forderung iHv 7.562 EUR ausgewiesen, angemeldete und bestrittene Forderungen iHv 43.290 EUR. Nach Bekanntmachung des Schlusstermins am 1.6.2017 erhielt das Finanzamt vom Insolvenzgericht eine Abschrift des Schlussberichts und der Schlussrechnung, nicht aber die Tabelle. Am 15.2.2018 erhielt das Finanzamt die Tabelle mit Stand 31.1.2018 und bat mit Schreiben vom 16.2.2018 den Beklagten um eine Korrektur der Tabelle, was dieser als nicht mehr möglich ablehnte. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nahm der Kläger, da er auf die bestrittenen Forderungen keine Quote erhalten hatte, den Beklagten persönlich als Insolvenzverwalter auf Schadensersatz in Anspruch mit der Begründung, dass das Finanzamt Feststellungsbescheide nicht erlassen hat, weil der Beklagte die zuletzt angemeldeten Forderungen mit dem Schreiben vom 4.8.2009 anerkannt hatte, darauf eine Quote aber nicht erhalten hat.

Das Amtsgericht wies die Klage ab, die Berufung des Klägers blieb zwar erfolglos, die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers führte jedoch zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

III. Rechtliche Wertung
Der Insolvenzverwalter habe die angemeldete Forderung des Klägers vorläufig, damit aber iSd § 179 Abs. 1 InsO bestritten, da die InsO ein vorläufiges Bestreiten nicht vorsehe. Die Rücknahme des Widerspruchs habe der Insolvenzverwalter, so der BGH, gegenüber dem Gläubiger abgeben können, möglich wäre alternativ auch die Erklärung gegenüber dem Insolvenzgericht gewesen. Die Rücknahme des Widerspruchs gegenüber dem Kläger habe die nachträgliche Unrichtigkeit der Tabelle herbeigeführt. Auch wenn nach § 179 Abs. 1 InsO der Kläger selbst aktiv die Feststellung seiner angemeldeten Forderung betreiben müsse, sei zumindest in der vorliegenden Konstellation des vorausgegangenen vorläufigen Bestreitens der Insolvenzverwalter bei persönlicher Verantwortlichkeit nach § 60 InsO verpflichtet gewesen, alles zu tun, damit die Tabelle berichtigt werde, entweder durch Hinweis des Gläubigers auf das Erfordernis eines Antrags auf Berichtigung der Tabelle oder durch entsprechenden eigenen Berichtigungsantrag. Diese Pflicht habe der Insolvenzverwalter verletzt, daher stehe dem Kläger ein Schadenersatzanspruch gegen den Insolvenzverwalter zu.

U.a. wegen der noch erforderlichen Feststellung der weiteren Voraussetzungen des Anspruchs aus § 60 InsO hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück.

IV. Praxishinweis
Der BGH stellt unter Hinweis auf die Entscheidung vom 9.2.2006 (vgl. BGH IX ZB 160/04) klar, dass das der InsO fremde vorläufige Bestreiten, ein (zulässiges) Bestreiten iSd § 179 Abs. 1 InsO darstellt, der Insolvenzverwalter damit keine Pflicht nach § 60 InsO verletzt, er sich aber sowohl dann ersatzpflichtig machen kann, wenn er eine Forderung, an deren Berechtigung Zweifel bestehen, nicht vorläufig bestreitet, als auch dann, wenn er grundlos bestreitet (und den Widerspruch – ggfls. mit Kostenlast für den Gläubiger – dann aufgibt).

Die bislang nicht höchstrichterlich entschiedene Frage, ob der Insolvenzverwalter die Rücknahme eines Widerspruchs gegen eine zur Tabelle angemeldete Forderung nur gegenüber dem Gläubiger oder nur gegenüber dem Insolvenzgericht wirksam erklären kann, entscheidet der BGH im Sinne einer alternativen Wahlmöglichkeit. Zumindest bei der Rücknahmeerklärung nur gegenüber dem Gläubiger ändert sich allerdings in der Tabelle, in der der Widerspruch beurkundet ist, noch nichts. Das gilt sowohl dann, wenn der Insolvenzverwalter vorläufig bestritten und damit suggeriert hatte, wegen der Klärung auf den Gläubiger zuzukommen, als auch dann, wenn er („einfach/endgültig“) bestritten hatte. Wenn der Gläubiger betreibungspflichtig iSd § 179 Abs. 1 InsO ist, ist es dessen Sache, sich um die Feststellung seiner Forderung zu kümmern, (z. B. durch Erhebung einer Feststellungsklage). Das gilt unabhängig davon, ob der Insolvenzverwalter auf den Gläubiger zukommen wollte oder nicht, ob er dies getan oder unterlassen hat. Da aber der Insolvenzverwalter mit der Rücknahme des Widerspruchs die Unrichtigkeit der Tabelle herbeigeführt hat, unterliegt er nach der Entscheidung des BGH jedenfalls dann, wenn er vorläufig bestritten hatte, der insolvenzspezifischen Pflicht, „alles zu tun, was erforderlich“, damit die Tabelle berichtigt wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass der BGH diese (schrankenlose?) insolvenzspezifische Verwalterpflicht – ggfls. mit Abstrichen – auch bei Rücknahme „normalen“ Bestreitens annimmt, scheint eher höher zu sein als gering. Ob es unter Haftungsgesichtspunkten angezeigt ist, eine angemeldete Forderung nicht vorläufig, sondern zu bestreiten, muss der Insolvenzverwalter entscheiden. Die Entscheidung des BGH zeigt allerdings, dass bei der Wortwahl Vorsicht geboten ist, da sich die Vorläufigkeit des Bestreitens sinngemäß auch aus der Wortwahl der Begründung des Widerspruchs in der entsprechenden Tabellenspalte ergeben kann. Wie der BGH entschieden hätte, wenn zwar in der Tabelleneintragung eine Begründung des Widerspruchs nicht angegeben wird, aber aus der Kommunikation des Insolvenzverwalters mit dem gem. § 179 Abs. 1 InsO betreibungspflichtigen Gläubiger sich (konkludent) ergibt, dass der Insolvenzverwalter nicht auf die Klärung allein im Rahmen einer Feststellungsklage gesetzt hat, könnte eine Entscheidung ähnlich ausfallen.

Zumindest dann, wenn der Insolvenzverwalter nach dem Prüftermin seinen Widerspruch durch Erklärung an den Gläubiger oder das Insolvenzgericht aufgegeben hat, ist ihm zu empfehlen, die Tabellenberichtigung vor der Festsetzung des Schlusstermins aktiv direkt gegenüber dem Insolvenzgericht zu veranlassen. Dann dürfte er sich kaum einer Haftung wegen eines Gläubiger- Ausfallschadens aussetzen.  

Hat der Insolvenzverwalter im Prüfungstermin eine Forderung vorläufig bestritten, sich dazu aber im weiteren Verfahrensverlauf nicht oder nur in der Form geäußert hat, dass er dem Gericht einen Auszug mit seinem „endgültigen Bestreiten“ übermittelt hat, ist die Tabelle weiterhin richtig, so dass eine Pflicht des Insolvenzverwalters, die Berichtigung zu veranlassen, nicht bestehen kann. Nicht auszuschließen ist, dass der BGH gleichwohl gegenüber geschäftsunerfahrenen Gläubigern eine Haftung des Insolvenzverwalters annimmt, indem er in einem solchen Fall von einer Hinweis- und Warnpflicht des Insolvenzverwalters ausgeht.

Rechtsanwalt Harald Kroth, Fachanwalt für Insolvenzrecht