Auf dem Weg zu einer neuen Insolvenzkultur?
Mit der Reform des Insolvenzrechts durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, kurz: ESUG, wollte der Gesetzgeber einen großen Schritt hin zu einer anderen Insolvenzkultur machen. Die Insolvenz galt bislang immer als Synonym für das Scheitern. Nun sollte daraus eine zweite Chance werden, wie das in anderen Ländern längst der Fall sei.
Um dieses Ziel zu erreichen, sollten Unternehmenslenker dazu gebracht werden, früher als bisher Insolvenzantrag zu stellen. Sanierungschancen sind für Unternehmen signifikant höher, wenn ein Insolvenzantrag so früh wie möglich eingereicht wird. Mit dem ESUG sollten die Fortführungschancen der Unternehmen erhöht werden, ebenso die Zahl der geretteten Arbeitsplätze.
Entscheidende Instrumente, um diese Ziele zu erreichen, waren die Stärkung des Eigenverwaltungsverfahrens und die Einführung des Schutzschirmverfahrens. Beides sollte dem Schuldner die eigenverantwortliche Sanierung des Unternehmens ohne Insolvenzverwalter, jedoch mit insolvenzrechtlicher Beratung und unter Aufsicht eines Sachwalters ermöglichen. Gleichzeitig sicherte das ESUG den Gläubigern ein stärkeres Mitspracherecht bei der Auswahl eines Insolvenzverwalters und vergrößerte das Instrumentarium des Insolvenzplans. Seither ist es beispielsweise möglich, mit Hilfe eines Insolvenzplans in Gesellschafterrechte einzugreifen, beispielsweise indem Forderungen in Eigenkapital umgewandelt werden (Dept-Equity-Swap).
Fünf Jahre ESUG: Was zeigt die Praxis?
Mit dem ESUG wurde zugleich der Prüfungsauftrag erteilt zu klären, ob und wie die neuen Regeln in der Praxis funktionieren. Das Ergebnis: „Die durch das ESUG eingeführten Änderungen wurden in den vergangenen fünf Jahren von der Praxis weitgehend positiv angenommen, eine Rückkehr zum früheren Recht ist nicht veranlasst“, heißt es in dem entsprechenden Bericht der Bundesregierung. Die Reformen, die eine von der Bundesregierung mit der Evaluation beauftragte Forschergemeinschaft vorschlägt, sollten lediglich Einzelfragen korrigieren, „ohne dass hierdurch die grundsätzliche Ausrichtung des ESUG in Frage gestellt würde“.
Als wesentliche Ergebnisse der Evaluation hält die Bundesregierung fest, dass die Stärkung der Gläubigerrechte bei der Auswahl von Insolvenzverwaltern deren Unabhängigkeit nicht beeinträchtige. Auch funktioniere das Insolvenzplanverfahren „im Wesentlichen gut“. Der praktische Anwendungsbereich habe sich durch das ESUG erheblich erweitert. Die neuen Gestaltungsmöglichkeiten durch das ESUG seien bei einer Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen zum Einsatz gekommen. Darunter fallen Anteilsübertragungen, Kapitalschnitte oder Umwandlungsmaßnahmen. Der Debt-Equity-Swap werde bei Insolvenzplänen hingegen kaum angewandt.
Werden Insolvenzanträge früher gestellt?
Für die neuen bzw. gestärkten Verfahrensarten Schutzschirm und Eigenverwaltung äußerten sich die Befragten ebenfalls skeptisch, ob Unternehmen deswegen tatsächlich ihren Insolvenzantrag früher als zuvor stellten. Insgesamt werde die normale Eigenverwaltung ungefähr dreimal so häufig genutzt wie das für eine Sanierung speziell vorgesehene Schutzschirmverfahren. Jedoch ist aufgrund fehlender Veröffentlichungspflicht hier die statistische Datenlage etwas eingeschränkt. Etwas mehr als die Hälfte der rund 300 begonnenen Schutzschirmverfahren in den vergangenen fünf Jahren seien zunächst auch im eröffneten Verfahren fortgeführt worden. Ob der Schutzschirm allerdings tatsächlich erhebliche Vorteile gegenüber der Eigenverwaltung bietet, verneinen die Befragten. Einzig die Möglichkeit, dass der Schuldner bei dieser Verfahrensart auch den Sachwalter selbst vorschlagen kann, scheint als großer Vorteil angesehen zu werden und sei ausschlaggebend für die Entscheidung pro Schutzschirm.
Insgesamt machten Eigenverwaltungsverfahren rein statistisch nur einen geringen Teil der Insolvenzverfahren aus. Aus der Praxis wissen wir jedoch, dass gerade die größeren Unternehmen die Eigenverwaltung gerne als Sanierungschance nutzen. Den Vorwurf, die Eigenverwaltung werde zu häufig bei dafür nicht geeigneten Unternehmen angewendet, wollten die von der Forschergemeinschaft befragten Fachleute überwiegend nicht so stehen lassen. Allerdings forderten sie zugleich klar definierte Gründe, mit denen eine Eigenverwaltung abgelehnt werden könnte, sowie vereinfachte Möglichkeiten, um eine Eigenverwaltung aufzuheben.
Auch die Aufgabenverteilung zwischen Richtern und Rechtspflegern habe sich nach Ansicht der Befragten bewährt und bedürfe keiner wesentlichen Änderung.
Was sind die nächsten Schritte und was bedeutet dies für das geplante vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren?
Die Bundesregierung hat angekündigt, die Ergebnisse des Berichtes nun eingehend prüfen zu wollen. Noch im Herbst soll es dazu eine erste Veranstaltung im Bundesjustizministerium geben. Außerdem will die Bundesregierung die Ergebnisse in der Umsetzung der Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen einfließen lassen. Ministerin Barley kündigte vor dem Bundestag an, hier mit einem größtmöglichen Ermessensspielraum hantieren zu wollen. Auch die befragten Praktiker hatten sich bei der Evaluation zurückhaltend gegenüber dem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren geäußert. Ihrer Ansicht nach gebe es keinen zwingenden Bedarf und wenn, dann nur als weitere Option zur Sanierung und neben den verschiedenen insolvenzrechtlichen Verfahren.
Rechtsanwalt Detlef Specovius, Fachanwalt für Insolvenzecht
Rechtsanwalt Volker Böhm, Fachanwalt für Insolvenzrecht
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