Wiederaufleben des schwebend unwirksamen Pfändungspfandrechts mit Freigabe oder Verfahrensbeendigung

11. Januar 2021 Newsletter Insolvenzrecht

Die Rückschlagsperre nach § 88 InsO führt mit Verfahrenseröffnung zur (schwebenden) Unwirksamkeit des durch die betroffene Vollstreckungsmaßnahme erworbenen Pfändungspfandrechts. Die davon nicht berührte Verstrickung bewirkt, wenn sie nicht  beseitigt wird, dass mit der Freigabe der gepfändeten Forderung oder mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens das Pfändungspfandrecht automatisch wieder wirksam wird.

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Harald Kroth
Harald Kroth

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Insolvenzrecht

BGH: Wiederaufleben eines schwebend unwirksam gewordenen Pfändungspfandrechts ohne neuerliche Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses

InsO § 88, BGB § 816 II, ZPO §§ 892 II 1, III
BGH, Urteil vom 19.11.2020 – IX ZR 210/19 (OLG Nürnberg)

I. Leitsatz des Verfassers
Ein mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Pfändungsschuldners schwebend unwirksam gewordenes Pfändungspfandrecht lebt dann, wenn der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht vom zuständigen Vollstreckungsorgan aufgehoben worden ist, mit der Freigabe der gepfändeten Forderung oder mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens wieder auf, ohne dass es einer erneuten Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Drittschuldner bedarf.

II. Sachverhalt
Der Beklagte zu 1 schuldete der Klägerin nach vollstreckbarem Urteil aus 2004 Zahlung von 250.000 EUR und weiteren 10.000 EUR. Zur Sicherung einer Darlehensforderung der Beklagten zu 2, die von der Klägerin bestritten wurde, verpfändete der Beklagte zu 1 am 5.6.2006 seine Ansprüche aus einer Lebensversicherung in Höhe von 43.866 EUR an die Beklagte zu 2. Die Verpfändung wurde dem Versicherer angezeigt. Mit einem auf Antrag der Klägerin vom 4.10.2006 erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, der dem Versicherer am 15. oder 16.11.2006 zugestellt wurde, pfändete die Klägerin die Ansprüche des Beklagten zu 1 aus der Lebensversicherung. Am 1.12.2006 beantragte der Beklagte zu 1 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen, das Verfahren wurde am 17.1.2007 eröffnet. Die Klägerin meldete ihre titulierte Forderung zur Tabelle an. Die Beklagte zu 2 meldete ihre vermeintliche Darlehensforderung in Höhe von 44.488 EUR ebenfalls zur Tabelle an. Die Treuhänderin hielt die von der Klägerin ausgebrachte Pfändung der Ansprüche aus der Lebensversicherung im Hinblick auf § 88 InsO für wirkungslos und gab die Ansprüche aus der Lebensversicherung frei. Das Insolvenzverfahren wurde am 13.1.2011 aufgehoben und dem Beklagten zu 1 am 20.3.2013 Restschuldbefreiung erteilt.

Kurz nach Ablauf der fortgeführten Lebensversicherung am 1.11.2015 teilte die Beklagte zu 2 dem Versicherer am 7.11.2015 schriftlich mit, dass sie keine Forderungen mehr gegen den Beklagten zu 1 habe und die Versicherungssumme von 87.514 EUR deshalb an den Beklagten zu 1 ausgezahlt werden könne. Am 3.2.2016 und nochmals am 31.1.2017 trat der Beklagte zu 1 seine Ansprüche aus der Lebensversicherung an die Beklagte zu 2 ab, an die auf Grund einer auf die Verpfändung und Abtretung gestützten und hinsichtlich der Abtretung erfolgreichen Klage vom Versicherer die Versicherungssumme ausgezahlt wurde.

Die Klägerin nahm anschließend die beiden Beklagten auf Duldung der Zwangsvollstreckung in die Lebensversicherung in Anspruch und beantragte hilfsweise, beide Beklagte zu verurteilen, als Gesamtschuldner 87.514 EUR an sie zu zahlen. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Gegenstand der nur in entsprechendem Umfang zugelassenen und insoweit erfolgreichen Revision war der von der Klägerin gegen die Beklagte zu 2 weiter verfolgte Zahlungsanspruch.

III. Rechtliche Wertung
Der Klägerin stehe gem. § 816 II BGB ein Anspruch gegen die Beklagte zu 2 auf Auskehrung von 87.514 EUR zu.

