Brexit means Brexit – good bye Gründungstheorie
OLG München: Behandlung einer britischen Limited mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland nach der sog. «milden Form der Sitztheorie»
EUV Art. 50, Art. 49, Art. 54; Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich vom 24.12.2020 Anhang SERVIN-1 Nr. 10; ZPO § 50 Abs. 1, § 56
OLG München Urteil vom 5.8.2021 – 29 U 2411/21 (LG München I)
I. Leitsatz der Verfasserin
Seit dem 1.1.2021 haften Gesellschafter einer britischen Limited mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland persönlich und unbeschränkt. Solche britischen Limiteds sind nicht partei- und rechtsfähig. Sie sind als GbR, OHG bzw. Einzelkaufmann zu behandeln.
II. Sachverhalt
Zugrunde liegt ein kartellrechtlicher Unterlassungsanspruch im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Kosmetikartikeln. Gegen das erstinstanzliche Urteil im einstweiligen Verfahren legte die Antragstellerin Berufung ein. Das OLG wies die Berufung als unzulässig zurück, insbesondere da die Antragstellerin mangels Rechtsfähigkeit nicht parteifähig im Sinne von § 50 Abs. 1 ZPO ist.
III. Rechtliche Wertung
Mit dem Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union gem. Art. 50 EUV zum 31.12.2020 verlor die Antragstellerin die Rechtsfähigkeit, da der tatsächliche Verwaltungssitz in Deutschland und nicht im Vereinigten Königreich läge. Das OLG verweist auf die sogenannte Sandrock’sche Formel (BGHZ 97, 269, 272) und die gewohnheitsrechtliche Geltung der sogenannten milden Sitztheorie. Danach ist auf eine Gesellschaft das Recht des Staates anwendbar, in dem diese ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat. Dieser ist dort, wo grundlegende Entscheidungen der Unternehmensleitung getroffen und umgesetzt werden. Die Antragstellerin konnte den Vortrag der Antragsgegnerin, der tatsächliche Verwaltungssitz sei in Berlin, Deutschland, nicht glaubhaft zugunsten Großbritanniens widerlegen. Das OLG betonte, dass allein die Sandrock’sche Formel gelte und Rückgriffe auf Anknüpfungen zum Steuerrecht oder Gewerberecht nicht infrage kämen. Diese sowie auch sekundäre Verwaltungstätigkeiten lassen keinen Schluss auf die maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse zu, die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensführung getroffen werden.
Das OLG stellt darüber hinaus klar, dass das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich vom 24.12.2020 keine Fortgeltung der Gründungstheorie oder eine Rechtsposition, die der Niederlassungsfreiheit in der Ausprägung der EuGH Rechtsprechung nahekommt, vorsieht. Das Gericht erteilt auch eine Absage an Stimmen in der Literatur, die aus Vorschriften wie den Artikeln SERVIN 2.2 – 2.4 des Abkommens über Investitionskredit und Marktzugang eine Art Niederlassungsfreiheit herbeileiten wollen.
Aus der Anwendung der Sitztheorie folge deshalb, dass auf die Antragstellerin deutsches Recht anzuwenden ist. Mit Verweis auf den Numerus clausus im Gesellschaftsrecht folgerte das OLG, dass die Gesellschaftsform einer britischen Limited im deutschen Recht unbekannt und damit nicht rechtsfähig ist. Sie sei deshalb aber nicht als rechtliches Nullum zu qualifizieren, sondern je nach Ausgestaltung als GbR, OHG oder im Fall nur einer Gesellschafterin als Einzelkaufmann (BGH NJW 2009, 289). Für den Gesellschafter folgt daraus die volle persönliche und unbeschränkte Haftung.
In der Konsequenz hatte die Antragstellerin ihre Rechts- und Parteifähigkeit verloren. Ein Verfügungsantrag einer existierenden juristischen Person lag nicht vor, weshalb dieser nach § 50 ZPO als unzulässig abzuweisen war. Daraus resultierte die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils. Für die Verwerfung der Berufung war kein Raum.
IV. Praxishinweis
Das OLG verweist auch auf den Vorlage Aufhebungsbeschluss des BGH Beschl. v. 16.2.2021 – II ZB 25/17. Die Vorlagefrage setzte die Niederlassungsfreiheit voraus. Wäre durch den Austritt keine Änderung der Rechtslage eingetreten, hätte die Vorlagefrage ihre Relevanz und Entscheidungserheblichkeit behalten.
Das OLG setzte sich relativ detailliert mit der Glaubhaftmachung der Antragstellerin auseinander und stellte jedoch fest, dass Korrespondenz über die Anwendbarkeit des deutschen UStG, der Staat der steuerlichen Veranlagung und Besteuerung selbst oder die Voraussetzungen für eine Niederlassung nach der deutschen GewO keine relevante Erkenntnisquelle für die Bestimmung des tatsächlichen Verwaltungssitzes sind. Genauso wenig hatte die Bestätigung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft über erzielte Umsätze dazu beitragen können. Allerdings wurde durch diese ersichtlich, dass die Antragstellerin offenbar bei besagter Wirtschaftsprüfungsgesellschaft „residierte“, diese also lediglich als menschlicher Briefkasten operierte. Auch das Impressum auf der Webseite wies lediglich die Berliner Postfachadresse aus.
Überraschend ist das Urteil freilich nicht, da der Austrittsvertrag zu jeglicher zivil-justizieller Zusammenarbeit schweigt und bereits höchstrichterlich entschieden ist, dass gegenüber Drittstaaten die Sitztheorie gilt und sich Gesellschafter nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen können (BGH Urt. v. 27.10.2008 – II ZR 158/06).
Interessant wird jedoch, ob der Insolvenzbeschlag im Insolvenzverfahren über die Fluggesellschaft Air Berlin PLC (public limited company, eine Aktiengesellschaft nach englischem Recht) der Gesellschafterin Clearstream Banking AG einen Ausweg liefert. Denn als auf Schadensersatz und Haftung in Anspruch genommene Gesellschafterin konnte diese an der Gesellschaftsform oder den tatsächlichen Umständen als Reaktion auf den Austrittsvertrag nichts mehr ändern, da das Insolvenzverfahren bereits eröffnet war. Ein erster Schritt ist mit diesem OLG Urteil jedoch im Hinblick auf den Wirkungsrahmen des Austrittsvertrages getan.
Rechtsanwältin Dr. Annerose Tashiro, Registered Foreign Lawyer (SRA)
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