Die Neufassung des § 104 InsO gilt auch für früher geschlossene vertragliche Vereinbarungen

26. Januar 2023 Newsletter Restrukturierung und Sanierung

Tritt eine Gesetzesänderung in Kraft, ist mitunter fraglich, ob die Regelung auch auf Sachverhalte Anwendung findet, die bereits in der Zeit vor Wirksamwerden der Gesetzesänderung begründet wurden.

Mit einem solchen Sachverhalt beschäftigt sich die heutige Entscheidung. Wir wünschen eine spannende Lektüre.

LG Stuttgart: Neues Recht durchbricht alte Beschränkungen in Rahmenverträgen aus Finanztermingeschäften

Art. 105a EGInsO, §§ 104, § 140 Abs. 3, § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
LG Stuttgart, Urteil vom 16.11.2022 - 27 O 52/22

I. Leitsatz des Verfassers
Ist auf ein Insolvenzverfahren die Vorschrift des § 104 InsO in der Fassung des Gesetzes vom 22.12.2016 anzuwenden, so bestimmt sich die Wirksamkeit vertraglicher Vereinbarungen über Ausgleichsforderungen aus Finanztermingeschäften auch dann nach Maßgabe der neuen Fassung des § 104 InsO, wenn die vertraglichen Vereinbarungen in einem vor Inkrafttreten des neuen Rechts geschlossenen Rahmenvertrag enthalten sind und die Klauseln nach Maßgabe des alten Rechts unwirksam waren.

Der Umstand, dass die solvente Partei eine Ausgleichsforderung aus Finanztermingeschäften gem. § 104 Abs. 5. InsO nur als Insolvenzforderung geltend machen kann, schließt die Möglichkeit, mit dem Anspruch auf Ausgleichsforderung abzurechnen, nicht aus.

Führt der Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Vertragspartei zur Beendigung von Finanztermingeschäften und rechnet die solvente Partei mit ihrer Ausgleichsforderung gegen eine Gegenforderung des anderen Teils auf, so ist der für das Entstehen der Aufrechnungslage anfechtungsrechtlich maßgebliche Zeitpunkt derjenige der Insolvenzantragstellung.

II. Sachverhalt
Der Kläger ist Sachwalter in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH und nimmt ein Kreditinstitut als Beklagte in Anspruch auf Herausgabe eines Geldbetrags, den die vor Insolvenzeröffnung durch Abbuchung von dem bei ihr geführten Geschäftskonto der Schuldnerin erlangt hat. Grundlage der Abbuchung war ein Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte, den die Parteien im Februar 2014 schlossen und der für den Fall der Insolvenzantragstellung einer Partei Sonderkündigungsrechte sowie Schadensersatzansprüche normierte.

Am 23.7.2020 stellte die Schuldnerin einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigen­verwaltung. Der Kläger informierte die Beklagte über die Antragstellung mit Schriftsatz vom 30.7.2020, woraufhin die Beklagte ihre Ausgleichsforderung berechnete und den somit errechneten Betrag am 11.8.2020 von dem Geschäftskonto der Beklagten abbuchte. Das Insolvenzverfahren wurde am 1.10.2020 eröffnet.

III. Rechtliche Wertung

Vorverlegung des Fälligkeitszeitpunktes nach neuem Recht zulässig

Das Landgericht entschied, dass die Klageforderung nicht bestehe, weil der Anspruch auf Auszahlung des Guthabens durch Aufrechnung mit der Gegenforderung der Beklagten erloschen sei. Die Aufrechnung der Beklagten sei schuldrechtlich wirksam, da auf den Streitfall entgegen der Ansicht des Klägers die Regelung des § 104 InsO in der neuen Fassung anzuwenden sei und sich daraus ergebe, dass die Vorverlegung des Fälligkeitszeitpunktes zulässig sei. Dabei käme es auch nicht darauf an, dass der Rahmenvertrag zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, an dem eine Vorverlegung nach altem Recht unzulässig war. Es sei ein erklärtes Ziel des Gesetzgebers gewesen, die Wirksamkeit der gängigen Rahmenverträge weiterhin anzuerkennen, aber gem. § 105a EGInsO nach neuem Recht zu bewerten. Darüber hinaus sei die Aufrechnungslage nicht anfechtbar und die Aufrechnung nicht gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam. Aus dem Umstand, dass die Beklagte mit ihrem Ausgleichsanspruch gem. § 104 Abs. 5 InsO Insolvenzgläubigerin sei und daher die Aufrechnungsvorschriften - anders als bei Massegläubigern - anzuwenden seien, folgt nicht automatisch die Anfechtbarkeit. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Bestimmung der Anfechtbarkeit der Aufrechnungslage sei der Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung, weil die Beklagte erst dadurch eine gesicherte Rechtsposition erlangt habe. Ob die Aufrechnungslage vorliegend kongruent oder inkongruent erlangt wurde, sei unerheblich, da jedenfalls objektiv keine Gläubigerbenachteiligung vorgelegen habe. Eine Gläubigerbenachteiligung scheide nämlich aus, soweit die Beklagte an der Guthabensforderung nach ihren AGB ein insolvenzfestes Pfandrecht besessen habe. Dabei sei es unerheblich, dass der Rahmenvertrag ein solches Pfandrecht nicht vorsehe, denn nach den AGB seien sämtliche Ansprüche der Beklagten aus der Geschäftsverbindung gesichert, wozu auch die Ansprüche aus dem Rahmenvertrag gehörten. Schließlich sei auch das Pfandrecht seinerseits nicht anfechtbar. Zwar sei ein im letztem Monat vor dem Insolvenzantrag an Kontoguthaben entstandenes Pfandrecht als inkongruente Deckung anfechtbar, jedoch habe bereits zu diesem Zeitpunkt ein Guthaben in der Klageforderung übersteigender Höhe bestanden.

IV. Praxishinweis
Zutreffend hat das Gericht die Anwendbarkeit der neuen Regelungen auf die älteren Verträge aus Finanztermingeschäften anerkannt, ohne eine ausdrückliche Erklärung der Parteien vorauszusetzen. Der gesetzgeberische Wille stünde ansonsten zur Disposition der Parteien.

Rechtsanwalt Dr. Michael Lojowsky, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht