BGH konkretisiert neue Rechtsprechung zu § 133 InsO

07. April 2022 Blog Restrukturierung und Sanierung

Der IX. Zivilsenat des BGH hat im Jahr 2020 unter dem neuen Vorsitzenden Grupp begonnen, die Vorsatzanfechtung gem. § 133 InsO aufgrund (drohender) Zahlungsunfähigkeit einzuschränken. Welche genauen Anforderungen er in Zukunft an die Feststellung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes in diesen Fällen stellen wird, ist noch nicht ganz klar. Die vorliegende Entscheidung führt jedenfalls zu weiteren Konkretisierungen.

Wir wünschen eine spannende Lektüre.

Dr. Peter de Bra

Rechtsanwalt

BGH: Die Drei-Wochen-Frist der §§ 15a, 15b InsO hat keine Bedeutung für die Ermittlung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes iSd § 133 Abs. 1 InsO

InsO § 133 Abs. 1, §§ 15a, 15b, 18  
BGH, Urteil vom 3.3.2022 – IX ZR 78/20 (OLG Frankfurt)

I. Leitsatz des Verfassers
Aus der Insolvenzantragspflicht oder dem Zahlungsverbot ergibt sich für den Benachteiligungsvorsatz keine Begrenzung des Zeitraums, den der Schuldner, der seine Zahlungsunfähigkeit erkannt hat, für eine künftige Befriedigung seiner Gläubiger in Betracht ziehen darf.

Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz kann nicht allein auf eine nur drohende Zahlungsunfähigkeit gestützt werden. 

II. Sachverhalt 
Der klagende Insolvenzverwalter verlangt von der beklagten Rechtsanwalts­gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung, insbesondere gem. § 133 I InsO, die Rückzahlung von Honoraren, die die Beklagte für die Sanierungsberatung der späteren Insolvenzschuldnerin von dieser erhalten hatte. Grund für die Beauftragung der Beklagten war, dass die Schuldnerin erkannt hatte, dass sie nicht in der Lage sein würde, eine in einigen Monaten fällig werdende – vor 2009 begebene – Wandelschuldanleihe in voller Höhe zurückzuzahlen. Sie versuchte mit Unterstützung der Beklagten, die Anleihe durch Mehrheitsbeschluss dem Schuldverschreibungsgesetz aus dem Jahr 2009 zu unterwerfen, um dann durch einfachen Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger eine Stundung der Forderungen mit anschließender Umwandlung in Eigenkapital zu erreichen. Die Sanierung scheiterte letztendlich an der entgegenstehenden Rechtsprechung des zuständigen OLG Frankfurt, das am 27.3.2012 in einem Parallelsachverhalt die Möglichkeit einer Unterstellung einer älteren Anleihe unter das Schuldverschreibungsgesetz aus dem Jahr 2009 durch Mehrheitsbeschluss verneinte. Die Schuldnerin zahlte an die Beklagte daraufhin den noch ausstehenden Teil deren Honorarforderung und stellte anschließend zeitnah einen Insolvenzantrag. Das Berufungsgericht wies die auf Rückzahlung der Honorarzahlungen vor dem 27.3.2012 gerichtete Anfechtungsklage ab und gab der Klage bezüglich der nach dem 27.4.2012 geleisteten Zahlungen statt. Die durch den Senat zugelassene Revision führte zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

III. Rechtliche Wertung 
Der BGH hält einerseits die Begründung, mit der das Berufungsgericht eine Anfechtung der ab dem 27.3.2012 erzeugten Zahlungen nach § 133 Abs. 1 InsO bejaht hat, für rechtsfehlerhaft. 

Er hält im Ausgangspunkt fest, dass nach seiner neuen Rechtsprechung ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht automatisch aus der erkannten Zahlungsunfähigkeit gefolgert werden könne. Maßgeblich sei, ob der Schuldner aufgrund der ihm bekannten Krisenursachen nach den objektiven Umständen erkannt habe, dass ein Insolvenzverfahren unvermeidlich sei und er tatsächlich keine Aussichten mehr habe, seine Gläubiger zukünftig zu befriedigen. Hinsichtlich des dabei zu beachtenden Zeitraumes ergäbe sich aus der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO oder dem Zahlungsverbot nach § 15b InsO keine Begrenzung. § 15a InsO und § 15b InsO regelten – im Gegensatz zu § 133 InsO – nicht den Interessenkonflikt zwischen dem Empfänger einer Leistung und der Gläubigergemeinschaft.

