Der Zessionar einer zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderung kann den diesbezüglichen Rechtsstreit ohne Zustimmung des Prozessgegners aufnehmen

15. Juni 2023 Newsletter Restrukturierung und Sanierung

Die Abtretung einer zur Insolvenztabelle angemeldeten, aber bestrittenen Forderung kann zu prozessualen Problemen führen. 

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BGH: Aufnahme eines Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter bei „Doppelunterbrechung“

§§ 240 S. 1, 265 Abs. 2 S. 2 ZPO, §§ 85, 86, § 180 Abs. 2 InsO
BGH, Urteil vom 16.02.2023 – IX ZR 22/22 (OLG Karlsruhe)

I. Leitsatz des Verfassers
Wenn ein Insolvenzgläubiger eine zur Tabelle angemeldete und bestrittene Forderung, über die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsstreit anhängig war, nach der Anmeldung abtritt, kann der Zessionar den Rechtsstreit ohne Zustimmung des Prozessgegners aufnehmen, sofern die Rechtsnachfolge zwischen Zessionar, Prozessgegner und dem Zedenten unstreitig ist und gegenüber dem Insolvenzgericht nachgewiesen, in der Tabelle vermerkt und dem Prozessgegner angezeigt worden ist.

II. Sachverhalt
Im Dezember 2015 erhob die e. GmbH i.L. gegen ihren ehemaligen Geschäftsführer Klage auf Rückzahlung eines aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung erlangten Betrages. Am 2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der e. GmbH i.L. eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Am 8.6.2018 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Geschäftsführers eröffnet und die Beklagte zur Insolvenzverwalterin bestellt. Der Kläger meldete unter Bezugnahme auf das Aktenzeichen des erstinstanzlichen Verfahrens seine Forderung nebst Zinsen und Kosten zur Tabelle an. Im Prüfungstermin widersprachen die Beklagte sowie der Geschäftsführer der Feststellung der Forderung. Mit Vertrag vom 23.11.2020 trat der Kläger die angemeldete Forderung an die Antragstellerin ab. Die Antragstellerin wurde in das nachträgliche Schlussverzeichnis als Gläubigerin aufgenommen, ohne die Forderung  wie beantragt  als Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung festzustellen. Die Antragstellerin hat die Aufnahme des Rechtsstreits als neue Forderungsinhaberin und nunmehrige Klägerin erklärt und beantragt, die angemeldete Forderung nebst Zinsen und Kosten als vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung zur Insolvenztabelle festzustellen. Die Beklagte hat einer Fortführung des Rechtsstreits durch die Antragstellerin widersprochen. Das Landgericht hat durch Zwischenurteil die Aufnahme des Verfahrens durch die Antragstellerin abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Antragstellerin hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Antragstellerin die Aufnahme des Rechtsstreits weiter.

III. Rechtliche Wertung

Die Aufnahme eines Rechtsstreits durch den Zessionar ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und zur Feststellung, dass die Antragstellerin den Rechtsstreit gegen die Beklagte wirksam als neue Klägerin aufgenommen hat.

Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, die Unterbrechung des Rechtsstreits dauere an. Die Antragstellerin sei mangels Zustimmung der Beklagten gem. § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht anstelle des Klägers in den Rechtsstreit eingetreten und könne das unterbrochene Verfahren deshalb nicht aufnehmen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts erachtete der BGH § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO als nicht anwendbar. Zwar sei durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der e. GmbH i.L. und über das Vermögen des Schuldners der Rechtsstreit gem. § 240 Satz 1 ZPO zweifach unterbrochen worden, jedoch komme eine Aufnahme gem. § 240 Satz 1 ZPO ausschließlich unter den Voraussetzungen der §§ 85, 86, § 180 Abs. 2 InsO in Betracht. Dabei stehe die Insolvenz der e. GmbH i.L. einer Aufnahme durch die Antragstellerin schon deshalb nicht gem. § 85 InsO entgegen, weil der Prozess infolge der Forderungsabtretung nicht (mehr) diese Insolvenzmasse betreffe.

Die Aufnahme sei zudem auch nicht gem. § 180 Abs. 2 InsO durch die Antragstellerin ausgeschlossen, weil die Zustimmung der Beklagten nicht erforderlich sei. Die Frage, wer befugt sei, einen durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochenen Rechtsstreit aufzunehmen, richte sich allein nach den insolvenzrechtlichen Bestimmungen. § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO sei hinsichtlich der Aufnahmebefugnis nicht anwendbar. Der Bestreitende könne nicht verhindern, dass derjenige, der nach erfolgtem Prüfungsverfahren (§§ 174 ff InsO) als Insolvenzgläubiger mit einer von ihm angemeldeten Forderung in die Insolvenztabelle eingetragen sei, die Feststellung durch Klageerhebung oder durch Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits betreibe. Auch dann, wenn ein Insolvenzgläubiger eine zur Tabelle angemeldete und bestrittene Forderung, über die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsstreit anhängig war, nach der Anmeldung abtrete, könne der Zessionar den Rechtsstreit ohne Zustimmung des Prozessgegners aufnehmen, sofern die Rechtsnachfolge zwischen Zessionar, Prozessgegner und dem Zedenten unstreitig und gegenüber dem Insolvenzgericht nachgewiesen sei.

IV. Praxishinweis
Zutreffend hat das Gericht das Zustimmungserfordernis des § 265 Abs. 2 S. 2 InsO hinsichtlich der Aufnahmebefugnis für nicht anwendbar erklärt. Es kann nicht in der Macht des Bestreitenden liegen, durch eine Zustimmungsversagung zu bestimmen, ob eine bestrittene Forderung einer gerichtlichen Überprüfung unterliegt oder nicht. Allerdings sind bei einer Forderungsabtretung die aufgezeigten Aspekte zu beachten, um nicht Gefahr zu laufen, vom Rechtsweg ausgeschlossen zu werden.

Rechtsanwalt Dr. Michael Lojowsky, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht