Betriebsübergang, Teilurteil und der vertiefte Blick in die ZPO

19. April 2022 Blog Insolvenzrecht

Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang sind für die Prozessbeteiligten nicht nur in Bezug auf den komplexen Tatbestand des § 613 a BGB eine Herausforderung. Die erste Weichenstellung im Prozess ist neben der Frage „Wer klagt gegen wen“ auch die richtige Antragstellung.

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Joachim Zobel
Joachim Zobel

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

LAG Hamm: Teilurteil bei einfachen Streitgenossen (vermeintlicher Betriebsübergang)

BGB § 613a Abs. 1 S. 1
ZPO § 59, § 60, § 240 S. 1, § 301 Abs. 1
InsO § 86 Abs. 1
LAG Hamm (8. Kammer), Urteil vom 16.09.2021 – 8 Sa 148/21 

I. Leitsatz des Verfassers
Werden in einem Kündigungsschutzprozess der bisherige Arbeitgeber und parteierweiternd auch die vermeintliche Erwerberin gemeinsam wegen der Unwirksamkeit einer Kündigung und des Übergangs bzw. des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses gem. § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB in Anspruch genommen, so scheidet der Erlass eines allein das Prozessverhältnis mit der Erwerberin betreffenden Teilurteils nach dem aus § 301 Abs. 1 ZPO abzuleitenden Gebot der Widerspruchsfreiheit von Teil- und Schlussurteil regelmäßig aus. 

II. Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob über die Frage der Begründung eines Arbeitsverhältnisses (AV) infolge eines streitigen Betriebsübergangs (BÜ) mit der Beklagten (urspr. Bekl. zu 2.) isoliert durch Teilurteil entschieden werden kann.

Der Kläger war bei der Bekl. zu 1. als Maschinen-/Anlagenführer beschäftigt. Nach dem Verlust einer Hauptkundin beschloss die Bekl. den Betrieb zu restrukturieren. Insoweit kündigte sie im Januar und August 2019 Arbeitnehmer in zwei Kündigungswellen. Die Kündigungen führten nicht zur Beendigung der AV. Im September nahm die Beklagte am Betriebsstandort der Bekl. zu 1. ihre Produktionstätigkeit auf und nutzte optisch abgegrenzte Teilflächen der bis dahin von der Bekl. zu 1. benutzten Produktionshallen, wobei sie sich ebenfalls mit Metallverarbeitung befasste und ein Produkt fertigte, das zuvor die Bekl. zu 1. fertigte. Die AN rekrutierten sich aus den AN der Bekl. zu 1.

Im März 2020 kündigte die Bekl. zu 1. in einer 3. Kündigungswelle den Großteil ihrer AN, darunter auch den Kläger zum 31.10.2020. Dagegen wehrte sich der Kläger zunächst ausschließl. gegen die Bekl. zu 1. mit einer Klage v. 16.4.2020, schriftsätzlich bezog er unter Hinweis auf einen BÜ die Beklagte in den Prozess ein, wobei er hilfsweise einen Beschäftigungsantrag und gesamtschuldnerisch mit der Bekl. zu 1. einen Antrag auf Nachteilsausgleich angekündigte. Dabei machte er geltend, dass sich der BÜ ab Oktober 2019, jedenfalls am 8.6.2020 mit der Einstellung der eigenen Produktion durch die Bekl. zu 1. vollzog. Auf Hinweis des Gerichts im Kammertermin, die Anträge seien widersprüchlich, stellte der Kläger sie allein gegen die Beklagte.

Das ArbG Hagen wies die Klage am 2.12.2020 im Wege des Teilurteils ab. Mit Beschl. v. 9.12.2020 eröffnete das AG Frankfurt bzgl. der Bekl. zu 1. das Insolvenzverfahren, was zu der Unterbrechung des Verfahrens gem. § 240 ZPO führte. Mit Schriftsatz vom 6.4.2021 nahm der Kläger das Verfahren gegen den Insolvenzverwalter (IV) auf. Gegen das Urteil des ArbG legte der Kläger Berufung beim LAG Hamm ein.

III. Rechtliche Wertung
Das LAG hob das Urteil auf und wies den Rechtsstreit an das ArbG Hagen zurück mit der Begründung, über Anträge des Klägers könne nicht durch Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO entschieden werden.

Zwischen dem IV und der Beklagten bestehe keine notwendige Streitgenossenschaft, da im Falle des BÜ der Betriebsinhaber und der Betriebserwerber gerade nicht gemeinschaftlich verfügungsbefugt seien. Mangels notwendiger Streitgenossenschaft sei zwischen dem Kläger und der Beklagten zu keinem Zeitpunkt eine Unterbrechung gem. § 240 S. 1 ZPO eingetreten, da die Insolvenzeröffnung (IE) über das Vermögen eines Streitgenossen das Verfahren gegen die übrigen Streitgenossen bei einfacher Streitgenossenschaft nicht unterbreche.

