Bundesarbeitsgerichts-Entscheidungen mit Tragweite: Was Arbeitgeber zum Thema Urlaubsverjährung wissen und beachten sollten

17. Februar 2023 Insolvenzrecht Wirtschaftsrecht Blog Restrukturierung und Sanierung

Im Dezember 2022 sorgten zwei Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zur Urlaubsverjährung für Alarmstimmung bei Arbeitgebern. Ein Urteil aus dem Januar 2023 lässt Arbeitgeber wieder etwas durchatmen. Joachim Zobel und Aribert Panzer von Schultze & Braun ordnen die Entscheidungen ein.

Herr Panzer, Herr Zobel, der Jahreswechsel und damit – bezeichnenderweise – die Urlaubszeit waren bei vielen Arbeitgebern von wechselhaften Gefühlen geprägt. Woran lag das?

Aribert Panzer: Das Bundesarbeitsgericht hat kurz vor Weihnachten mit seinen beiden Entscheidungen zur Urlaubsverjährung für Aufregung bei Arbeitgebern gesorgt. Diese Entscheidungen besagen, dass nicht genommener Urlaub nicht mehr nach drei Jahren verjährt – außer, der Arbeitgeber hat seine Arbeitnehmer regelmäßig daran erinnert.

Joachim Zobel: Am 31. Januar haben die Erfurter Richter entschieden, dass die finanzielle Abgeltung von nicht genommenem Urlaub doch nach drei Jahren verjährt. Und das auch ohne regelmäßige Erinnerung durch den Arbeitgeber, allerdings nur, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wurde.

 

Warum hat das Bundesarbeitsgericht Ende Januar so entschieden?

Aribert Panzer: Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses stellt nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts eine Zäsur dar, durch die der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht mehr regelmäßig auf die Verjährung hinweisen muss. Die Frist für die Verjährung beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.

Joachim Zobel: Die gute Nachricht ist: Nach dieser Entscheidung müssen Arbeitgeber zumindest nicht mehr befürchten, dass ausgeschiedene  Arbeitnehmer ohne zeitliche Begrenzung die Auszahlung eventuell für mehrere Jahre offener Urlaubsansprüche verlangen können. Wichtig ist allerdings weiterhin, dass Arbeitgeber beim Thema Urlaub mit größter Sorgfalt agieren.

 

Worauf sollten Arbeitgeber beim Thema Urlaub achten?

Joachim Zobel: Das Urteil aus dem Januar betrifft die finanzielle Abgeltung von Urlaubsansprüchen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer getrennte Wege gehen. Es ändert nichts daran, dass Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer auf Basis der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 20. Dezember 2022 regelmäßig darauf hinweisen müssen, ihren Urlaub im jeweiligen Kalenderjahr zu nehmen – andernfalls verfallen und verjähren die Urlaubsansprüche nicht.

Aribert Panzer: Um bei  Urlaubsansprüchen operativ und finanziell auf der sicheren Seite zu sein, müssen Arbeitgeber bei der Urlaubsplanung ihrer Mitarbeitenden noch aktiver sein als bislang ohnehin schon – und regelmäßig das Gespräch mit ihnen suchen.

 

Welche Herausforderungen sehen sich Arbeitgeber beim Thema Urlaub gegenüber?

Aribert Panzer: Operativ und finanziell gesehen sind die Themen Urlaub und Verjährung von Urlaubsansprüchen mit den beiden Entscheidungen vom 20. Dezember 2022 für Unternehmensentscheider enorm aufwendig geworden. Schließlich muss ein Unternehmen für jeden Urlaubstag, den ein Arbeitnehmer im laufenden Geschäftsjahr nicht und damit über den Jahreswechsel mitnimmt, finanzielle Rückstellungen bilden. Denn wenn der Arbeitnehmer mit Resturlaub kündigt oder ihm gekündigt werden muss, kann es sein, dass der Resturlaub ausgezahlt werden muss – im Fall der Fälle auch noch bis zu drei Jahre nach dem Ausscheiden.

