Haftung, die haften bleibt!

08. Mai 2025 Blog Insolvenzrecht Restrukturierung und Sanierung Wirtschaftsrecht

Wenn sich ihr Unternehmen in einer finanziellen Schieflage befindet oder absehbar in eine solche zu geraten droht, sollten Geschäftsleiter die möglichen Haftungsrisiken im Blick haben – gerade, da diese für sie nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) auch nach ihrem Ausscheiden weiterhin von großer Bedeutung sind. Thomas Dömmecke und Karsten Kiesel ordnen im Interview die Entscheidungen ein und erläutern, worauf Geschäftsleiter achten sollten.

Herr Dömmecke, Herr Kiesel, welche Bedeutung hat die Frage„Ist mein Unternehmen unter Umständen insolvenzreif?“ für Geschäftsleiter?

Dömmecke: Kein Unternehmen ist davor gefeit, in eine wirtschaftliche Schieflage zu geraten. Auch wenn das zunächst hart klingt, sollten sich Geschäftsleiter gerade angesichts der zahlreichen potentiellen Risiken bereits bei ersten Krisennzeichen regelmäßig mit der Frage „Ist mein Unternehmen unter Umständen insolvenzreif?“ befassen. 

Kiesel: Denn die Antwort darauf ist für Geschäftsleiter in Bezug auf ihre persönliche Haftung grundsätzlich von großer Bedeutung. Die diesbezüglichen Risiken sind mit dem Ausscheiden der Geschäftsleiter aus dem Unternehmen nicht zuverlässig in den Griff zu bekommen. Denn der BGH hat mit einer Entscheidung aus dem Juli 2024 die Geschäftsleiterhaftung in zeitlicher Hinsicht ausgeweitet. 

Was hat der BGH im Sommer 2024 entschieden?

Dömmecke: Die Karlsruher Richter haben entschieden, dass ein Geschäftsleiter auch nach seinem Ausscheiden dafür haften kann, dass er während seiner Amtszeit pflichtwidrig einen Insolvenzantrag nicht gestellt hat. Konkret ging es im Fall vor dem BGH um Schäden von einzelnen Gläubigern aus vier Verträgen, von denen drei während der Amtszeit des Geschäftsleiters und einer nach dessen Ausscheiden geschlossen worden waren, alle aber nach Insolvenzreife.

Kiesel: Mit dem Ausscheiden des Geschäftsleiters entfalle laut dem BGH zwar formell dessen Insolvenzantragspflicht, da nur der amtierende Geschäftsleiter einen solchen Antrag stellen kann. Der ausgeschiedene Geschäftsführer kann für einen Schaden, der bei einem Gläubiger der Gesellschaft entstanden ist, aber in der Verantwortung bleiben, wenn er vor seinem Ausscheiden eine Gefahrenlage nicht beseitigt hat, die erst nach seinem Ausscheiden zum Eintritt eines Schadens führt. Im Fall vor dem BGH gilt dies auch für neu abgeschlossene Verträge, die die Nachfolger in der Geschäftsleitung nach seinem Ausscheiden eingegangen sind, wenn diese bei rechtzeitiger Insolvenzantragsstellung nicht mehr zustande gekommen wären.

Man kann also durchaus sagen: Die Haftung bleibt am Geschäftsleiter bei einer Insolvenzverschleppung auch nach seinem Ausscheiden haften! 

Dömmecke: Definitiv! Da die nachgelagerte Haftung nach der BGH-Entscheidung zudem nicht zeitlich begrenzt ist, erhöht sie für Geschäftsleiter die Bedeutung der Antwort auf die Frage „Ist mein Unternehmen unter Umständen insolvenzreif?“ in zeitlicher Hinsicht enorm. Unabhängig davon sollten aber auch Rechtsanwälte und Steuerberater, die Unternehmen beraten, sowie Aufsichtsräte das Risiko einer persönlichen Haftung im Krisenfall nicht unterschätzen.