Berechtigung der Klägerin durch Wiederaufleben des schwebend unwirksam gewordenen Pfandrechts
Die Klägerin habe die Ansprüche des Beklagten zu 1 aus der Lebensversicherung (LV) gem. §§ 829, 835 ZPO wirksam gepfändet und damit ein Pfändungspfandrecht an der Versicherungsablaufleistung erlangt. Das Pfändungspfandrecht sei gem. § 88 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens materiell-rechtlich zwar absolut, aber nur schwebend unwirksam geworden. Mit der Freigabe der Lebensversicherung durch die Treuhänderin habe das Pfändungspfandrecht wieder volle Wirksamkeit erlangt. Dies sei Folge der durch die Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (PfÜB) bewirkten öffentlich-rechtlichen Verstrickung. Die Wirksamkeit der Verstrickung werde weder durch § 88 InsO berührt, noch sei sie anderweitig beseitigt worden. Eine erneute Zustellung des PfÜB sei angesichts der fortbestehenden Verstrickung nicht erforderlich gewesen.

Fehlende Berechtigung der Beklagten
Sollte die Beklagte zu 2 im Juni 2006 ein Pfandrecht erlangt haben, sei dieses zumindest nach der nicht angreifbaren Auslegung (§§ 133, 157 BGB) durch das Instanzgericht mit dem Schreiben der Beklagten zu 2 vom 7.11.2015 gem. §§ 1273 II, 1255 I BGB aufgehoben worden.

Die Abtretung des Anspruchs auf die Versicherungssumme im Februar 2016 und im Januar 2017 habe das Pfändungspfandrecht ebenfalls nicht beeinträchtigen können, da diese Verfügung gem. §§ 136, 135 I 1 BGB wegen Verstoßes gegen das Verbot des § 829 II 2 ZPO der Klägerin als Pfändungsgläubiger gegenüber relativ unwirksam sei.

Wirksamkeit der Leistung an den Nichtberechtigten gegenüber der Berechtigung
Da die berechtigte Klägerin die Auszahlung des Versicherers an den nicht berechtigten Beklagten zu 2 durch die Zahlungsklage konkludent genehmigt habe, sei die Auszahlung der Klägerin gegenüber wirksam.

IV. Praxishinweis
Die Entscheidung arbeitet bei fast lehrbuchmäßiger Tatbestandsprüfung des § 816 II BGB die Rechtsprechung des BGH zu Voraussetzungen und Rechtswirkungen des § 88 InsO auf die im letzten Monat (§ 88 I InsO ) bzw. in den letzten drei Monaten (§ 88 II InsO) vor oder nach dem Eröffnungsantrag durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen des Schuldners erlangten Sicherungsrecht/Pfändungspfandrecht ab und stellt ausdrücklich klar, dass in der entschiedenen Konstellation die erneute Zustellung des PfÜB nicht erforderlich ist:

  • Zwangsvollstreckungsmaßnahme/Pfändung durch Zustellung des PfÜB gem. §§ 829, 835 ZPO an den Drittschuldner in dem von § 88 InsO erfassten Zeitraum
  • Absolute Unwirksamkeit des damit erlangten Sicherungsrechts, d. h. Unwirksamkeit nicht nur gegenüber Insolvenzgläubigern, sondern gegenüber jedermann
  • Unwirksamkeit ist aber nur schwebend, d. h. nur so lange und soweit für die Zwecke des Insolvenzverfahrens erforderlich
  • Fortbestehende Wirksamkeit der öffentlich-rechtliche Verstrickung, wenn die sie begründende Vollstreckungshandlung nicht vom zuständigen Vollstreckungsorgan (Gericht, das den PfÜB erlassen hat) aufgehoben wird
  • Wiederaufleben der Sicherung des Gläubigers bei fortbestehender Verstrickung durch Freigabe des betroffenen Vermögensgegenstandes seitens des Insolvenzverwalters oder durch Aufhebung des Insolvenzverfahrens ohne Verwertung des Gegenstandes
  • Wiederaufleben der Sicherung des Gläubigers ohne erneute Zustellung des PfÜB bei fortbestehender Verstrickung
  • Relative Unwirksamkeit der Verfügung über den gepfändeten Gegenstand gegenüber dem Pfändungsgläubiger gem. §§ 136, 135 I 1 BGB, § 829 I 2 ZPO.

Die fortbestehende Wirksamkeit der öffentlich-rechtlichen Verstrickung ist auch bei den gegen § 89 InsO verstoßenden Vollstreckungsmaßnahmen relevant.

Rechtsanwalt Harald Kroth, Fachanwalt für Insolvenzrecht