Privatinsolvenz, Verzicht auf zusätzliches Entgelt
LAG Bremen: Tariflicher Freistellungsanspruch in der Privatinsolvenz
ZPO 829 Abs. 1 S. 2, § 888 Abs. 3; InsO § 82 Abs. 1 S. 1, § 36 Abs. 1 S. 1
LAG Bremen (1. Kammer), Urteil vom 08.09.2020 – 1 Sa 13/20
I. Leitsatz des Verfassers
Der Gewährung der tariflichen Freistellungszeit steht die Privatinsolvenz eines Arbeitnehmers nicht entgegen.
II. Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Gewährung von Zeiten der Freistellung anstelle eines tariflichen Zusatzgeldanspruchs. Auf das Arbeitsverhältnis findet ein Tarifvertrag über ein tarifliches Zusatzgeld Anwendung (TV T-ZUG). Danach erhalten Beschäftigte bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen ein tarifliches Zusatzgeld. Anstelle des Zusatzgeldes können die betroffenen Arbeitnehmer die in einem Manteltarifvertrag (MTV) geregelte tarifliche Freistellung in Anspruch nehmen.
Der Kläger beantragte vor dem 31.10.2018 die Gewährung der tariflichen Freistellung für den Zeitraum des Jahres 2019, wobei die Voraussetzungen für die Umwandlung des Zusatzentgelts in die Freistellung erfüllt waren. Dabei befand er sich bis zur Restschuldbefreiung im April 2019 in Privatinsolvenz. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dem Antrag stünden pfändungsrechtliche Vorschriften entgegen. Bei der tariflichen Wahloption handele es sich um eine gem. § 829 I 2 ZPO untersagte Verfügung. Sie würde eine unzulässige Benachteiligung der Gläubiger unterstützen und sich dem Risiko einer Doppelbeanspruchung aussetzen.
Das AG Bremen-Bremerhaven sprach dem Kläger den Anspruch auf Gewährung der Freistellung zu. Gegen das Urteil legte die Beklagte beim LAG Bremen Berufung ein.
III. Rechtliche Wertung
Das LAG Bremen folgte im Wesentlichen dem Urteil des AG Bremen-Bremerhaven. Der Gewährung der tariflichen Freistellungszeit stünden weder insolvenzrechtliche noch pfändungsrechtliche Regelungen entgegen. Die Privatinsolvenz, insbesondere das Verfügungsverbot des § 82 I. 1 InsO, bringe den klägerischen Anspruch nicht zu Fall. Danach sind Verfügungen des Schuldners über einen Gegenstand der Insolvenzmasse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam. Die Arbeitskraft des Schuldners sowie sein Arbeitsverhältnis gehören jedoch nicht zur Insolvenzmasse, denn diese seien keine Vermögensrechte. Vielmehr handele es sich hierbei um Persönlichkeitsrechte, bzw. um höchstpersönliche Rechtsbeziehungen. Der Schuldner könne zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht gezwungen werden und dürfe über den Inhalt seines Arbeitsvertrags ohne Zustimmung des Treuhänders verfügen.
Dies wird auch durch die Regelung des § 36 I 1 InsO iVm. § 888 III ZPO bestätigt. Zu der Insolvenzmasse gehöre nur das, was Zugriffsobjekt in der Zwangsvollstreckung sein könne. Die Erbringung der Arbeitsleistung könne gem. § 888 III ZPO nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Es obliege allein der Entscheidung des Schuldners, ob und unter welchen Konditionen er die Insolvenzmasse durch das Entstehenlassen von vertraglichen Ansprüchen mehrt. Es bestehe keine Pflicht des Schuldners zum wertschöpfenden Einsatz seiner Arbeitskraft für die Masse.
Auch die Pfändung des Arbeitseinkommens stehe der Gewährung der Freistellungszeit nicht entgegen. Grundsätzlich wäre von der Pfändung auch zukünftiges Arbeitseinkommen und somit für das Jahr 2019 entstehende tarifliche Zusatzgeld erfasst. Wirksam werde die Pfändung jedoch erst in dem Zeitpunkt, in dem die Forderung entstehe. Vorliegend entstünde der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld erst zum 31.7.2019. Der Kläger habe die Gewährung tariflicher Freistellungstage bereits vor dem 31.10.2018 beantragt und damit darüber entschieden, dass der Anspruch auf das Zusatzgeld nicht entstehen solle.
Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
IV. Praxishinweis
Da die Arbeitskraft des Schuldners und dessen Arbeitsverhältnis nicht zur Insolvenzmasse gehören (§ 36 I InsO) kann er frei über deren „Verwertung“ entscheiden. Die Entscheidung statt eines „tariflichen Zusatzgeldes“ die „Freistellung“ zu wählen ist nun eine weitere dem Schuldner eingeräumte Möglichkeit, auf die Höhe des pfändbaren Einkommens und damit die „Befriedigung der Gläubiger“ einzuwirken. Nur im Rahmen der bestehenden Obliegenheiten des Schuldners unter anderem eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben, kann der Insolvenzverwalter/Treuhänder hier regulierend eingreifen. Insoweit sollten die Entscheidungen des Schuldners in Bezug auf den „Einsatz dessen Arbeitskraft“ mit der gebotenen Sorgfalt geprüft werden.
Rechtsanwalt Joachim Zobel, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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