Zur Verjährung des Steueranspruchs in privater Hand und Wirkung eines Urteils über eine Masseverbindlichkeit

16. Mai 2022 Newsletter Insolvenzrecht

Die besondere Zahlungsverjährungsfrist des § 228 AO gilt auch im Verhältnis zwischen Privaten, so der BGH. Der auf den Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Anstellungs-GmbH übergegangene Steueranspruch verjährt damit in 5 Jahren und nicht in 3 Jahren, wie es der Verwalter über das Vermögen des Geschäftsführers meinte. Eine Fehleinschätzung, die womöglich seine persönliche Haftung wegen Nichtbegleichung einer Masseverbindlichkeit begründet.

Näheres erfahren Sie in diesem Newsletter. Wir wünschen eine interessante Lektüre.

Solveigh Schumacher-Nivard
Solveigh Schumacher-Nivard

Rechtsanwältin

D.E.A. Droit des Affaires (Paris-Sorbonne)

BGH: Verjährung bei Übergang eines Steueranspruchs; Rechtskrafterstreckung eines Urteils zugunsten des Schuldners über eine Masseverbindlichkeit

BGB § 426 Abs. 2; AO § 228; ZPO § 325; InsO §§ 60, 200
BGH, Urteil vom 17.03.2022 – IX ZR 216/20 (OLG Karlsruhe)

I. Leitsatz der Verfasserin
Gehen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis auf einen leistenden Gesamtschuldner über, richtet sich die Verjährungsfrist nach dem Forderungsübergang auch dann nach der besonderen Zahlungsverjährung für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, wenn es sich beim Gesamtschuldner um einen privaten Gläubiger handelt.

Ein nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens zugunsten des Schuldners ergangenes Urteil über eine Masseverbindlichkeit wirkt nicht zugunsten des persönlich in Anspruch genommenen Insolvenzverwalters.

II. Sachverhalt
Der Kläger zog 2012 als Insolvenzverwalter über das Vermögen der A-GmbH den Rückkaufswert aus einer Rückdeckungsversicherung für eine dem Geschäftsführer M erteilte Pensionszusage ein und kehrte die Hälfte an den Insolvenzverwalter über das Vermögen des M aus. Das Finanzamt setzte gegen M Einkommensteuer iHv 85.641 EUR fest, weil es in dem zugeflossenen Rückkaufswert Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit des M sah. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen des M wurde daraufhin Masseunzulänglichkeit angezeigt. Der Beklagte, nach Ausscheiden seines Vorgängers seit 27.11.2013 Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des M, erhob Einspruch gegen den Steuerbescheid. Der als Haftungsschuldner vom Finanzamt mit Bescheid vom 27.11.2013 in Anspruch genommene Kläger zahlte am 27.12.2013 auf die Steuerschuld und forderte den Beklagten auf, den als Masseverbindlichkeit geschuldeten hälftigen Steuerbetrag zu zahlen. Am 20.5.2017 verklagte der Kläger den Beklagten als Insolvenzverwalter auf Zahlung von 42.821 EUR. Dem Einspruch des Beklagten hatte das Finanzamt zuvor mit Blick auf die Zahlung des Klägers unter erheblicher Steuerreduzierung stattgegeben. Der Beklagte verfügte für die Schlussverteilung über eine verteilungsfähige Masse iHv 81.980 EUR. Die nach Verfahrensaufhebung vom Kläger auf M umgestellte Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. Der Kläger nahm daraufhin den Beklagten persönlich auf Schadenersatz wegen der nicht bezahlten Masseverbindlichkeit iHv 42.821 EUR sowie der Kosten des Erstprozesses in Anspruch.

Der Kläger war vor dem Landgericht und Berufungsgericht erfolglos, die Revision führte zur Aufhebung und zur Zurückverweisung.

III. Rechtliche Wertung

Anwendbare Verjährungsvorschriften bei Übergang eines Steueranspruchs

Der BGH stellt fest, die Haftung des Insolvenzverwalters wegen Nichtzahlung einer Masseverbindlichkeit setze voraus, dass diese bei Schlussverteilung unverjährt sei. Die Pflicht des Verwalters, Masseverbindlichkeiten bei Fälligkeit zu begleichen, entbinde den Massegläubiger nicht, für eine rechtzeitige Verjährungshemmung zu sorgen.

Die Vorinstanz hatte den Schadenersatzanspruch des Klägers mit der Begründung verneint, der auf einen privaten Gläubiger übergegangene Steueranspruch unterliege der regelmäßigen Verjährungsfrist des BGB und sei vorliegend zum 31.12.2016 verjährt.

Der BGH erteilte dem unter Berufung auf die bisherige Rechtsprechung eine Absage. Der gesetzliche Forderungsübergang (§ 426 Abs. II Satz 1 BGB) lasse den übergegangenen Anspruch unverändert. Dieser behalte grds. seine materiell-rechtlichen und prozessualen Besonderheiten. Der Übergang der Forderung ändere nicht deren Rechtsnatur. Der Forderungsübergang auf einen neuen Gläubiger wirke sich auf den Ablauf der Verjährungsfrist nicht aus; auch komme es bei kenntnisabhängigem Verjährungsbeginn einer übergegangenen Forderung auf den Kenntnisstand des ursprünglichen Gläubigers an. § 228 AO knüpfe nicht an die Person des Gläubigers an. Der Anwendbarkeit des § 228 AO stehe nicht entgegen, dass die von einem privaten Dritten erfüllte Steuerforderung nach Forderungsübergang in seiner Hand einzig der Durchsetzung privatrechtlicher Erstattungsansprüche gegenüber demjenigen diene, dessen Steuer er bezahlt habe. Der übergegangene Steueranspruch stelle in der Hand des privaten Dritten nur eine privatrechtliche Geldforderung dar, öffentlich-rechtliche Befugnisse gingen nicht auf private Gläubiger über. Es gingen auf den privaten Gläubiger aber solche Rechte über, die der Forderung selbst anhaften. Da § 228 AO die Verjährung des festgesetzten, auf Zahlung gerichteten Anspruchs regele, sei sie Teil des Anspruchs aus dem Steuerverhältnis. Für die Anwendung der Verjährungsvorschriften des BGB bleibe kein Raum. Der in § 426 Abs. 2 BGB angeordnete Forderungsübergang solle den Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 1 BGB des leistenden Gesamtschuldners stärken. Die Ansprüche aus § 426 Abs. 1 und § 426 Abs. 2 BGB stünden selbständig nebeneinander. Die Verjährungsfrist des Ausgleichsanspruchs begrenze nicht die Länge der Verjährung des übergegangenen Anspruchs, auch wenn sich der Umfang des Anspruchs aus Forderungsübergang nach dem Ausgleichsanspruch richte.

Rechtskrafterstreckung eines zugunsten des Schuldners ergehendes Urteil über eine Masseverbindlichkeit

Neben der Verjährungsthematik stellte sich die Frage, ob der Beklagte sich auf das rechtskräftige Urteil des Erstprozesses des Klägers, der sich zuletzt gegen M richtete, nachdem der Beklagte nach Verfahrensaufhebung nicht mehr Partei war, berufen kann. Dies verneint der BGH, weil die Rechtskrafterstreckung nach § 325 ZPO nur gegenüber einem Rechtsnachfolger in Betracht komme. Der Insolvenzverwalter sei nach Verfahrensaufhebung nicht Rechtsnachfolger des Schuldners. Dies auch dann nicht, wenn der Prozess über eine Masseverbindlichkeit, für die der Schuldner immer hafte, – wie hier – noch während des Insolvenzverfahrens begonnen worden und der Schuldner nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens anstelle des Insolvenzverwalters Partei des Prozesses geworden sei.

IV. Praxishinweis
Das Urteil bestätigt das bisherige Verständnis des Gesamtschuldnerausgleichs nach § 426 Abs. 1 und 2 BGB und des Verhältnisses der beiden Ansprüche. Erstaunlicherweise war bisher offen, nach welchen Normen der auf einen privaten Gläubiger nach § 426 Abs. II BGB übergegangene Steueranspruch verjährt. Der BGH antwortet klar und eindeutig: Es gilt die fünfjährige Zahlungsverjährungsfrist des § 228 S. 2 AO. Die Ansicht der Vorinstanz, die dazu geführt hätte, dass Steuerschuldner stets in den Genuss der dreijährigen, regelmäßigen Verjährungsfrist des BGB kommen, wenn andere Privatpersonen für sie zahlen, stellt einen Bruch dar. Zumal das Zivilrecht auch fünfjährige Verjährungsfristen kennt. Das Urteil, dessen Schwerpunkt in der Verjährungsfrage liegt, schließt mit der wenig überraschenden Feststellung, dass der Insolvenzverwalter nicht Rechtsnachfolger des Schuldners ist, zu dessen Gunsten nach Verfahrensaufhebung ein Urteil über eine Masseverbindlichkeit ergangen ist.

Rechtsanwältin Solveigh Nivard, D.E.A. Droit des Affaires (Paris-Sorbonne)