Eine weiche Patronatserklärung kann in der Regel eine Überschuldung nicht kompensieren

26. August 2021 Newsletter Restrukturierung und Sanierung

Gesellschaften, bei denen keine natürliche Person als Vollhafter beteiligt ist, müssen im Falle einer Überschuldung den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen stellen. Eine rechnerische Überschuldung kann dabei durch außerhalb der Bilanz liegende Umstände kompensiert werden. Eine „weiche“ Patronatserklärung ist jedoch regelmäßig kein solcher Umstand.

Lesen Sie dazu eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofes. Wir wünschen eine spannende Lektüre.

OLG Düsseldorf: Keine uneingeschränkte Anwendbarkeit der Grundsätze des BGH zur positiven Fortbestehensprognose bei Start-up Unternehmen

§ 19 II 1 InsO a.F.
OLG Düsseldorf, Beschluss v. 20.7.2021, Az. 12 W 7/21 (LG Krefeld)

I. Leitsatz des Verfassers
Bei einem Start-up Unternehmen sind die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof für eine positive Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung aufgestellt hat, nicht uneingeschränkt anwendbar. Erforderlich ist, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fällige Zahlungsverpflichtungen zu decken, wobei die dafür erforderlichen Mittel auch von Dritten (Fremdkapitalgeber oder Eigentümer) zur Verfügung gestellt werden können.

Hat ein finanzkräftiger Investor das Unternehmen bereits in der Vergangenheit mit erheblichen Beträgen finanziell unterstützt und seinen Willen bekundet, in der Gründungsphase bei Vorlage einer nachvollziehbaren Planung und Nachweis des Finanzbedarfs jeweils weitere Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, darf der Geschäftsführer von einer positiven Prognose ausgehen, solange ein nachvollziehbares operatives Konzept vorliegt, dass irgendwann eine Ertragsfähigkeit des Unternehmens erwarten lässt und nicht konkret wahrscheinlich ist, dass der Finanzierer das Start-up Unternehmen nicht weiter finanzieren wird. Ein rechtlich gesicherter und damit einklagbarer Anspruch auf die Finanzierungsbeiträge ist für die positive Fortbestehensprognose nicht erforderlich.

II. Sachverhalt
Der Antragsteller war Insolvenzverwalter in dem auf einen Eigenantrag vom 14.10.2016 am 28.12.2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Der Antragsteller begehrte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen den ehemaligen Geschäftsführer wegen masseschmälernder Zahlungen im Zeitraum zwischen dem 4.1.2016 und dem 25.2.2016.

Der Antragsgegner war zwischen 2014 und März 2016 Geschäftsführer und Gesellschafter der Schuldnerin. Einen Teil der Geschäftsanteile hielt er treuhänderisch für einen Investor.

Bei der Schuldnerin handelt es sich um ein Start-up Unternehmen. Sie finanzierte sich im Wesentlichen über Darlehen des Investors. Die Darlehen in Höhe von insgesamt rd. 608.000 EUR waren bis zum 31.12.2017 befristet und danach zurückzuzahlen. Im Jahresabschluss zum 31.12.2015 wurde ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag iHv 620.200 EUR festgestellt.

Der Antragsteller machte geltend, dass die Schuldnerin spätestens zum Ende des Jahres 2015 überschuldet gewesen sei, da die vom Investor gewährten Darlehen keinen qualifizierten Rangrücktritt enthielten. Der Antragsgegner machte dagegen geltend, dass dem Investor regelmäßig Planungen vorgelegt wurden. Danach wären erstmals im Juli 2016 Überschüsse erwirtschaftet worden. Der konkrete Finanzbedarf sei mit dem Investor abgesprochen und die bevorstehenden Ausgaben mit diesem abgestimmt worden. Insbesondere seien Verbindlichkeiten erst dann begründet worden, wenn ein Darlehensvertrag des Investors vorgelegen habe.

Das LG hatte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die statthafte und zulässige Beschwerde hatte ebenfalls keinen Erfolg.

III. Rechtliche Wertung

Die Grundsätze des BGH für eine positive Fortbestehensprognose im Rahmen einer Überschuldungsprüfung sind bei einem Start-up Unternehmen nicht uneingeschränkt anwendbar

Für den Fall, dass die rechnerische Prüfung eine Überschuldung der Gesellschaft ergibt, ist nach Auffassung des OLGs in einer zweiten Stufe eine Fortführungsprognose zu treffen. Hierbei handelt es sich um eine Prognose über die zukünftigen Geschäftsverläufe und die künftige mittelfristige Zahlungsfähigkeit des Unternehmens. Die Fortführungsprognose ist die Frage nach der Finanzkraft, der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit des Unternehmens (BGH NJW 1995, 1739, 1743). Dem Geschäftsführer obliegt es bei Feststellung der Überschuldung, Umstände darzulegen, die es aus damaliger Sicht rechtfertigen, das Unternehmen fortzuführen (BGH ZInsO 2020, 141, 143 Rn. 21).

Das OLG stellt fest, dass bei einem Start-up Unternehmen, das in der Anlaufphase in aller Regel nur Schulden produziert, eine ständige, intensive Prüfung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens in besonderem Maße erforderlich ist. Bei Start-up Unternehmen sind operative Geschäftschancen trotz möglicherweise derzeit fehlender Ertragskraft nicht auf Dauer ausgeschlossen. Aufgrund dessen sieht auch der BGH die Ertragsfähigkeit nicht als Voraussetzung einer positiven Fortführungsprognose an (BGH WM 2007, 1274, 1276 Rn. 17). Das OLG stellt klar, dass es in der Natur eines solchen Unternehmens liegt, dass es zunächst nur Schulden macht und von Darlehen abhängig sei. In solchen Fällen müsse daher auf die Zahlungsunfähigkeit im Prognosezeitraum abgestellt werden, wobei die erforderlichen Mittel auch von Dritten kurz-, mittel- oder langfristig zur Verfügung gestellt werden können. Maßgebend ist, ob die Fortführungsfähigkeit überwiegend, also zu mehr als 50 % wahrscheinlich ist. Im vorliegenden Fall lagen dokumentierte Zahlungszusagen des Investors vor.

IV. Praxishinweis
Das OLG stellt für den Fall von Start-up Unternehmen klar, dass der Geschäftsführer von einer positiven Prognose ausgehen kann, solange nicht konkret wahrscheinlich ist, dass der Finanzierer das Start-up Unternehmen nicht weiter finanzieren wird. Dagegen ist ein rechtlich gesicherter und damit einklagbarer Anspruch auf die Finanzierungsbeiträge nicht Voraussetzung für eine positive Fortbestehensprognose, denn dies würde einem Wahrscheinlichkeitsgrad von 100 % entsprechen. Der BGH hatte nur wenige Tage zuvor mit Urteil vom 13.7.2021 – II ZR 84/20 – entschieden, dass eine positive Fortbestehensprognose nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ausnahmsweise auf eine weiche Patronatserklärung gestützt werden kann.

Rechtsanwalt Dr. Dirk Pehl, Fachanwalt für Insolvenzrecht