Insolvenzbedingte Lösungsklauseln können wirksam sein

23. März 2023 Newsletter Restrukturierung und Sanierung

Regelmäßig sind insolvenzbedingte Lösungsklauseln gem. § 119 InsO unwirksam. Unter anderem kann die Klausel jedoch wirksam sein. Lesen Sie dazu eine aktuelle Entscheidung des BGH. Wir wünschen eine spannende Lektüre.  

Harald Kroth
Harald Kroth

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Insolvenzrecht

BGH: Wirksamkeit insolvenzbedingter Kündigungskauseln in einem Schülerbeförderungsvertrag

InsO § 119; BGB § 648a
BGH, Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 213/21 (OLG Celle)

I. Leitsatz des Verfassers
Eine insolvenzabhängige Lösungsklausel ist unwirksam, wenn der insolvenzabhängige Umstand für sich allein die Lösung vom Vertrag ermöglicht und die Lösungsklausel in Voraussetzungen oder Rechtsfolgen von gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten abweicht, ohne dass für diese Abweichungen bei objektiver Betrachtung ex ante zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf der Grundlage der wechselseitigen Interessen der Parteien berechtigte Gründe bestehen (Ergänzung BGH, Urteil v. 15.11.2012 - IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348).

Solche berechtigten Gründe können sich bei insolvenzabhängigen Lösungsklauseln allgemein aus einer insolvenzrechtlich gerechtfertigten Zielsetzung oder zugunsten eines Sach- oder Dienstleistungsgläubigers ergeben. Hingegen ist eine insolvenzabhängige Lösungsklausel zugunsten eines Geldleistungsgläubigers regelmäßig unwirksam.

Vereinbaren die Parteien eines Schülerbeförderungsvertrags, dass eine Kündigung aus wichtigen Grund zulässig ist, ist die Klausel, dass der vom Erbringer der Leistungen gestellte Insolvenzantrag als wichtiger Grund gilt, wirksam, wenn der Besteller bei einer typisierten, objektiven Betrachtung ex ante zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein berechtigtes Interesse daran hatte, mit der Vereinbarung eines Insolvenzereignisses als wichtigem Grund Vorsorge für eine allgemein bei Schülerbeförderungsverträgen mit einem Insolvenzfall einhergehende besondere Risikoerhöhung zu treffen.

II. Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Busunternehmers (Schuldner). Dieser hatte mit der Beklagten im Juni 2018 fünf zeitlich bis zum Schluss des Schuljahres 2019/2020 befristete Verträge über die Beförderung von Schülern zu fünf Schulen abgeschlossen. Der Schuldner stellte am 23.1.2019 Insolvenzantrag, woraufhin die Beklagte die Beförderungsverträge fristlos kündigte und sich dabei auf § 16 der Beförderungsverträge stützte, der jeweils u. a. den Insolvenzantrag, die Insolvenzeröffnung, die Abweisung des Antrags mangels Masse als wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung beinhaltet. Der Kläger, der den Betrieb des Schuldners im Eröffnungsverfahren als vorläufiger Insolvenzverwalter fortführte, hielt die Kündigung für unwirksam und verlangte von der Beklagten die vereinbarte Vergütung abzüglich der ersparten Aufwendungen.

Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers gab das Oberlandesgericht der Klage statt und ließ Revision zu. Diese führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

III. Rechtliche Wertung
Der BGH hatte zu überprüfen, ob die vom Berufungsgericht gem. § 119 InsO wegen Verstoßes gegen § 103 InsO für unwirksam gehaltene Kündigung der Beklagten doch wirksam ist, so dass der den Vorschriften des Werkvertrages unterliegende Personenbeförderungsvertrag (vgl. dazu BGH NJW 2016, 2404 Rn. 14) durch die Kündigung aufgelöst und dem vom Kläger verfolgten vertraglichen Zahlungsanspruch die Grundlage entzogen worden war.

Nach Ansicht des BGH habe der Beklagten zwar gem. § 648a BGB das Recht zur Vertragskündigung zugestanden, die von der Beklagten im Zeitpunkt der Kündigung vorgebrachten konkreten Umstände hätten aber eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 648a BGB nicht begründet.

Die Kündigung könne dennoch wirksam sein, wenn, wie nach § 648 BGB zulässig, die Vereinbarung der Vertragsparteien mit der in § 16 des Beförderungsvertrages enthaltenen sog. „insolvenzabhängigen Lösungsklausel“, wirksam sei, weil die Beklagte ein berechtigtes Interesse daran gehabt haben könne, mit der Vereinbarung eines Insolvenzereignisses als wichtigem Grund Vorsorge für eine allgemein bei Personenbeförderungsverträgen zur Schülerbeförderung mit einem Insolvenzfall einhergehende Risikoerhöhung zu treffen, die Klausel einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung des Beförderungsvertrages darstelle.

Zur umstrittenen Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln sei eine abschließende höchstrichterliche Entscheidung bislang nicht getroffen, so der BGH unter Hinweis auf den Diskussionsstand und unter Darstellung hierzu ergangener Entscheidungen (vgl. insbes. BGH IX ZR 169/11 und BGH VII ZR 56/15). Ebenfalls noch nicht abschließend vom BGH entschieden sei, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung aus wichtigem Grund im Hinblick auf ein Insolvenzverfahren noch vor Verfahrenseröffnung möglich ist.

Das Gesetz enthalte weder eine abschließende Regelung zur Wirksamkeit solcher Lösungsklauseln, noch, insbes. nicht in §§ 103 bis 118, 119 InsO, eine ausreichende Grundlage dafür, dass sie stets unwirksam seien, was sich z. B. auch aus der Gesetzgebungsgeschichte zu § 14 VVG aF ergebe. Das Gesetz enthalte, wie etwa §§104 Abs. 4, 112, 225a InsO oder § 33 StaRUG zeigen, eine differenzierte Regelung. Angesichts der fehlenden klaren gesetzlichen Vorgabe sei eine besondere, den (auch in der Insolvenz geltenden) Grundsatz der Vertragsfreiheit berücksichtigende Rechtfertigung erforderlich, um die Unwirksamkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln auf § 119 InsO stützen zu können.

In einem Werkvertrag sei eine Lösungsklausel wegen Umgehung oder Vereitelung der Wahlrechtsausübung nach § 103 InsO unwirksam, wenn allein schon der Umstand des Insolvenzantrags oder der Insolvenzeröffnung dem Besteller ermöglichen solle, sich vom Vertrag lösen. Dies sei der Fall, wenn „die Lösungsklausel in Voraussetzungen oder Rechtsfolgen von gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten abweicht, ohne dass für diese Abweichungen bei objektiver Betrachtung ex ante zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf der Grundlage der wechselseitigen Interessen der Parteien berechtigte Gründe bestehen.“

Unwirksam seien daher Lösungsklauseln, die den Auftraggeber berechtigen, einen Vertrag aus wichtigem Grund fristlos zu kündigen, wenn über das Vermögen des Auftragnehmers die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt ist, wenn sie Regelungen umgingen, die, wie z. B. § 112 InsO, ausdrücklich auch vor Verfahrenseröffnung greifen. Unwirksamkeit sei auch bei Lösungsklauseln zugunsten eines Geldleistungsgläubigers anzunehmen, soweit sie den gesetzlichen Rahmen überschritten.

Wirksam sein könnten hingegen Klauseln, „bei denen die Vertragsparteien nach der Interessenlage zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine insolvenzrechtlich gerechtfertigte Zielsetzung innerhalb der vertragsautonomen Gestaltung der Verhältnisse verfolgen“ und auch Klauseln bei Verträgen, „für die das Gesetz eine Kündigung aus wichtigem Grund zulässt und die vertragliche Ausgestaltung der wichtigen Gründe durch eine typisierte Interessenbewertung für die darin geregelten Fälle gerechtfertigt ist.“ Diese Rechtfertigung können gegeben sein, wenn die mit der Insolvenz verbundenen Risiken „die weitere Vertragserfüllung in einem Ausmaß gefährden, das nach der Art der geschuldeten vertraglichen Leistungen und der wechselseitigen Interessen der Parteien bei einer vom Einzelfall losgelösten Betrachtung einen wichtigen Grund darstellen kann.“ Dies gelte „für alle Verträge, die unabhängig von einer Sanierung oder außerhalb von Sanierungsversuchen abgeschlossen worden sind.“

Ohne weitere Feststellungen durch das Berufungsgericht sei danach nicht auszuschließen, dass die Beklagte den Vertrag wirksam gekündigt habe. Die Sache sei nicht zur Endentscheidung reif und daher zurückzuverweisen.

IV. Praxishinweis
Vereinbarungen zwischen Vertragsparteien, die es einer Partei ermöglichen sollen, bei einem auf Seiten der anderen Partei eintretenden, nicht insolvenzspezifischen Umstand – z. B. Verzug, sonstige Vertragsverletzung – sich vom Vertrag zu lösen – insolvenzunabhängige Lösungsklauseln (Kündigungsklauseln) –, wurden bislang insbesondere dann, wenn sie eng an einer gesetzlichen Lösungsmöglichkeit angelehnt sind (etwa § 314 BGB oder § 648a BGB oder §§ 736, 738 BGB) und gesetzliche Regelungen nicht umgehen, eine ihre Wirksamkeit in Frage stellende Beeinträchtigung der §§ 103 bis 118 InsO, insbesondere des Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO nicht gesehen.