Allerdings gehe im konkreten Fall das Berufungsgericht zu Recht davon aus, dass jedenfalls nach der Entscheidung des OLG Frankfurt in dem Parallelsachverhalt am 27.3.2012 kein erfolgversprechender Sanierungsversuch mehr vorlag und der Schuldnerin im Hinblick auf die demnächst fällig werdende Wandelanleihe die Zahlungsunfähigkeit drohte. Auch daraus alleine könne jedoch nicht auf einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz geschlossen werden. Bei kongruenten Deckungen müssten zusätzliche, von der drohenden Zahlungsunfähigkeit unabhängige Umstände hinzutreten, damit im Stadium der nur drohenden Zahlungsunfähigkeit vorgenommene Deckungshandlungen nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar sein können. Dies könne unter Umständen vorliegen, wenn der Schuldner darauf verzichte, den von ihm als unvermeidlich erkannten Insolvenzantrag zu stellen, um diese Verzögerung des Insolvenzantrags zu nutzen, um bestimmte Gläubiger zu bevorzugen.

Andererseits hält der Senat auch die Entscheidung der Berufungsinstanz hinsichtlich der vor dem 27.3.2012 erfolgten Zahlungen für rechtsfehlerhaft. Grundsätzlich spreche zwar gegen einen Benachteiligungsvorsatz, wenn der Schuldner auf den Erfolg eines erfolgversprechenden Sanierungskonzeptes vertraue. Hinsichtlich der Leistung eines Sanierungsberaters spreche es gegen einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn der Schuldner mit der Vorstellung handle, dass eine Vergütung für dessen Beratungsleistung erforderlich sei, um die Erfolgsaussicht einer Sanierung zu prüfen, auch dann, wenn das Sanierungskonzept noch nicht einmal in den Anfängen in die Tat umgesetzt worden sei. Dazu, ob das Sanierungskonzept aussichtsreich gewesen sei, seien bislang jedoch keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Zur weiteren Sachverhaltsaufklärung sei der Rechtsstreit daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

IV. Praxishinweis
Die insgesamt 49 Seiten umfassende – stark vereinfacht dargestellte – Entscheidung betrifft einen aktuellen Fall der Anfechtung von Vergütungen von Beratungsleistungen nach einem gescheiterten Sanierungsversuch. Die Entscheidung bestätigt die neue Tendenz des Senates (BGH, Urt. v. 6.5.2020 – IX ZR 72/20), die Vorsatzanfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO einzuschränken und neben der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit weitere Indizien für diesen Vorsatz zu verlangen. Dem Senat war es offenbar ein Bedürfnis, sich mit der an seiner Entscheidung vom 6.5.2021 zwischenzeitlich in der Literatur geäußerten Kritik auseinanderzusetzen und dieser neuen Rechtsprechung mehr Konturen zu verleihen, auch wenn dies zur Entscheidung des konkreten Sachverhaltes wohl nicht in vollem Umfang erforderlich gewesen wäre. Tendenziell wird diese Rechtsprechung die Sicherung des Honorars von Sanierungsberatern erleichtern, wenngleich der Teufel im Detail steckt. Die Entscheidung enthält diesbezüglich noch eine Vielzahl weiterer Facetten, die in dem hier zur Verfügung stehenden Rahmen nicht dargestellt werden können. Jedenfalls jedem im Sanierungsbereich tätigen Berater sei daher die eigene Lektüre dieser Entscheidung ans Herz gelegt. Aber auch unabhängig von der im konkreten Fall vorliegenden Sanierungssituation gibt die Entscheidung Hinweise für die weitere Tendenz der Rechtsprechung des BGH im Bereich der Vorsatzanfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO.

Rechtsanwalt Dr. Peter de Bra 

Mehr Informationen zur Insolvenzanfechtung unter www-insolvenz-anfechtung.de