Frankreich: Präventiver Restrukturierungsrahmen ab 1. Oktober 2021 verfügbar

01. Oktober 2021 Newsletter International

Mit der Verordnung Nr. 2021-1193 vom 15. September 2021 setzt der französische Gesetzgeber die Vorgaben der sogenannten Restrukturierungsrichtlinie um und führt die sauvegarde accélérée in reformierter Fassung als präventiven Restrukturierungsrahmen ein. Nach Veröffentlichung des Anwendungserlasses Nr. 2021-1218 am 23. September 2021 ist die Reform am 1. Oktober in Kraft getreten. Frankreich verfügt somit über das erste europaweit anzuerkennende Präventivverfahren auf Grundlage der Richtlinie.

Näheres erfahren Sie im nachfolgenden Newsletter. Wir wünschen eine interessante Lektüre.

Patrick Ehret
Patrick Ehret

Rechtsanwalt

Avocat (Rechtsanwalt, zugelassen in Frankreich)

Spécialiste en Droit international et de l'Union européenne (Französischer Fachanwalt für internationales und europäisches Recht)

D.E.A. Droit des Communautés Européennes (Strasbourg III)

Der französische Gesetzgeber hat darauf verzichtet zur Umsetzung der Richtlinie ein neues Verfahren zu kreieren oder gar ein neues Gesetz zu erlassen. Vielmehr wurden die bereits bestehenden präventiven Schnellverfahren der sauvegarde accélérée und der semi-kollektiven, auf Finanzverbindlichkeiten beschränkte sauvegarde financière accélérée fusioniert und an den Richtlinien Vorgaben neu ausgerichtet. Die sauvegarde accélérée war bereits vor der Reform im Anhang A der EuInsVO gelistet, so dass das Verfahren trotz der inhaltlichen Änderungen in der Genuss der europaweiten automatischen Anerkennung kommt, ohne dass – wie beim niederländischen WHOA oder dem deutschen StaRUG-Verfahren - eine Anpassung der EuInsVO Anhänge vorgenommen werden müsste.

Eine reformierte sauvegarde accélérée als Restrukturierungsrahmen

Der französische Restrukturierungsrahmen erlaubt die Verabschiedung eines Insolvenzplanes durch die vom Insolvenzverwalter zu formenden Gläubigerklassen innerhalb von zwei bzw. nach Verlängerung bis zu vier Monaten, ohne dass das Gericht den Gläubigern im Falle des Scheiterns den Plan wie bisher aufoktroyieren könnte. Das Verfahren steht allen geprüften Unternehmen gleich welcher Größe zur Verfügung und kann sowohl als kollektives als auch als semi-kollektives, daher insbesondere auf die Finanzgläubiger beschränktes, Verfahren durchgeführt werden. Das Verfahren dient nahezu ausschließlich der Entscheidung über die Annahme des Planes, da die Verhandlung im Hinblick auf eine mehrheitsfähige Sanierungslösung in das obligatorische Vorverfahren der Conciliation vorverlagert werden.

Die conciliation als obligatorisches Vorverfahren

Der nicht mehr als 45 Tage zahlungsunfähige Schuldner hat weiterhin die Möglichkeit durch das zuständige Handelsgericht einen Conciliateur bestellen zu lassen, der ihn im Rahmen der Verhandlungen mit den Gläubigern im Hinblick auf eine Sanierungslösung unterstützt. Dieses sogenannte Verfahren der Conciliation stand Pate für die Einführung der Sanierungsmoderation im deutschen Recht und ist im Grundsatz rein konsensual und weiterhin streng vertraulich ausgestaltet. Durch die Reform wird dem Schuldner allerdings nunmehr die Möglichkeit geben, eine Stundung für die Dauer des Verfahrens gegenüber dem Gläubiger durchzusetzen, der sich geweigert hat, innerhalb der vom Conciliateur gesetzten Frist einen Standstill auszusprechen. Sofern keine einvernehmliche Lösung mit den Gläubigern gefunden werden kann, der vorgeschlagene Sanierungs­plan allerdings geeignet ist, das Unternehmen dauerhaft am Markt zu halten und darüber hinaus die Zustimmung einer Mehrheit zu finden, besteht die Möglichkeit in den französischen Restrukturierungsrahmen über zu leiten, in welchen sodann gegebenenfalls die Minderheit überstimmt werden kann. Eine in der Zwischenzeit eingetretene Zahlungsunfähigkeit ist hier unschädlich.

Klassenbildung – nicht nur im Restrukturierungsrahmen

Die bisher für Großverfahren vorgesehenen Gläubigerkomitees der Banken, Lieferanten und Schuldverschreibungsinhaber werden durch die in der Richtlinie vorgesehenen Gläubigerklassen ersetzt. Die Klassenbildung ist im Restrukturierungsrahmen obligatorisch, wird allerdings auch in den französischen Regelinsolvenzverfahren (Präventivverfahren der sauvegarde und Sanierungsverfahren des redressement judiciaire) eingeführt, sofern gewisse Schwellenwerte überschritten sind oder entsprechende Anträge gestellt werden. Es ist Aufgabe des das Verfahren überwachenden Insolvenzverwalters die planbetroffenen Gläubiger und Anteilseigner nach objektiven Kriterien der Interessengemeinschaft in Klassen einzuteilen, innerhalb derer sie gleich zu behandeln sind. Dabei ist zumindest zwischen gesicherten Gläubigern, ungesicherten Gläubigern und Anteilseignern zu unterscheiden, wobei auch auf bestehende Subordinationsvereinbarungen Rücksicht genommen werden muss. Arbeitnehmer und somit auch die Insolvenzgeldkasse können in das Verfahren nicht einbezogen werden.

Abstimmung & Cross class cram down

Die Abstimmung erfolgt in den jeweiligen Gläubigerklassen mit einer 2/3 Mehrheit der Forderungs-summe der sich am Wahlvorgang beteiligenden planbetroffenen Personen. Eine zusätzliche Kopfmehrheit ist nicht vorgesehen. Ferner ist im Restrukturierungsrahmen – im Gegensatz zum Regelverfahren der Sanierung (redressement judiciaire) – die Zustimmung des Schuldners erforderlich. Um eine dissentierende Gläubigerminderheit überstimmen zu können, muss eine Mehrheit der Gläubigerklassen, und davon wenigstens eine Klasse besicherter Gläubiger, zugestimmt haben. Sofern das nicht der Fall ist muss zumindest eine Klasse „in the money“ zugestimmt haben. Von der grundsätzlich geltenden absolute priority rule kann auf Antrag des Schuldners oder Verwalters durch das Gericht abgewichen werden, wenn dies für die Planerreichung unabdingbar ist und dadurch die Rechte oder Interessen der betroffenen Parteien nicht in unangemessener Weise beeinträchtigt werden. Die Verbindlichkeiten der Lieferanten, der Anteilseigner oder deliktischer Natur können entsprechend sonderbehandelt werden. Schließlich darf keiner der Betroffenen durch den Plan schlechter gestellt werden, als sie es wären, wenn das Unternehmen liquidiert, verkauft oder einem sonstigen Alternativszenario zugeführt würde.

COVID-Sonderregelungen auf Dauer übernommen

Im Rahmen der COVID-Krise hatte der frz. Gesetzgeber parallel zum fresh money Privileg in der Conciliation, ein sogenanntes post money Privileg, d.h. die bevorzugte Befriedigung der nach Insolvenzeröffnung dem Unternehmen zur Verfügung gestellten Finanzmittel eingeführt. Dadurch wird die Stundung oder Kürzung dieser Verbindlichkeiten im Rahmen eines Planes ausgeschlossen. Diese Lösung wurde für die Regelverfahren des 6. Buch des frz. HGB auf Dauer eingeführt und gilt für Finanzmittel,

- die für die Betriebsfortführung nach Genehmigung des verfahrensüberwachenden Richters,

- die im Rahmen eines gerichtlich bestätigten Planes im Regelverfahren, oder

- die im Rahmen einer gerichtlich bestätigten Planänderung,

zur Verfügung gestellt wurden. Im Fall einer Verteilung der Masse (bei Abwicklung, beispielsweise nach übertragender Sanierung) bleiben die folgenden Forderungen vorrangig: Superprivileg der Arbeitnehmer, Verfahrenskosten, fresh money Privileg in der Conciliation und Masseverbindlichkeiten in Zusammenhang mit dem Insolvenzgeld.

Stärkung der Gläubigerrechte – oui et non

Durch die Reform werden die Gläubigerrechte im frz. Insolvenz- und Restrukturierungsrecht gestärkt, wobei weiter Anreize für eine Krisenfrüherkennung und rechtzeitige Begleitung der Schuldner durch die Handelsgerichte gesetzt werden, ohne das Ziel der Unternehmensrettung aus dem Auge zu verlieren. Dies gilt insbesondere für den Restrukturierungsrahmen mit zwingender Gläubigerbeteiligung. Ferner kommt der 10-jährige Stundungsplan durch Gerichtsentscheid nur noch in den französischen Regelinsolvenzverfahren (Präventivverfahren der sauvegarde und Sanierungs­verfahren des redressement judiciaire) unterhalb der Schwellenwerte für die Gläubigerklassen oder im Falle des Scheitern des Plans per Votum in den Gläubigerklassen im Sanierungsverfahren des redressement judiciaire – lediglich hier kann auch eine planbetroffene Partei einen Plangegenentwurf einbringen - in Betracht. Gleichzeitig wird die Position der besicherten Gläubiger dadurch geschwächt, dass ohne die Geltendmachung des Sicherungsrechts innerhalb der Frist zur Forderungsanmeldung, während der Planerfüllung – und wenn der Plan erfüllt wird darüber hinaus – keine Wirkung zeigt. Ferner können in diesem Fall natürliche Personen, die gesamtschuldnerisch oder als Bürgen mithaften bzw. einen Vermögensgegenstand als Sicherheit gestellt haben, nicht in Anspruch genommen werden.

Patrick Ehret, Rechtsanwalt (Avocat en Allemagne) & Avocat, Spécialiste en Droit international et de l’Union européenne