Verfahrensfehler bei der Abstimmung über den Insolvenzplan

22. Februar 2021 Newsletter Insolvenzrecht

Der Abstimmungs- und Erörterungstermin über einen Insolvenzplan entscheidet über die Zukunft eines Unternehmens und sollte daher gut vorbereitet sein. Gläubiger mit bestrittenen Forderungen können bei Einigung oder Gerichtsentscheidung an der Abstimmung teilnehmen. In der Praxis wird vor einer solchen Stimmrechtsfestsetzung häufig eine Probeabstimmung vorgenommen, um zu ermitteln, ob eine solche Festsetzung überhaupt für das Abstimmungsergebnis relevant ist. Ergibt die Probeabstimmung die Relevanz, so hat nach der Festsetzung eine endgültige Abstimmung zu erfolgen. Eine Berücksichtigung auf Basis der Probeabstimmung stellt einen Verfahrensfehler dar.

Näheres erfahren Sie in diesem Newsletter. Wir wünschen eine interessante Lektüre.

Michael Lojowsky
Dr. Michael Lojowsky

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

BGH: Zeitpunkt der Stimmrechtsfestsetzungen für die Abstimmung über einen Insolvenzplan

InsO § 235 I S. 1, § 237 I S. 1, § 77 II
BGH, Beschluss vom 17.12.2020 – IX ZB 38/18 (LG Berlin)

I. Leitsatz des Verfassers
Die Festsetzung der Stimmrechte der Gläubiger durch das Insolvenzgericht muss vor dem Beginn der Abstimmung über den Insolvenzplan abgeschlossen sein.

Eine ohne Erklärung der Stimmrechte vorgenommene Abstimmung ist zu wiederholen.

II. Sachverhalt
Im darzustellenden Fall ist der Schuldner Rechtsbeschwerdeführer gegen einen Beschluss, mit dem die gerichtliche Bestätigung eines Insolvenzplans versagt wurde. Auf einen Eigenantrag des Schuldners wurde am 29.4.2016 über sein Vermögen das Regelinsolvenzverfahren eröffnet. Im April des Folgejahres legte der Schuldner einen Insolvenzplan vor, über den im Erörterungs- und Abstimmungstermin im Mai 2017 abgestimmt werden sollte. Zuvor meldete das Finanzamt eine Forderung nachträglich zur Insolvenztabelle an, die im Nachprüfungstermin vom Insolvenzverwalter und zwei Gläubigern bestritten wurde. Im Erörterungs- und Abstimmungstermin stellte das Insolvenzgericht die gerichtliche Entscheidung über das Stimmrecht des Finanzamtes hinsichtlich der bestrittenen Forderung zunächst zurück, um festzustellen, ob das Abstimmungsergebnis über den Insolvenzplan eine Feststellung erfordere. In der sodann vorgenommenen Abstimmung votierten das Finanzamt und weitere Gläubiger gegen den Insolvenzplan, woraus die Erforderlichkeit der Stimmrechtsfestsetzung erwuchs. Eine Einigung über die Festsetzung des Stimmrechtes konnte in dem Termin nicht erzielt werden, woraufhin dem Finanzamt Gelegenheit gegeben wurde, die Forderungsanmeldung nachzubessern, um eine Feststellung zu erreichen. Sodann stellte das Insolvenzgericht die Forderung des Finanzamtes in Übereinstimmung mit dem Vorschlag des Insolvenzverwalters im einen Monat später stattgefundenen Fortsetzungstermin fest und führte in der Sitzungsniederschrift aus, dass damit die für die Annahme erforderliche Summenmehrheit der im Mai stattgefundenen Abstimmung über den Insolvenzplan nicht erlangt worden sei. Es erfolgte keine neue Abstimmung über den Insolvenzplan im Fortsetzungstermin. Das LG erachte die sofortige Beschwerde des Schuldners als zulässig aber als unbegründet. Es könne dahinstehen, ob die vom Insolvenzgericht gewählte Verfahrensweise verfahrensfehlerhaft sei, da der Verfahrensfehler jedenfalls für die Versagung der gerichtlichen Bestätigung des Insolvenzplans nicht kausal geworden sei.

