Schuldbefreiung bei Leistung des Drittschuldners an einen Dritten


BGH: Grundsätzlich keine Befreiung bei Zahlungen an Schuldner in Kenntnis der Verfahrenseröffnung ohne Einwilligung/Genehmigung des Verwalters

InsO §§ 24 Abs. 1, 82
BGH, Urteil vom 8.07.2021 – IX ZR 121/20 (OLG Koblenz)

I. Leitsatz des Verfassers
Eine Ermächtigung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter zur Fortsetzung schuldbefreiender Zahlungen an einen Dritten, die auf einer vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Schuldner und einem Drittschuldner beruhen, kann darin zu erblicken sein, dass der Verwalter die Geschäftsbeziehung mit dem Drittschuldner fortsetzt, ohne Abstand von der vertraglichen Vereinbarung zu nehmen.

Die Zahlung an einen Dritten hat schuldbefreiende Wirkung, wenn die Masse dadurch von einer Masseverbindlichkeit entlastet wird, die anderenfalls der Verwalter in voller Höhe zu begleichen hätte.

II. Sachverhalt
Mit Beschluss vom 17.12.2013 wurde der Kläger zum starken vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der auf dem Gebiet der Arbeitnehmerüberlassung (AÜ) tätigen Schuldnerin bestellt, mit Eröffnungsbeschluss vom 1.2.2014 zum Insolvenzverwalter. Die Schuldnerin hatte mit der beklagten Entleiherin einen AÜ-Vertrag geschlossen und darin u.a. vereinbart, dass die Beklagte auf die Rechnungen der Schuldnerin einen Anteil von 30 % direkt an die von der Schuldnerin gewählte Krankenkasse zu zahlen hatte. Der Kläger teilte der Beklagten am 19.12.2013 die Weiterführung des schuldnerischen Geschäftsbetriebes mit und forderte sie zur Zahlung auf die von ihm eingerichteten Konten auf. Auf diese Konten zahlte die Beklagte in der Zeit vom 17.1. bis 21.3.2014 zum Ausgleich von Rechnungen für AÜ in der Zeit vom 27.11.2013 bis zum 31.1.2014 Beträge in Höhe von 156.367 EUR, Beträge in Höhe von 52.708 EUR zahlte sie an ihre Streithelferin, die von der Schuldnerin gewählte Krankenkasse.

Der Kläger forderte die Streithelferin zur Erstattung der an sie gezahlten Beträge auf, erhielt aber nur einen Betrag in Höhe von 2.607 EUR. Seine anschließende Klage gegen die Entleiherin war im Ergebnis nur teilweise erfolgreich.

III. Rechtliche Wirkung

Keine Erfüllungswirkung der von der Entleiherin in Kenntnis der Verfahrenseröffnung direkt an die Krankenkasse geleisteten Beitragszahlungen

Die nach und in Kenntnis der Verfahrenseröffnung an die Streithelferin geleisteten Zahlungen bewirkten, so der BGH, nicht die Erfüllung der Vergütungsansprüche der Schuldnerin gem. § 362 BGB, weil nach Maßgabe des § 82 S. 1 InsO nicht an den Empfangszuständigen geleistet worden sei. Unerheblich sei insoweit, dass nicht an die Schuldnerin, die bereits im Eröffnungsverfahren infolge des allgemeinen Verfügungsverbotes und mit Verfahrenseröffnung gem. § 80 Abs. 1 InsO fortdauernd die Verfügungsbefugnis und damit die Empfangsberechtigung verloren habe, sondern vereinbarungsgemäß an die Krankenkasse geleistet worden sei. Sollte die Vereinbarung der Direktzahlung eine Ermächtigung der Beklagten i. S. v. §§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 1 BGB darstellen, sei diese schon mit dem Übergang der Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen starken Insolvenzverwalter insolvenzrechtlich unwirksam geworden. Sollte die Vereinbarung der Direktzahlung als Erfüllungsübernahme anzusehen sein werden, habe sich der daraus gegen die Entleiherin resultierende Freistellungsanspruch der Schuldnerin trotz der infolge der nur an die Streithelferin möglichen Abtretung grundsätzlichen Unpfändbarkeit (§ 399 Fall 1 BGB, § 851 I ZPO) mit Verfahrenseröffnung in einen in die Masse fallenden Zahlungsanspruch verwandelt, der der Gläubigergesamtheit zur Verfügung stehen müsse.

Der Kläger habe die schuldbefreiende Wirkung dieser Zahlungen weder nach §§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 2 BGB durch ausdrückliche oder konkludente Genehmigung bewirkt, noch durch Einwilligung nach § 185 Abs. 1 BGB. Eine solche Einwilligung könne aus dem Schreiben des Klägers vom 19.12.2013 nur für den Zeitraum des Eröffnungsverfahrens mit der Folge der Erfüllungswirkung nur der bis Eröffnung geleisteten Zahlungen angenommen werden. Dies gelte jedoch nicht für das eröffnete Insolvenzverfahren, für das der Kläger weder als vorläufiger Verwalter, noch als Insolvenzverwalter eine entsprechende Erklärung abgegeben habe. Eine solche Erklärung könne auch nicht in der Inanspruchnahme der Streithelferin gesehen werden.

Befreiende Wirkung komme den Zahlungen nach § 82 InsO auch deshalb nicht zu, weil es sich bei den vom Kläger in seiner Eigenschaft als starker vorläufiger Verwalter begründeten Beitragsschulden nicht um Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 2 InsO handele, sondern gem. § 55 Abs. 3 InsO um Insolvenzforderungen.

IV. Praxishinweis
Der Entscheidung ist zuzustimmen.

Der BGH bestätigt mit der Entscheidung die in der Kommentarliteratur zu § 82 InsO vertretene Auffassung, dass entsprechend der vom Gesetzgeber mit § 82 InsO gegenüber § 8 Abs. 1 KO („Eine Leistung, welche auf eine zur Konkursmasse zu erfüllende Verbindlichkeit nach der Eröffnung des Verfahrens an den Gemeinschuldner erfolgt ist, befreit den Erfüllenden den Konkursgläubigern gegenüber nur insoweit, als das Geleistete in die Konkursmasse gekommen ist.“) nur redaktionell vorgenommenen Verkürzung der in Kenntnis der Verfahrenseröffnung an den Schuldner oder an einen Dritten leistende Drittschuldner auch dann befreit wird, wenn die Leistung bei wirtschaftlicher Betrachtung der Masse zufließt. So z. B., wenn eine Verbindlichkeit getilgt wird, die der Insolvenzverwalter als Masseverbindlichkeit ausgleichen müsste.

Während bestehende Vereinbarungen durch die vorläufige Verwaltung nicht tangiert werden, worauf der BGH ausdrücklich hinweist, gilt das nach §§ 21, 22, 24 InsO für die Verfügungsbefugnis des Schuldners oder dessen Empfangszuständigkeit gerade nicht.

Die vorliegende Entscheidung zeigt weiter zum einen, dass der vorläufige Insolvenzverwalter auf möglichst eindeutige Erklärungen achten muss und darauf, nicht durch konkludentes Handeln ungewollte Erklärungen abzugeben. Zum anderen stellt die Entscheidung auch klar, dass mit Verfahrenseröffnung eine (weitere) Zäsur erfolgt und Befugnisse eines vorläufigen (starken) Verwalters erlöschen und der nun bestellte Insolvenzverwalter grundsätzlich nicht an Erklärungen des vorläufigen Verwalters gebunden ist.

Rechtsanwalt Harald Kroth, Fachanwalt für Insolvenzrecht


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