Betriebsstilllegung, Entscheidungskompetenz und Beschlussfassung des Gläubigerausschusses

21. März 2022 Newsletter Insolvenzrecht

Der Gläubigerausschuss und die Gläubigerversammlung entscheiden unter insolvenzrechtlichen Erwägungen im Regelverfahren über die Fortführung oder Stilllegung des Unternehmens. Arbeitsrechtlich liegt gleichwohl die Entscheidungskompetenz bei der Geschäftsführung. In der vorläufigen Eigen­verwaltung ist die Geschäftsführung jedoch nicht über §§ 21,22 InsO in der Entscheidungsfreiheit eingeschränkt.

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Joachim Zobel
Joachim Zobel

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Wirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses

KSchG § 1 Abs. 2; § 17 InsO § 113, § 158 Abs. 1
LAG Köln, Urteil vom 18.06.2021 – 11 Sa 810/20

I. Leitsatz des Verfassers
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass zwischen der Beschlussfassung des Gläubigerausschusses und dem Zugang der Kündigung vom 20.9.2019 der Beklagte aufgrund des formell aufrechterhaltenen Investorenprozesses von der beschlossenen Stilllegung abgewichen ist.

Die Anhörung des Betriebsrats ist inhaltlich nicht zu beanstanden. Auf die Begrenzung der Kündigungsfrist nach § 113 InsO wurde hingewiesen. Mängel der Beratung im Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrats wirken sich grundsätzlich nicht zulasten des Arbeitgebers aus.

II. Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie die Zahlung eines Nachteilsausgleichs. Die Kläger war bei der Insolvenzschuldnerin als kaufm. Angestellte beschäftigt. Am 1.8.2019 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.

Im Rahmen der Investorensuche fanden mit einem Interessenten konkrete Verhandlungen statt. Am 28.8.2019 beschloss der Gläubigerausschuss (GA) einstimmig, den Geschäftsbetrieb der Insolvenzschuldnerin stillzulegen. Am 30.8.2019 wurde die Belegschaft der Insolvenzschuldnerin von der bevorstehenden Schließung des Geschäftsbetriebs informiert. Am 9.9.2019 zeigte der Beklagte beim Insolvenzgericht Masseunzulänglichkeit an. Am 18.9.2019 wurde sowohl mit dem Betriebsrat (BR) als auch dem Konzernbetriebsrat ein inhaltsgleicher Interessenausgleich (IA) abgeschlossen, wobei der BR u.a. zur Kündigung der Kläger angehört wurde.

Zudem erfolgte der Abschluss eines Insolvenzsozialplans (ISP). Am 19.9.2019 erfolgte eine Massenentlassungsanzeige. Im Anschluss daran kündigte der Beklagte die Arbeitsverhältnisse aller Mitarbeiter, darunter auch das Arbeitsverhältnis der Kläger. Vom 22.10.2019 datierte ein Letter of Intent (LOI) über einen Asset Deal.

Das ArbG erkannte mit Urteil v. 17.8.2020, dass das Arbeitsverhältnis der Kläger durch die Kündigung des Beklagten nicht aufgelöst wurde. Begründet wurde es damit, dass der Beklagte nicht hinreichend dargetan habe, dass zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung ein ernsthafter und endgültiger Entschluss zur Betriebsstilllegung getroffen worden sei, da der Investorenprozess formell aufrechterhalten wurde. Gegen das Urteil legte der Beklagte Berufung ein.

III. Rechtliche Wertung
Die Berufung ist begründet. Die Kündigung des Beklagten habe das Arbeitsverhältnis der Kläger aufgelöst. Der Hilfsantrag der Kläger auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs als Neumasseverbindlichkeit sei unbegründet Der Beklagte sei bei Zugang der Kündigung zur Schließung des Betriebs der Insolvenzschuldnerin endgültig entschlossen gewesen. Der GA habe beschlossen, den Geschäftsbetrieb der Insolvenzschuldnerin stillzulegen, vgl. § 69 InsO i.V.m. § 158 Abs. 1 InsO. Zwar solle der Investorenprozess formell aufrechterhalten werden und ggfs. noch eingehende Interessentenanfragen weiterverfolgt werden, allerdings seien ernsthafte Gespräche mit den Investoren nicht mehr geführt worden.

Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte aufgrund des formell aufrechterhaltenen Investorenprozesses von der beschlossenen Stilllegung abgewichen sei. Vielmehr habe er den Stilllegungsbeschluss des GA umgesetzt. Es seien eine ordnungsgemäße BR-Anhörung, sowie eine nach dem durchgeführten Konsultationsverfahren umfassende Massenentlassungsanzeige erfolgt. Schließlich seien sämtliche Arbeitsverhältnisse gekündigt worden.

Dem steht auch der LOI nicht entgegen. Dieser datiere etwa einen Monat nach Ausspruch der Kündigung. Die Anhörung des BR sei nicht zu beanstanden.

Der Hilfsantrag der Kläger auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs nach § 113 Abs. 3 BetrVG als Neumasseverbindlichkeit sei unbegründet. Der Beklagte habe nicht nur versucht, einen Interessenausgleich abzuschließen, sondern ein solcher sei rechtswirksam zustande gekommen.

Es wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (BAG 6 AZN 767/21).

IV. Praxishinweis
Wer berechtigt ist, die Stilllegungsentscheidung zu treffen, hängt von dem Zeitpunkt und der angeordneten Verfahrensart ab.

Der vorläufige Insolvenzverwalter kann nur mit Zustimmung des Gerichts über die Stilllegung entscheiden (§ 21 Abs. 1 Satz 1 InsO). Nach Eröffnung des Verfahrens entscheiden die Gläubiger im Berichtstermin (§ 157 InsO) über die Fortführung bzw. Stilllegung des Unternehmens.

Bei Anordnung einer vorläufigen Eigen­verwaltung werden die §§ 21, 22 InsO durch § 270 a Abs. 1 InsO partiell verdrängt: dem Schuldner steht im Außenverhältnis die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis weiterhin zu, soweit das Insolvenzgericht keine beschränkenden Anordnungen erlässt. Der Schuldner selbst kann in der vorläufigen Eigen­verwaltung somit die Entscheidung treffen, das Unternehmen stillzulegen. Im Innenverhältnis ist er jedoch verpflichtet, die Gläubigerinteressen zu berücksichtigen. Der vom Schuldner ernsthaft und endgültig gefasste Stilllegungsentschluss bedarf der Bestätigung des vorläufigen Gläubigerausschusses.

Ist bis zur Eröffnung des Verfahrens unter Anordnung der Eigen­verwaltung noch keine Stilllegungsentscheidung getroffen worden, entscheiden die Gläubiger im Berichtstermin (§ 157 InsO) über die Fortführung bzw. Stilllegung des Unternehmens.

Um die materiell-rechtlichen Anforderungen sowohl in insolvenzrechtlicher als auch in arbeitsrechtlicher Hinsicht zu dokumentieren, ist der „Stilllegungsbeschluss“ des Schuldners und die Bestätigung durch den Gläubigerausschuss sorgfältig in Bezug auf den Stand des Investorenprozesses („Beendigung der aktiven Investorensuche“), den Zeitpunkt der Stilllegung, die auszusprechenden Kündigungen, das Ausproduktions- und Abwicklungsszenario und die Verwertung des Vermögens entsprechend klar zu formulieren.

Rechtsanwalt Joachim Zobel, Fachanwalt für Arbeitsrecht