Joachim Zobel: In solchen Fällen ist ein entsprechendes finanzielles Polster für den Arbeitgeber am Ende viel wert. Allerdings können die Rückstellungen die Firmenbilanz über einen langen Zeitraum negativ beeinflussen, da sie im Falle eines Abrufs den zu versteuernden Gewinn und damit die Steuerlast des Unternehmens erhöhen.

 

Wie können Arbeitgeber das finanzielle Urlaubs-Risiko minimieren?

Aribert Panzer: Für Arbeitgeber ist es dringend empfehlenswert, ihre Vorgehensweise beim Thema Urlaub mit Blick auf die jüngsten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zu überprüfen. Fest steht, dass Arbeitgeber dafür Sorge tragen müssen, dass ihre Arbeitnehmer ihren Urlaub wirklich wahrnehmen.

Joachim Zobel: Seit 2019 ist klar: Ein Arbeitgeber muss seine Arbeitnehmer formal und rechtzeitig darauf hinweisen, dass sie noch Urlaubstage übrig haben und diese verfallen können. Wichtig ist dabei, dass der Arbeitgeber auch nachweisen kann, dass er seine Arbeitnehmer an ihre verbleibenden Urlaubstage und den möglichen Verfall erinnert hat. Denn nur dann verfällt der Jahresurlaub der Arbeitnehmer zum Ende des Jahres beziehungsweise zum 31. März des Folgejahres. Zudem müssen Arbeitgeber nun noch darauf achten, dass sie ihre Arbeitnehmer auch auf die Verjährung ihrer Urlaubsansprüche nach drei Jahren aufmerksam machen.

 

Gibt es denn eine klar definierte Hinweispflicht für Arbeitgeber bezüglich der Urlaubplanung ihrer Arbeitnehmer?

Aribert Panzer: Diese sogenannte Hinweisobliegenheit ist leider sehr unkonkret definiert. Es ist schlichtweg nicht klar, was ein ‚formales und rechtzeitiges Hinweisen‘ ist. Dadurch gestaltet sich optimales Verhalten für den Arbeitgeber schwierig. Erinnert dieser beispielsweise zu früh im Jahr, fehlt dem Hinweis die Wirkungskraft. Je näher das Jahresende rückt, desto wirksamer werden Erinnerungen oder gut gemeinte Warnungen vor einem Urlaubsverfall. Dabei kommt es dann  aber mitunter vor, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub aus betrieblichen Gründen nicht mehr im laufenden Geschäfts- und Kalenderjahr nehmen kann. Für Arbeitgeber ist es daher ratsam, das Thema Urlaub regelmäßig anzusprechen, beispielsweise alle drei Monate. Der Vorteil bei solch einem regelmäßigen Turnus ist, dass alle informiert bleiben, aber nicht von dem Thema genervt werden.

Joachim Zobel: Wichtig ist, dass ein Arbeitgeber bei diesen Hinweisen aber zum Beispiel auch langzeitkranke Arbeitnehmer informiert – etwa für das Kalenderjahr, in dessen Lauf die Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist. Um auf der sicheren Seite zu sein, sollten Arbeitgeber die Information ihrer Arbeitnehmer schriftlich dokumentieren und sich von den Arbeitnehmern innerhalb einer angemessenen Frist bestätigen lassen, dass sie die Information erhalten und verstanden haben. Das gemeinsame Ziel von Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollte es sein, die Urlaubswünsche abzufragen, um diese bei der Festlegung des Urlaubs mit den betrieblichen Notwendigkeiten abzustimmen. Beide Seiten profitieren von einem regelmäßigen Austausch. Das Thema Urlaubsplanung und -gewährung wird so – trotz ungenauer Definition – zu einer lösbaren Aufgabe.

Die Interviewpartner

Joachim Zobel

leitet die Abteilung Arbeitsrecht von Schultze & Braun. Zu den Fachgebieten des Fachanwalts für Arbeitsrecht zählen insbesondere das Insolvenz- und Sanierungsarbeitsrecht.

Aribert Panzer

ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Schultze & Braun. Er ist zudem spezialisiert auf Betriebsänderungen, Outplacement und Transfergesellschaften.