Nach der Rechtsprechung sei die Entscheidung durch Teilurteil ausgeschlossen, wenn dadurch die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen bestehe. Dies sei dann der Fall, wenn Klagen gegen mehrere Streitgenossen durch subjektive Klagehäufung in einem Prozess verbunden seien und im Teilurteil über Fragen entschieden werden müsse, die sich gegenüber den anderen Streitgenossen stellen könnten. Diese Gefahr sei dann begründet, wenn zwischen einer Mehrheit prozessual selbständiger Ansprüche eine materiell-rechtliche Verzahnung besteht. Dies sei vorliegend gegeben, weil die durch die Gesamtheit der Klageanträge aufgeworfenen rechtl. Fragen tatsächlich und rechtlich unmittelbar miteinander verzahnt sind.

Stelle man auf ein ab Oktober 2019 begonnenes Übergangsgeschehen ab, wäre die Bekl. zu 1. zum Zeitpunkt des Zugangs (30.3.2020) nicht mehr in der AG-Rolle. Dann wäre die Klage gegen den IV als unbegründet abzuweisen, was zugleich zum Obsiegen mit den gegen die Beklagte gerichteten Anträgen führen müsse. Denn ein übergegangenes AV wäre dann ungekündigt.

Stelle man auf ein am 8.6.2020 vollzogenes Übergangsgeschehen ab, wäre der BÜ in der laufenden Kündigungsfrist erfolgt. Über den Feststellungsantrag sowie über den Beschäftigungsantrag könne nicht entschieden werden, ohne inzident die Wirksamkeit der Kündigung zu überprüfen. Gerade darauf komme es im erstinstanzlich verbliebenen Teil entscheidend an.

Würde man, wie das ArbG, einen Übergang des AV verneinen, wäre denknotwendig der Nachteilsausgleich unbegründet. Dieser sei jedoch in erster Instanz verblieben, was die erneute inzidente Prüfung erfordere. Es bestehe somit die Gefahr sich widersprechenden Entscheidungen.

Das Teilungsverbot gem. § 301 Abs. 1 ZPO gelte jedoch nicht ausnahmslos. Es habe zurückzutreten, wenn der Anspruch einer Partei auf effektiven Rechtsschutz überwiege und die Gefahr sich widersprechender Entscheidung hingenommen werden müsse. Dies sei dann der Fall, wenn das Verfahren hinsichtl. eines einfachen Streitgenossen wg. IE unterbrochen sei, soweit die Unterbrechung zu einer faktischen Trennung der Verfahren führe und mit dem Fortgang des Verfahrens nicht gerechnet werden könne. Vorliegend sei das Insolvenzverfahren bzgl. der Bekl. zu 1. noch nicht eröffnet worden, eine Verfahrensunterbrechung habe nicht vorgelegen. Hierzu trete, dass der Kläger im unterbrochenen Kündigungsprozess eine Aufnahmemöglichkeit habe (§ 86 Abs. 1 InsO).

Ein Ausnahmefall liege nicht vor, denn der Kläger habe den in erster Instanz verbliebenen Teil des Rechtsstreits gegen den IV aufgenommen.

IV. Praxishinweis
§ 613 a BGB birgt für  AN, AG/IV bzw. Erwerber nicht zu unterschätzende prozessuale Fallstricke. Passiv-legitimiert im Kündigungsrechtsstreit ist grds. der kündigende AG. Wird der Erwerber im gleichen Rechtsstreits verklagt, sind beide Streitgenossen. 

Wird in der Klage ein BÜ vor Kündigungszugang behauptet, ist mangels Passivlegitimation des AG die Klage als unbegründet abzuweisen. Klagt der AN gegen den Erwerber und hat dem BÜ aber widersprochen, ist die Klage unschlüssig.

Erkennt der AN nicht, ob ein BÜ vorliegt, kann er im Weg der subj. Klagehäufung gg. den bisherigen AG (Kündigungsschutz) und den pot. Erwerber (Feststellungsklage) vorgehen. Allerdings wird der AN mindestens eine Klage verlieren; liegt kein BÜ vor, sogar beide. 

Möglich wäre ggf. eine gegen AG und Erwerber als notwendige Streitgenossen zu richtende „Betriebsübergangs-Feststellungsklage“ (… dass das AV vor Zugang der Kündigung von der Bekl. 1 auf die Bekl. 2 übergegangen ist“); aber selbst das BAG ist sich nicht einig (dafür: BAG 2 AZR 562/14 - Rn. 22; skeptisch: BAG 8 AZR 309/16 – Rn. 22).

Ein kritischer Blick auf die Klageanträge und die Klagebegründung lohnt sich auf jeden Fall – manchmal hilft einem eben auch die ZPO.

Rechtsanwalt Joachim Zobel, Fachanwalt für Arbeitsrecht