Schenkungen an den Ehegatten: Pflichtteil berücksichtigen!

02. Mai 2019 Newsletter Erbrecht und Unternehmensnachfolge

Schenkungen an den Ehegatten sind nicht dazu geeignet, etwaige Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche zu mindern. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem aktuellen Beschluss seine Rechtsprechung bestätigt. Eine Schenkung an den Ehegatten ist infolgedessen in ihrem Wert stets und in vollem Umfang in die Berechnung des Pflichtteils einzubeziehen. Allenfalls eine etwaige Wertsteigerung, welche der geschenkte Gegenstand in dem Zeitraum zwischen Schenkung und Erbfall erfahren hat, bleibt außen vor.

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Anita Veenhoff
Anita Veenhoff

Rechtsanwältin

BVerfG: Besonderer Fristenlauf im Rahmen der Pflichtteilsergänzung ist verfassungsgemäß

BVerfG, Beschluss vom 26.11.2018 – 1 BvR 1511/14
KG Berlin, Urteil vom 23.03.2014 – 27 U 44/ 13

Leitsatz der Verfasserin
Die gesetzliche Bestimmung eines besonderen Fristenlaufs im Bereich der Pflichtteilsergänzung für den Fall von Schenkungen unter Ehegatten ist verfassungsgemäß. Die jährliche Abschmelzung des Schenkungswertes in Höhe von 10 Prozent über den Zeitraum von zehn Jahren findet bei Schenkungen unter Ehegatten nicht vor dem Zeitpunkt „Auflösung der Ehe“ Anwendung. Schenkungen unterliegen damit zeitlich unbegrenzt der Pflichtteilsergänzung, soweit die Ehe nicht durch Scheidung, Aufhebung der Ehe oder den Tod des beschenkten Ehegatten beendet worden ist.

Zum Sachverhalt
Der Erblasser war in zweiter Ehe verheiratet. In seinem Testament bestimmte er seine Ehefrau und den gemeinsamen Sohn zu seinen Erben. Vor seinem Tode hatte er seiner Ehefrau eine mit einem Mietshaus bebaute Immobilie geschenkt. Die Schenkung lag zum Zeitpunkt des Todes länger als zehn Jahre zurück. Der Sohn aus erster Ehe machte wegen möglicher Pflichtteilsergänzungsansprüche gegenüber den Erben einen Anspruch auf Auskunft über die wertbildenden Faktoren der geschenkten Mietimmobilie geltend. Er berief sich darauf, dass die Ausschlussfrist für die Schenkung von zehn Jahren noch nicht zu laufen begonnen hätte.

Problemstellung
Der Gesetzgeber schützt pflichtteilsberechtigte Angehörige des Erblassers gegen eine Aushöhlung ihres Pflichtteilsanspruchs durch lebzeitige Zuwendungen des Erblassers an Dritte, indem er ihnen in § 2325 BGB einen sog. Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Erben gewährt. Schenkungen des Erblassers vor seinem Ableben können in ihrem Wert und auf dem Wege der Pflichtteilsergänzung Pflichtteilsansprüche erhöhen. Ausgenommen von dieser Regelung sind sog. Anstandsschenkungen, also Gelegenheitsgeschenke etwa zu Weihnachten oder zum Geburtstag, welche einen üblichen Rahmen nicht überschreiten.

Im Rahmen der Pflichtteilsergänzung ist zu beachten, dass die Schenkung in ihrem Wert innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jeden weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt wird. Der Schenkungswert wird also jährlich um 10 Prozent abgeschmolzen. Sind zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen, bleibt die Schenkung unberücksichtigt. Ein anderes gilt, wenn die Schenkung an den Ehegatten erfolgt. Hier beginnt die Frist nicht vor dem Zeitpunkt der Auflösung der Ehe (§ 2325 Abs. 3 S. 3 BGB).

