„Quick Fixes“ bei der Umsatzsteuer

04. März 2020 Newsletter Steuerberatung

Seit 1993 existiert der Binnenmarkt der Europäischen Union. Die von den EU-Mitgliedstaaten vereinbarten Regelungen zur Harmonisierung der nationalen Umsatzsteuergesetze wurden seinerzeit als Übergangslösung ausgestaltet. Derzeit verfolgt die Europäische Kommission Reformpläne, die in einer endgültigen umsatzsteuerlichen Regelung des grenzüberschreitenden Handels zwischen Unternehmen in der Europäischen Union münden sollen. Näheres erfahren Sie in diesem Newsletter.

Mario Schnurr, MBA
Mario Schnurr

Steuerberater

Dipl.-Betriebswirt (BA)

MBA (International Taxation)

Während die umfassende Reform derzeit noch in weiter Ferne scheint, begünstigen die derzeitigen Übergangsregelungen (die wohlgemerkt seit 1993 bestehen) den grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug und weisen eine hohe Komplexität sowie geringe Effizienz auf. Deshalb haben die Mitgliedstaaten als erste Stufe der Reform als Sofortmaßnahmen, die „Quick Fixes“, sozusagen als „Schnellreparatur“, auf den Weg gebracht. Die Mitgliedsstaaten mussten diese bis zum 1. Januar 2020 in die nationalen Umsatzsteuergesetze umsetzen.

Die Quick Fixes im Überblick

Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen

Eine Steuerfreiheit für innergemeinschaftliche Lieferungen war schon bisher an die Voraussetzung geknüpft, dass der Liefergegenstand in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet wird. Zusätzlich muss der Abnehmer ein Unternehmer sein, der – und das ist in der aktuellen Gesetzesfassung das Neue – in einem anderen Mitgliedstaat für Zwecke der Umsatzsteuer erfasst sein muss. Oder anders gesagt: Der Abnehmer muss eine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwenden, die ihm ein anderer Mitgliedstaat erteilt hat.

Belegnachweise

Mit der Einführung einer sogenannten Gelangensvermutung wurden die Belegnachweise für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung erweitert und erstmals EU-weit einheitlich geregelt. Die Gelangensvermutung wurde in das deutsche Umsatzsteuergesetz neben oder anstelle der bisherigen Gelangensbestätigung eingeführt. Mit den Belegnachweisen hat das liefernde Unternehmen zu belegen, dass die Lieferungen, für die die Steuerfreiheit in Anspruch genommen wird, auch tatsächlich im EU-Ausland angekommen sind. Da die Gelangensvermutung zusätzlich zur bisherigen Gelangensbestätigung und den alternativen Nachweisen (z.B. CMR-Frachtbrief oder Speditionsbescheinigung) eingeführt wurde, ergibt sich für deutsche Unternehmen aus der Änderung kein zwingender Handlungsbedarf.

Lieferungen in Konsignationslager

Konsignationslager sind Lagerstätten, die beim Kunden eingerichtet werden und dazu dienen, eine zeitnahe Belieferung des Kunden sicherzustellen. Dabei erwirbt der Kunde die Ware erst mit der Entnahme aus dem Lager. Bisher gab es in der Umsatzsteuer nur nationale Regelungen im Hinblick auf die grenzüberschreitende Bestückung von Konsignationslagern. Das hatte zur Folge, dass in verschiedenen EU-Mitgliedsländern unterschiedliche Vereinfachungsregelungen und Nachweispflichten bestanden, was den Wettbewerb verzerrte.

Mit der neuen Konsignationslagerregelung gilt – wenn weitere Voraussetzungen erfüllt werden – die Ware erst mit dem Zeitpunkt der Entnahme aus dem Lager als geliefert. Erst zu diesem Zeitpunkt findet im umsatzsteuerlichen Sinne also eine gegebenenfalls steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung statt. Das sogenannte innergemeinschaftliche Verbringen sowie der korrespondierende innergemeinschaftliche Erwerb im EU-Staat des Konsignationslagers entfallen. Sie mussten bisher beim Einlagern in einem Lager im EU-Ausland deklariert werden. Daraus ergaben sich häufig auch Registrierungspflichten im Ausland.

Wesentliche Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Neuregelung sind, dass der Abnehmer zum Zeitpunkt des Verbringens ins EU-Ausland bekannt war und dessen Identität durch Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nachgewiesen wird. Darüber hinaus muss die Ware innerhalb von 12 Monaten nach der Einlagerung in das Konsignationslager vom Kunden abgenommen werden.

Reihengeschäfte

Reihengeschäfte liegen vor, wenn mehrere Unternehmen über denselben Gegenstand Liefergeschäfte abschließen und der Gegenstand dabei unmittelbar vom ersten Lieferanten an den letzten Abnehmer gelangt. Die umsatzsteuerliche Beurteilung solcher Reihengeschäfte bereitete immer wieder Probleme, insbesondere die Zuordnung der sogenannten bewegten Lieferung, die innerhalb eines Reihengeschäfts als einzige als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung gelten kann.

Mit den Quick-Fixes wurden die Kriterien für die Zuordnung der bewegten Lieferung im Reihengeschäft EU-weit vereinheitlicht. Die neue Regelung schließt auch den Warenverkehr mit einem Drittland mit ein. Wenn der erste Unternehmer in der Kette den Transport beauftragt, dann gilt künftig stets seine Lieferung als bewegte – und damit potentiell steuerfreie – Lieferung. Wenn der letzte Abnehmer in der Kette den Transport beauftragt, dann gilt die Lieferung an ihn als bewegte Lieferung.

Schwierigkeiten bereiteten bisher vor allem Lieferungen, bei denen ein Händler in der Mitte den Transport beauftragt. Künftig ist grundsätzlich die Lieferung an ihn als bewegte Lieferung anzusehen. Der Zwischenhändler kann stattdessen aber auch bewirken, dass die von ihm selbst bewirkte Lieferung als bewegte Lieferung zuzuordnen ist. Dies erfolgt über die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Verwendet der Zwischenhändler gegenüber dem leistenden Unternehmer bis zum Beginn der Beförderung eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Landes, in dem die Lieferung beginnt, ist die Beförderung oder Versendung seiner Lieferung zuzuordnen.

Steuerberater Mario Schnurr, Dipl.-Betriebswirt (BA)