Die Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln, mithin von Vereinbarungen zwischen Vertragsparteien, die es einer Partei ermöglichen sollen, bei einem auf Seiten der anderen Partei eintretenden insolvenzabhängigen Umstand – Zahlungseinstellung, Insolvenzantrag oder Insolvenzeröffnung – und nur deshalb schon sich vom Vertrag zu lösen, war schon zu KO-Zeiten streitig. Dieser Meinungsstreit hat mit der Regelung in § 119 InsO, wonach Vereinbarungen unwirksam sind, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird, insbesondere eine Beeinträchtigung des Wahlrechts des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO bewirken, nach Inkrafttreten der InsO seine Fortsetzung gefunden und war, so der BGH, bis dato höchstrichterlich noch nicht abschließend entschieden (zum Meinungsstand im Schrifttum vgl. die Nachweise unter Rn. 14 und 15 der Besprechungsentscheidung).

Der IX. Zivilsenat des BGH hat nunmehr seine Entscheidung vom 15.11.2012 „ergänzt“, so dass bei insolvenzabhängigen vertraglichen Lösungsklauseln nach derzeitiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zusammenfassend gilt:

Unwirksam ist

  • eine Lösungsklausel, die in einzelnen Normen enthaltene, ausdrücklich auch die Zeit vor Insolvenzeröffnung erfassenden Regelungen (z. B. § 112 InsO) verdrängt oder umgeht (so, wenn sie an die Vertragsauflösung ab Insolvenzantragstellung geringere Voraussetzungen stellt als in gesetzlichen Regelungen vorgegeben);
  • regelmäßig eine Lösungsklausel zugunsten eines (durch § 320, 321 BGB) geschützten Geldleistungs-gläubigers.

Wirksam ist

  • eine Lösungsklausel, mit der die Vertragsparteien nach der Interessenlage zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine insolvenzrechtlich gerechtfertigte Zielsetzung innerhalb der vertragsautonomen Gestaltung der Verhältnisse verfolgen ( so z. B, „wenn der Vertrag als Teil einer Sanierung des Schuldners zustande kommt und die Klausel dazu dient, die Risiken eines Scheiterns der Sanierung abzumildern“;
  • eine Lösungsklausel für Verträge – unabhängig davon, ob sie zu Sanierungszwecken oder außerhalb von Sanierungsversuchen abgeschlossen werden –, für die das Gesetz eine Kündigung aus wichtigem Grund zulässt und die vertragliche Ausgestaltung der wichtigen Gründe bei einer typisierten objektiven Betrachtung ex ante zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses für die geregelten Fälle ein berechtigtes Interesse an der Kündigung begründet. Dabei müssen die mit der Insolvenz verbundenen Risiken allgemein, losgelöst vom Einzelfall, für die weitere Vertragserfüllung ein Gefährdungspotential beinhalten, „das nach der Art der geschuldeten vertraglichen Leistungen und der wechselseitigen Interessen der Parteien bei einer vom Einzelfall losgelösten Betrachtung einen wichtigen Grund darstellen kann.“

Schließlich kann die (wirksame) insolvenzabhängige Lösungsklausel der Ausübungskontrolle unterliegen: Die Ausübung eines insolvenzabhängigen Lösungsrechts darf nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, weil ein schutzwürdiges Interesse des anderen Vertragsteils an der Ausübung nicht besteht oder hinter die schutzwürdigeren Belange des Schuldners zurücktreten muss (so etwa im Hinblick auf § 44 StaRUG u. U. im Falle einer Eigen­verwaltung).

Dem Verwender einer insolvenzabhängigen Lösungsklausel ist anzuraten, den wichtigen Grund für die Kündigung, das Interesse an der insolvenzbedingten Auflösung mit den aus einer Fortführung des Vertrages mit dem insolventen Vertragspartner sich ergebenden Risiken im Vertrag objektiviert darzustellen (vgl. Rd-Nr. 65 der Entscheidung: öffentlich-rechtliche Vorgaben für die Durchführung der Schülerbeförderung wie etwa die erforderliche besondere Zuverlässigkeit des Auftragnehmers für die Schülerbeförderung; Gefährdung der ausreichenden Absicherung gegen etwaige Unfallschäden bei der Schülerbeförderung).

Rechtsanwalt Harald Kroth, Fachanwalt für Insolvenzrecht