Bei Haftungsfragen für Geschäftsleiter spielen D&O-Versicherungen regelmäßig eine große Rolle. Hat der BGH auch in diesem Zusammenhang geurteilt?

Dömmecke: Ja, bei einer Entscheidung des BGH aus dem Dezember 2024 ging es originär um die Kündigungszeiträume bei einer D&O-Versicherung und die Frage, inwieweit der Versicherungsschutz für den Geschäftsleiter im Insolvenzfall gilt. Vereinfacht dargestellt, hat der BGH entschieden, dass bei einer D&O-Versicherung die Klausel „Diese D&O-Versicherung endet automatisch, wenn ein Insolvenzantrag gestellt wird“ nicht wirksam ist und eine Mindestkündigungsfrist von einem Monat zum Ende der Versicherungsperiode einzuhalten ist. 

Kiesel: Jedoch ist neben der Kündigungsfrist bei einer D&O-Versicherung das sogenannte claims-made-Prinzip von mindestens ebenso großer Bedeutung. Ein Versicherungsfall im Sinne solcher Versicherungsverträge tritt danach nicht bereits ein, wenn ein Organmitglied seine Pflicht verletzt und dadurch ein Schaden für die Gesellschaft entsteht. Erst, wenn das betreffende Organmitglied aufgrund eines Schadens erstmals in Anspruch genommen wird, gilt das als Versicherungsfall. Versichrungsschutz besteht grundsätzlich nur dann, wenn zu diesem Zeitpunkt der Versicherungsvertrag noch Bestand hat. Häufig enthalten D&O-Versicherungsbedingungen deshalb Nachmeldemöglichkeiten, die den Versicherungsschutz unter bestimmten Bedingungen auf eine spätere Inanspruchnahme ausdehnen. Dies ist gerade in Insolvenzfällen relevant, da die Inanspruchnahme durch Insolvenzverwalter häufig zeitlich verzögert erfolgt und die Versicherung dann bereits beendet sein kann. 

Was raten Sie Unternehmen und Geschäftsleitern vor dem Hintergrund der BGH-Entscheidung bei D&O-Versicherungen?

Dömmecke: Geschäftsleiter sollten mit dem Blick auf die BGH-Entscheidung gerade beim Abschluss einer D&O-Versicherung darauf achten, entweder eine Occurrence-Deckung – also eine ereignisbasierte Deckung nach dem Verstoßprinzip – vereinbart wird oder bei Verträgen nach dem claims-made-Prinzig Nachmeldefristen im erforderlichen Umfang ethalten sind, die auch im Insolvenzfall und bei einer Beendigung der Versicherung durch den Insolvenzverwalter gelten.

Kiesel: Bereits im Rahmen von anstehenden oder laufenden Anstellungsverträgen sollten Geschäftsleiter zudem die geltenden Versicherungbedingungen prüfen und später im Blick behalten, um die Aufrechterhaltung des D&O-Versicherungsschutzes  bei einem späteren Eintritt einer Unternehmenskrise nicht zu gefährden. Wenn es dafür bereits zu spät sein sollte, können auch individuelle Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes sinnvoll sein.

Die Interviewpartner:

Thomas Dömmecke

ist Rechtsanwalt bei Schultze & Braun. Er ist am Bremer Standort der bundesweit vertretenen Kanzlei tätig und Experte für Sanierungsberatung, Gesellschaftsrecht sowie für die Abwehr von krisen- und insolvenzspezifischen Haftungssachverhalten.

Karsten Kiesel

ist am Stuttgarter Standort der bundesweit vertretenen Kanzlei Schultze & Braun tätig. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Gesellschafts- sowie im Insolvenzrecht. Er verfügt über langjährige Erfahrung bei der prozessualen und außerprozessualen Abwehr von krisen- und insolvenzspezifischen Haftungsansprüchen.