Verfahrensgang
In der vor dem Landgericht Berlin betriebenen Klage trugen die Beklagten vor, § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB sei verfassungswidrig. Insbesondere sei die Witwe in ihren Rechten aus Art. 3 I GG (Allgemeiner Gleichheitsgrundsatz) in Verbindung mit Art. 6 I GG (Schutz von Ehe und Familie) verletzt, wenn diese Regelung ausschließlich für Ehegatten gilt. Das Landgericht Berlin und in zweiter Instanz das Kammergericht Berlin vertraten jeweils die Auffassung, die Vorschrift sei verfassungsgemäß. Hiergegen wandten sich die Beklagten mit ihrer Verfassungsbeschwerde.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Ein Verstoß gegen Art. 6 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG liege nicht vor. Nach Art. 6 GG dürfen Ehegatten gegenüber anderen Formen der Lebensgemeinschaft und Ledigen nicht benachteiligt werden. Ein anderes gilt, wenn es für die Ungleichbehandlung „einleuchtende Sachgründe“ gibt. Diese „einleuchtenden Sachgründe“ ergeben sich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts daraus, dass bei einer Ehe starke und dauerhafte wirtschaftliche Verflechtungen bestehen, die in dieser Form weder unter nichtehelichen Lebensgefährten noch im Verhältnis zu Kindern oder sonstigen Dritten existieren. Über die gegenseitigen ehelichen Unterhaltsverpflichtungen partizipiere der schenkende Ehegatte von Vermögensverschiebungen innerhalb der Ehe. Bei bestehender Zugewinngemeinschaft sei zudem über einen etwaigen Zugewinnausgleichsanspruch der übertragene Vermögenswert dem schenkenden Ehegatten nicht endgültig entzogen. Im Verhältnis zu anderen Beschenkten sei bei Ehegatten die wirtschaftlich starke Verflechtung ein struktureller Unterschied.

Praxishinweis
Eine Überraschungsentscheidung? – Wohl nicht ganz. Das Bundesverfassungsgericht bleibt seiner Linie treu und reiht diesen Beschluss ein in eine Serie vorangegangener Entscheidungen, welche das Pflichtteilsrecht als „Kernelement des deutschen Erbrechts“ oder als Garantie für die unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung von Kindern am Nachlass einstuft. Die Testierfreiheit trifft beim Pflichtteil traditionsgemäß auf Ihre Grenzen und das Bundesverfassungsgericht in der Auslegung der Regelungen streng.

Die Regelungen zum Pflichtteil sind nicht übersichtlich und sorgen immer wieder für böse Überraschungen. Überträgt ein Ehegatte seinem Partner, bspw. um ihn im Todesfall finanziell abgesichert zu wissen, bereits 25 Jahre vor seinem Tode ganz oder anteilig Eigentum an einer Immobilie, führt dies zu einem Pflichtteilsergänzungsanspruch. Es gilt zu bedenken, dass ein Pflichtteilsanspruch grundsätzlich in Geld und sofort zu erfüllen ist. Sind potentiell pflichtteilberechtigte Personen vorhanden, sehen sich die Erben oftmals nicht nur den Belastungen ausgesetzt, die sich aus den Auseinandersetzungen mit dem Pflichtteilsberechtigten im Rahmen der Ermittlung des Anspruchs ergeben, sondern mglw. auch größeren wirtschaftlichen Problemen.

Wie also hätte im Ergebnis der Wunsch des Erblassers, die von ihm ausgewählten Angehörigen nach seinem Willen in größtmöglichen Umfange zu bedenken, umgesetzt werden können? Der direkte Weg ist nicht immer der beste – Gestaltungen unter Einbeziehung von Nutzungsrechten, entgeltliche Geschäfte oder die Ausnutzung der Systematik einer ggf. bestehenden Zugewinngemeinschaft und einige andere Spielarten eröffnen zu Lebzeiten einen gewissen Handlungsraum. Wer anstrebt, durch Vermögensverschiebungen mögliche Pflichtteilsansprüche zu reduzieren, sollte zu einem möglichst frühen Zeitpunkt abwägen, ob abhängig von der persönlichen Lebens- und Vermögenssituation  ggf. andere Gestaltungen zur Verfügung stehen.

Rechtsanwältin Anita Veenhoff

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