Stehen gelassene Gewinne können zu nachrangigen Forderungen werden
BGH: Zahlungen zulasten des ohne Verlustverrechnungsmöglichkeit geführten Verrechnungskontos sind nach § 135 I Nr. 2 InsO anfechtbar
InsO § 135 I Nr. 2
BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - IX ZR 122/19 (OLG Nürnberg)
I. Leitsatz des Verfassers
Die Entnahme von Guthaben auf einem Kapitalkonto des Kommanditisten ist wie die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens anfechtbar, wenn die Auslegung des Gesellschaftsvertrags ergibt, dass das Guthaben keine Beteiligung des Kommanditisten, sondern schuldrechtliche Forderungen ausweist.
II. Sachverhalt
Die beklagten Kommanditisten wurden vom klagenden Insolvenzverwalter einer GmbH & Co KG wegen einer Auszahlung in Höhe von 250.000 EUR in Anspruch genommen. Diese war rund vier Monate vor dem Insolvenzantrag erfolgt.
Der Beklagte war zunächst mit 77 %, später sogar zu jeweils 100 % an der Insolvenzschuldnerin und deren Komplementär-GmbH beteiligt. Der Gesellschaftsvertrag der KG sah ein Vier-Konten-Modell vor. Auf dem variablen Privatkonto war eine Verrechnung mit Verlustanteilen nicht ausdrücklich vorgesehen und Gewinngutschriften sowie -entnahmen waren darauf zu buchen.
Nach Feststellung des Jahresabschlusses 2012 im April 2013 wurde der jeweilige Gewinnanteil den Kommanditisten mit Wirkung zum Ende des Jahres 2012 gutgeschrieben. Im Januar 2014 tätigte die Insolvenzschuldnerin die streitgegenständliche Zahlung zu Lasten des Privatkontos des Beklagten, welches auch aufgrund der Gewinngutschrift für 2012 ein ausreichendes Guthaben auswies.
Die Vorinstanzen gaben der auf § 135 InsO gestützten Klage statt.
III. Rechtliche Wertung
Die vom BGH zugelassene Revision hatte keinen Erfolg. Zunächst stellt der BGH fest, dass der persönliche Anwendungsbereich der Reglungen zu Gesellschafterdarlehen eröffnet ist.
Die Zahlung stelle eine Rückführung einer einem Darlehen entsprechenden Forderung an einen Gesellschafter dar. Unabhängig vom Entstehungsgrund sei eine über mehr als drei Monate faktisch gestundete Forderung eines Gesellschafters grundsätzlich als darlehensgleich anzusehen. Da nach dem Gewinnverwendungsbeschluss das Guthaben auf dem Privatkonto des Beklagten mehr als acht Monate stehen gelassen worden sei, handle es sich bei der Zahlung um die Rückgewähr einer Forderung, die einem Darlehen wirtschaftlich entspreche.
Das Guthaben auf dem Privatkonto verringere sich nach den Regelungen im Gesellschaftsvertrag durch Verluste der Insolvenzschuldnerin nicht. Trotz geltender Entnahmebeschränkungen und Berücksichtigung bei der Berechnung eines Abfindungsguthabens sei es nicht als Ausweis der Beteiligung zu qualifizieren. Die Kontenbezeichnung, eine gewinnunabhängige Verzinsung und der Ausweis in den Bilanzen als „Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern“ würden zudem für eine schuldrechtliche Forderung des Gesellschafters sprechen, die durch die Zahlung innerhalb der Frist des § 135 I Nr. 2 InsO befriedigt wurde.
Die streitige Frage, ob eine Zahlung auf einen stehen gelassenen Gewinnanspruch des Gesellschafters bei Auflösung einer Gewinnrücklage oder eines Gewinnvortrags als darlehensgleich zu bewerten sei, bedürfe daher hier keiner Entscheidung.
IV. Praxishinweis
Die durch die streitgegenständliche Zahlung befriedigte Forderung resultierte aus einem Gewinnverwendungsbeschluss. Spätestens nach der Umbuchung auf das Privatkonto konnte der BGH sie als schuldrechtlich einordnen. Für stehen gelassene Gewinnansprüche ohne einen zu einer schuldrechtlichen Forderung führenden Gewinnverwendungsbeschluss, bleibt die Rechtslage nach einer Auszahlung weiter nicht geklärt. Ob solche Forderungen, die im Insolvenzverfahren lediglich nach § 199 InsO zu berichtigen wären, bei einer Befriedigung im letzten Jahr vor der Antragstellung nach § 135 I Nr. 2 InsO anfechtbar sind oder nur dem gesellschaftsformspezifischen Haftungsregime (z.B. §§ 30, 31 GmbH) unterfallen, bleibt somit offen.
Mit der Entscheidung bestätigt der BGH frühere Entscheidungen zu den Folgen des Stehenlassens einer (schuldrechtlichen) Gesellschafterforderung (vgl. Schütze, FD-InsR 2019, 420932). Dabei werden schuldrechtlich Forderungen eines nicht privilegierten Gesellschafters, die originär keine Finanzierungsforderungen sind und folglich im Insolvenzverfahren nach § 38 InsO als nicht nachrangige Insolvenzforderungen zu behandeln wären, nachträglich umqualifiziert. Im Fall der Befriedigung solcher Forderungen in der Jahresfrist des § 135 I Nr. InsO folgt daraus die Anfechtbarkeit.
Rechtsanwalt Karsten Kiesel
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