III. Rechtliche Wertung

Keine Rückwirkung der Stimmrechtsfestsetzung nach erfolgter Abstimmung

Zunächst stellte der BGH klar, dass eine eigene beschwerdefähige Entscheidung des Insolvenzgerichts auch ergehen muss, wenn die erforderlichen Mehrheiten in der Abstimmung über den Insolvenzplan nicht erreicht würden. Dafür sehe das Gesetz zwar keine eigenständige Regelung vor, dies ergäbe sich aber daraus, dass das Insolvenzgericht nicht nur das Ergebnis der Abstimmung festzustellen habe, sondern auch die Voraussetzungen für eine Zustimmungsfiktion nach § 245 bis § 247 InsO prüfen müsse. Um dem Beschwerdeführer kein Rechtsmittel zu entziehen, sei die sofortige Beschwerde aber auch zulässig, wenn das Insolvenzgericht das Ergebnis der Abstimmung über den Insolvenzplan lediglich im Protokoll festgestellt habe.

Entgegen der Entscheidung des Beschwerdegerichts sah der BGH die sofortige Beschwerde als begründet an. Eine Abstimmung über den Insolvenzplan unter Beteiligung aller anwesenden Gläubiger, ohne zuvor über die Stimmrechtsfestsetzung zu entscheiden, begründe einen Verfahrensmangel. Die vom Insolvenzgericht gewählte Vorgehensweise weiche von dem gesetzlich vorgesehenen Ablauf des Erörterungs- und Abstimmungstermins ab. Zwar sei eine unverbindliche Probeabstimmung vor der Stimmrechtsfestsetzung zur Prüfung der Erforderlichkeit und gegebenenfalls Vermeidung des aufwendigen Stimmrechtsfestsetzungsverfahrens denkbar, jedoch habe in strittigen Fällen sodann eine Stimmrechtsfestsetzung zu erfolgen und erst danach eine Abstimmung über den Insolvenzplan. Eine Rückwirkung der Stimmrechtsfestsetzung auf eine bereits erfolgte Abstimmung komme nicht in Betracht.

Dies sei vergleichbar mit dem Verfahren über die richterliche Neufestsetzung eines Stimmrechtes gem. § 18 III RPflG. Ändert der Richter auf Antrag eines Gläubigers die Entscheidung über die Stimmrechtsfestsetzung nach durchgeführter Abstimmung über den Insolvenzplan, so entfalte diese Korrektur keine Rückwirkung, sondern eine Wiederholung der Abstimmung sei anzuordnen.

Im vorliegenden Fall habe daher bislang noch keine ordnungsgemäße Abstimmung über den Insolvenzplan stattgefunden. Es erfolgte eine Zurückverweisung der Sache an das Insolvenzgericht.

IV. Praxishinweis
Erfreulicherweise hat der BGH eine Rückwirkung der Stimmrechtsfestsetzung abgelehnt. Wenn es im Termin nicht zur Einigung der Gläubiger und des Verwalters kommt und auch das Gericht eine Stimmrechtsfestsetzung verschiebt, muss ein neuer Termin anberaumt und die Abstimmung erneut durchgeführt werden. Ein neuer Termin kann zu einem veränderten Abstimmungsverhalten der Gläubiger führen. Die Anzahl der teilnehmenden und damit abstimmungsberechtigten Gläubiger kann schwanken und Mehrheiten können sich verschieben. Schließlich können Interessengruppen für den Fall, dass die Stimmrechtsfestsetzung das Abstimmungsergebnis verändern würde, noch für ein Abstimmungsverhalten werben. Wesentlich erscheint aber, dass alle Gläubiger die Stimmrechte sämtlicher Gläubiger zum Zeitpunkt der Abstimmung kennen sollten und nicht im Nachhinein gerichtliche Entscheidungen ohne Parteiöffentlichkeit Abstimmungsergebnisse beeinflussen.

Rechtsanwalt Dr. Michael Lojowsky, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht